Offenheit und Bewegung
Das Centro Botín an der Bucht von Santander wird als emblematisches Kunst- und Kulturzentrum angenommen
Santander – dpa/ck. Kurz vor seinem 80. Geburtstag wird Stararchitekt Renzo Piano sentimental. Bei der Einweihung des ersten vom ihm in Spanien entworfenen Gebäudes – des imposanten Kunst- und Kulturzentrums „Centro Botín“an der Bucht von Santander – räumte der Italiener mit wehmütigem Blick ein: „Ich bin ein bisschen traurig. Bisher gehörte das Gebäude uns. Jetzt geht’s weg. Wie ein Kind, das auszieht.“
Dabei hat der Gewinner des renommierten Pritzker-Preises von 1998, der am 14. September seinen runden Geburtstag feiert, keinen Grund, traurig zu sein. Mit seinem neuesten Werk, einer aus zwei Teilen bestehende Konstruktion aus Glas, Stahl und Beton, hat der „Vater“des Centre Pompidou in Paris und des Potsdamer Platzes nicht nur seine Fans nicht enttäuscht. Er hat auch Fachleute und vor allem die Menschen in Santander begeistert und verblüfft. Geholfen hat ihm vor Ort das Studio Luis Vidal (LVA).
„Es ist unglaublich. Das Gebäude scheint zu schweben und bald davonzufliegen“, sagte ein älterer Besucher. Das „Centro Botín“wurde auf Säulen gebaut, um nicht den Blick auf das Wasser zu behindern. Die beiden Teilhälften, die in die Bucht hineinragen und von Medien mit Passagierdampfern verglichen wurden, werden durch einen zentralen Platz und ein Konstrukt aus offenen Passagen, Übergängen und Treppen verbunden. Die Fassade ist mit 270.000 kreisförmigen Keramikfliesen verkleidet, die das wechselnde Licht der Bucht, des Himmels und der umliegenden Parkanlage widerspiegeln.
Piano erklärt: „Bei unserem ersten längeren Aufenthalt in Santander hat es hier monatelang fast jeden Tag geregnet. Aber es war kein normaler Regen, es produzierte ein wechselndes, besonderes Licht. Das ist die Atmosphäre, der Geist dieser Stadt, diesen Geist haben wir eingefangen.“
Offenheit, Leichtigkeit, Bewegung – das zeichnet die Werke Pianos seit jeher aus. Aber in einem Alter, in dem andere schon längst die Rente genießen, setzt er mit seinem „fliegenden“Gebäude neue Maßstäbe. „Wir haben sofort gemerkt, dass das Gebäude hier fliegen musste. Die Idee von Bewegung, als wäre das Gebäude ein Film, hat sie sich direkt aufgedrängt“, erzählt der Mann aus Genua. Die Bevölkerung ist begeistert und besuchte das Zentrum in den ersten Wochen in Scharen.
Beim Bau eines Museums oder eines Kulturzentrums gehe es nicht nur um Kunst. „Es geht in erster Linie um Menschen.“Der Mensch dürfe nicht eingeschüchtert werden. „Schönheit“, sagt er, „ist die Kunst, zusammenzukommen“. Das Centro Botín sei als „place for the people“ konzipiert worden. Pianos Worte sind auch Programm. Mit dem Bau des Botín und der Erweiterung der umliegenden Parkanlage wird ein Viertel modernisiert, das jahrelang vernachlässigt worden war.
Kunst und Bildung
Die „Santanderinos“lebten lange mit dem Rücken zur von Hafenkränen und Güterzügen, einer Autobahn und mehreren Parkplätzen verdeckten Bucht. „Das Centro wird in Santander nicht nur Kunst und Kultur, sondern auch den Wohlstand fördern“, sagte Stiftungs-Präsident Javier Botín. Man eifert dem „Wunder von Bilbao“nach. In der ehemals hässlichen Industriestadt löste das 1997 eingeweihte Guggenheim-Museum einen Wirtschafts- und TourismusBoom aus.
Die Stiftung Botín der gleichnamigen bekanntesten Bankiersfamilie Spaniens, die die Kosten von 80 bis 100 Millionen Euro zur Gänze trug, will Bildungsprojekte in den Mittelpunkt stellen. Das für Bildung und Kultur vorgesehene Ostgebäude verfügt über ein Auditorium für 300 Personen und über vier Seminarsäle. Es gibt außerdem ein Amphitheater im Freien und an einer Fassade eine Großleinwand für Freiluftkino. Nicht nur Konzerte und Filmabende, auch Kurse für Schüler oder Studenten sind vorgesehen.
Das Westgebäude ist der Kunst gewidmet und hat eine Ausstellungsfläche von insgesamt 2.500 Quadratmetern. Zum Auftakt gibt es Ausstellungen des Deutschen Carsten Höller, der mit seinen Riesenrutschen berühmt wurde, sowie zwei weitere mit Zeichnungen von Francisco de Goya sowie mit Werken aus der Botín-Sammlung.
„Es ist unglaublich. Das Gebäude scheint zu schweben und bald davonzufliegen“, so ein Besucher