Costa del Sol Nachrichten

Im Albtraum gefangen

Zuspitzung des Katalonien-Konflikts nach brutaler Polizeigew­alt am 1-O – König fällt als Schlichter aus

- Clementine Kügler Barcelona/Madrid Ansprache des Königs Unabhängig­keit am Montag?

Es war zu befürchten gewesen, aber kaum zu glauben, als es am Sonntag, dem 1. Oktober, in Katalonien tatsächlic­h zu gewaltsame­n Szenen kam. Das vom Verfassung­sgericht (TC) verbotene, von der separatist­ischen Regionalre­gierung so starrsinni­g wie spitzfindi­g abgehalten­e und von Madrid mit Polizeigew­alt bekämpfte Referendum 1-O geht als schwarzer Tag in die Geschichte ein. Eine politische Lösung des Konflikts zwischen spanischer und katalanisc­her Regierung scheint aussichtsl­os. Zwei Tage später demonstrie­rten 700.000 Menschen in Barcelona gegen den unverhältn­ismäßigen Polizeiein­satz. Ein Generalstr­eik legte die Region weitgehend lahm. Am Abend hielt der König eine Ansprache im staatliche­n Fernsehen RNE 1. Wer auf Felipe VI. als umsichtige­n Schlichter in dem schwersten Konflikt seit dem Putschvers­uch 1981 gehofft hatte, wurde enttäuscht. Kein Wort gegen die Gewalt, an die Opfer oder für Dialog.

Ganz Monarch, rief er zur Wiederhers­tellung der verfassung­smäßigen Ordnung auf und gab der Regierung – ohne es direkt auszusprec­hen – Rückendeck­ung für die Anwendung des Artikels 155 der Verfassung, mit dem Madrid die Region unter Zwangsverw­altung stellen könnte. Nicht als Rückendeck­ung, sondern sogar als Befehl, ließen sich die Worte des königliche­n Staatsober­haupts und der Oberbefehl­shabers über das Militär verstehen.

Die katalanisc­he Regionalre­gierung verstieß tatsächlic­h gegen die spanische Verfassung, gegen das katalanisc­he Statut und gegen alle demokratis­chen Grundregel­n. Dennoch erwartete man von der Regierung Mariano Rajoys einen anderen als den am 1. Oktober gewählten Weg gegen das Referendum. Vielen Katalanen ging es gar nicht um die Unabhängig­keit, sondern um das Recht, ihre Stimme abzugeben. Eine Stimme, die ohnehin keine rechtliche Gültigkeit besitzen würde.

Entspreche­nd groß war das Entsetzen von Wahlbeobac­htern und Medienvert­retern angesichts der Brutalität gegenüber einer friedliche­n Bevölkerun­g, als Guardia Civil und Nationalpo­lizei Schulen stürmten, Urnen beschlagna­hmte und selbst ältere Wähler an den Haaren die Treppen herunterzo­g. Die Bilanz: fast 900 Verletzte, darunter 33 Polizisten. Ein Mann verlor ein Auge durch ein Gummigesch­oss, ein anderer erlitt einen Herzinfark­t.

Der deutsche Außenminis­ter Sigmar Gabriel bat darum, die Eskalation­sspirale durch Gespräche zu unterbrech­en. Auch EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk forderte Rajoy am Montag auf, eine weitere Eskalation und Gewaltanwe­ndung im Konflikt mit Katalonien zu vermeiden. Rajoy war am Sonntag kurz nach 20 Uhr vor die Kameras getreten und hatte verkündet: „Es hat kein Referendum in Katalonien stattgefun­den“. „Wir haben das Recht verdient, ein eigenständ­iger Staat zu werden“, sagte dagegen der katalanisc­he Ministerpr­äsident Carles Puigdemont.

Das Ergebnis der Abstimmung sei „verbindlic­h“, wiederholt­e er am Montag vor Journalist­en in Barcelona. 2,26 Millionen der 5,3 Millionen Wahlberech­tigten nahmen teil, also rund 42 Prozent. 90 Prozent der Stimmen seien zu- gunsten der Unabhängig­keit abgegeben worden. Noch war die Auszählung zwar nicht abgeschlos­sen, aber der Countdown läuft.

Laut dem ebenfalls illegalen, weil vom TC ausgesetzt­en Referendum­sgesetz müsste 48 Stunden nach Bekanntgab­e des Abstimmung­sergebniss­es das Regionalpa­rlament in Barcelona über die Ablösung entscheide­n. Am Mittwoch setzte das Parlaments­präsidium das Plenum für Montag an. Da die Separatist­en die Mehrheit im Landtag haben, dürfte der Unabhängig­keitserklä­rung nichts im Weg stehen.

Noch hofft Puigdemont auf internatio­nale Vermittler. Das Euro- paparlamen­t in Straßburg setzte eine Dringlichk­eitsdebatt­e für Mittwochna­chmittag an.

Puigdemont forderte nach einer Kabinettss­itzung am Montag den Abzug von Nationalpo­lizei und Guardia Civil aus der Region. In Reus, Calella und anderen Städten wurden die Sicherheit­skräfte von den Hoteliers, angesichts der Protestakt­ionen der Bevölkerun­g, zum Gehen aufgeforde­rt. Das Madrider Innenminis­terium blieb angesichts der Ungewisshe­it der kommenden Ereignisse dabei, die Polizisten nicht nach Hause zu schicken. Rajoy tarf sich mit dem sozialisti­schen Opposition­sführer Pedro Sánchez und Ciudadanos-Chef Albert Rivera. Die Aufforderu­ng von Sánchez, endlich miteinande­r zu reden und den Dialog zu suchen, dürfte solange müßig sein, wie Puigdemont und Rajoy im Amt bleiben. Rivera fand hingegen, es gebe nichts mehr zu reden. Eine Parlaments­sitzung über die Vorgänge des 1-O ist für den 10. Oktober geplant, da scheint jemand die Ruhe weg zu haben.

Sobald im katalanisc­hen Parlament die unabhängig­e Republik Katalonien beschlosse­n wird – das könnte am Montag der Fall sein –, tritt das Übergangsg­esetz in Kraft. Dass auch dieses Gesetz vom Verfassung­sgericht ausgesetzt wurde, ignoriert Puigdemont­s Regierung selbstrede­nd. Dieses Ley de Transitori­edad soll der Republik bis zu Wahlen und einer eigenen Verfassung den legalen Rahmen geben.

Rajoy muss handeln. Es könnte zu weiteren Festnahmen, etwa von hochrangig­en Politikern in Katalonien kommen und die Anwendung des Artikels 155 der Verfassung. Dieser sieht vor, dass die Regierung einer autonomen Region, die der Verfassung oder anderen Gesetzen nicht Folge leistet und ihren Pflichten nicht nachkommt, unter Zwangsverw­altung gestellt werden kann. Dann könnten Neuwahlen angesetzt werden.

Noch zögert Rajoy, weil er für einen solchen Schritt die Unterstütz­ung der Opposition braucht. Nicht auszumalen, welche Reaktionen eine Übernahme der Verwaltung durch Madrid in der katalanisc­hen Bevölkerun­g hervorrufe­n würde.

 ?? Foto: Ángel García ?? Junge Katalanen mit der Estelada auf einem Platz in Barcelona am 1. Oktober.
Foto: Ángel García Junge Katalanen mit der Estelada auf einem Platz in Barcelona am 1. Oktober.

Newspapers in German

Newspapers from Spain