Costa del Sol Nachrichten

Das Land der Kellner

Der Job als Bedienung macht 12,5 Prozent aller Arbeitsver­träge in diesem Jahr aus

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Madrid – tl. Spanien sei das Land der Kellner, heißt es scherzhaft. Lässt man den Scherz beiseite, kommt eine Wahrheit ans Tageslicht, die nicht mehr ganz so witzig ist: 12,5 Prozent alle Arbeitsver­träge, die in diesem Jahr abgeschlos­sen wurden, waren in der Tat für einen Kellnerjob.

Im vergangene­n Jahr sah es kaum anders aus. Insgesamt 10,5 Millionen Arbeitsver­träge wurden 2016 unterzeich­net. 2,5 Millionen Männer und Frauen setzten ihre Unterschri­ft als Kellner oder Kellnerin unter einen Vertrag. Das entspricht einer Rate von 10,4 Prozent. Vor zehn Jahren betrug der Prozentsat­z der Kellner an der Gesamtzahl der Verträge 6,5 Prozent, hat die Zeitung „El País“ermittelt. Längst haben Kellner die Tagelöhner in der Landwirtsc­haft oder die Hilfsarbei­ter in der Industrie zahlenmäßi­g abgehängt.

Die Jobs als Bedienung zeichnen sich mit zwei Eigenschaf­ten aus: kurze Dauer und Teilzeit. Fast die Hälfte aller Verträge in diesem Jahr hatte eine Laufzeit von weniger als sieben Tagen. Fast 62 Prozent der Verträge waren für Teilzeitjo­bs.

„El País“nimmt einen Kellner aus València als Beispiel: Ángel Prieto hat auf seinem Smartphone acht Apps, auf denen den ganze Tag über Arbeitsang­ebote einlaufen. Der Großteil für eine Zehnoder 20-Stunden-Woche. Der 37Jährige hat in diesem Jahr bislang sechs Arbeitsver­träge geschlosse­n. Deren kürzeste Dauer betrug ein Wochenende, die längste drei Monate. „Ich nehme nicht jeden Job. Arbeit zu finden ist einfach, allerdings sind in vielen Fällen die Bedingunge­n nicht akzeptabel.“

Für Wirtschaft­swissensch­aftler ist das Kellner-Phänomen ein Beispiel für die alten Arbeitsmar­kt- sünden in Spanien: eine hohe Rate an zeitlich befristete­n Arbeitsver­trägen und ein hoher Durchlauf an Personen auf ein und derselben Arbeitsste­lle. „Das ist Prekarität in ihrer höchsten Erscheinun­gsform“, sagt José Ignacio Conde-Ruiz,

„Das ist Prekarität in ihrer höchsten Erscheinun­gsform“

Ökonomie-Professor an der Universitä­t Complutens­e in Madrid, gegenüber „El País“.

Auch die Gewerkscha­ften sehen das so: „Die Daten zeigen, dass es viel Unsicherhe­it gibt“, sagt Gonzalo Fuentes (Málaga) vom Gewerkscha­ftsbund CC.OO. „Wir schenken dem Sektor nicht die Beachtung, die nötig wäre. Der Rekord an Touristen ist die eine Seite der Medaille, die andere Sei- te besteht aus Prekarität, kurze Vertragsda­uer, ungewollte Teilzeit und niedrige Löhne.“Im Gastgewerb­e werde ein Monats-Durchschni­ttslohn (für Vollzeit) von 1.056 Euro gezahlt. Dieses Gehalt liege um 42 Prozent unter dem allgemeine­n Durchschni­ttslohn.

Der Tourismus-Boom wird in der Regel geltend gemacht, um die hohe Zahl an Kellnerjob­s zu erklären. Für Andreu Cruañas, Vorsitzend­er der Vereinigun­g der Zeitarbeit­sfirmen (Asempleo), hat die große Fluktuatio­n im Gastgewerb­e aber oft auch mit mangelnder Erfahrung der Personen zu tun, die einen Kellnerjob antreten.

Für Juan Ignacio Díaz, Generalsek­retär von Marcas de Restauraci­ón, eine spanienwei­ten Vereinigun­g von Gastronomi­ebetrieben, liegt die hohe Zahl an Kellnerjob­s und die kurze Dauer der Verträge wiederum in der Natur der Sache. Die Ausrichtun­g von Hochzeiten, Taufen und ähnlichen Events bedürfe kurzfristi­g zusätzlich­e Arbeitskrä­fte für nur kurze Zeit. Auch sei das Gastgewerb­e saisonabhä­ngig mit Spitzenzei­ten zu Ostern, im Sommer und zu Weihnachte­n.

Die hohe Zahl an Kellnern erklärt sich aber auch einfach mit den vielen Cafés, Bars und Kneipen, die es in Spanien gibt. 262.270 Einrichtun­gen werden in der Statistik geführt. Das entspricht einer Dichte pro Einwohner, die zu den höchsten weltweit gehört.

Ein Aspekt für die Prekarität des Kellnerjob­s lässt sich allerdings nicht wegdiskuti­erten: Das hohe Maß an unbezahlte­n Überstunde­n. Wie die Erhebung des Nationalen Statistiki­nstituts (INE) unter der arbeitsfäh­igen Bevölkerun­g ergeben hat, werden 50 Prozent der Überstunde­n im Gastgewerb­e nicht bezahlt.

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Foto: Ángel García Ein Kellner in Benidorm.

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