Räumung droht
Besetztes Kulturzentrum Casa Invisible soll ausgeschrieben werden
In der Casa Invisible in Málaga sind die Nerven angespannt. Denn nachdem die PP-Regierung der Stadt das durch Hausbesetzung entstandene Kulturzentrum jahrelang geduldet hatte, droht nun der Rauswurf seiner jetzigen Betreiber. Ende Oktober hatte der Stadtrat beschlossen, den Betrieb des Hauses öffentlich auszuschreiben. Zwar lud Kulturstadträtin Gemma del Corral die aktuellen Betreiber dazu ein, sich an der Ausschreibung zu beteiligen, doch diese rechnen sich kaum Chancen aus. Vor wenigen Tagen hat die Casa Invisible eine Krisensitzung abgehalten.
Ein Abend kurz vor 19 Uhr im Innenhof der Casa Invisible in Málaga. Rund 100 Personen sitzen an den vor der Theke in Kreisform und dahinter in Reihen aufgestellten Stühlen. An einem Tisch in einer Ecke leiten freiwillige Helfer ein Dutzend Kinder beim Basteln an, damit die Eltern für eine Weile ihre Ruhe haben. Die Casa Invisible hat zur sogenannten Asamblea
abierta (dt.: offenen Versammlung) eingeladen, einer Art Krisensitzung zum Ideenaustausch nach den Ereignissen der vergangenen Wochen.
Denn das im Jahr 2007 durch Hausbesetzung entstandene Kulturzentrum, das sich durch sein großes Angebot an Kursen, Workshops, Ausstellungen und solidarischen Aktionen sowie durch Konzerte, Theateraufführungen und unzählige weitere Veranstaltungen auch außerhalb der Provinz Málaga einen Namen gemacht hat, ist in seiner Existenz bedroht. Jedenfalls in seiner jetzigen Form.
Am 30. Oktober hatte der Stadtrat von Málaga beschlossen, die Casa Invisible zwar als Kulturzentrum aufrechtzuerhalten, aber deren Betrieb öffentlich auszuschreiben. Die Organisatoren und viele der regelmäßigen Besucher der Casa Invisible deuten dies dahingehend, dass sie über kurz oder lang das Haus räumen müssen, da bei Ausschreibungen meist der zahlungskräftigste Bieter den Zuschlag erhält.
Den Antrag auf die Ausschreibung hatte die Partei Ciudadanos gestellt. Deren stellvertretender Vorsitzender Alejandro Carballo hatte erklärt, dass sich die Casa Invisible in einer rechtlichen Grauzone befinde, denn es gehe nicht an, dass die Stadt das Gebäude 2005 für 3,8 Millionen Euro enteignet hat und es danach widerrechtlich besetzt wurde. Die Oppositionsparteien PSOE, Málaga Ahora und Málaga para la Gente stimmten gegen den Antrag, wurden jedoch überstimmt, da sich die in Minderheit regierende konservative Volkspartei PP auf die Seite von Ciudadanos stellte und somit die nötige Mehrheit erreicht wurde. Da die PP das besetzte Kulturzentrum zehn Jahre lang mehr oder weniger geduldet und Bürgermeister Francisco de la Torre sogar mehrmals angedeutet hatte, dass die Stadt das Recht zur Nutzung des Gebäudes für mehrere Jahre an die aktuellen Betreiber abtreten könne, versuchte Kulturstadträtin Gemma del Corral den offenkundigen Kurswechsel herunterzuspielen.
Die PP-Politikerin sagte, dass die Casa Invisible zwar das Kulturangebot der Stadt ergänze, dass es aber juristisch problematisch sei, eine direkte Abtretung vorzunehmen auf der Grundlage einer illegalen Hausbesetzung. Am Ende meinte sie, dass die aktuellen Betreiber des Kulturzentrums sich an der Ausschreibung beteiligen sollten und „keine Angst vor der He-
rausforderung haben müssen, die jetzt auf sie zukommt“– in anderen Worten, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass sie die Ausschreibung gewinnen könnten.
„Spanien verunglimpft“
Dass die Partei Ciudadanos am 30. Oktober dem Plenum des Stadtrats den Antrag auf die Ausschreibung des Betriebs der Casa Invisible vorlegen werde, wussten die Betreiber des Kulturhauses bereits seit einer Pressekonferenz, die Ciudadanos-Vize Alejandro Carbella am 21. Oktober gegeben hatte, so dass sie am 28. Oktober eine Demonstration veranstalteten, an der sich Hunderte von Bürgern beteiligten. Auf der Pressekonferenz hatte Carballo sich nebenbei auch über eine Gemeinschaftsausstellung über Kriege in dem Kulturzentrum mokiert, in deren Verlauf eine Henkerschlinge in den Farben der spanischen Nationalfahne von einem Balkon des Gebäudes auf die Straße hinaus gehängt worden war. Dies wird von den meisten Organisatoren und Gästen der Casa Invisible auch als den eigentlichen Grund für den Antrag von Ciudadanos angesehen.
Auf der Versammlung in der Casa Invisible gibt Kike España, einer der Organisatoren des Kulturzentrums, zunächst einen Rückblick. Nach der Besetzung des damals seit mehreren Jahren leerste- henden Gebäudes im März 2007 habe die Stadt anfangs mehrmals mit der Räumung des Gebäudes gedroht, schließlich aber doch Dialogbereitschaft gezeigt.
Kike España verweist auf das sogenannte Intentionenprotokoll vom Januar 2011, das von den Betreibern der Casa Invisible, der Stadt Málaga, der andalusischen Landesregierung, der Prozinzverwaltung und dem Museo Reina Sofia in Madrid als Repräsentant des Spanischen Kulturministeriums unterzeichnet worden war. Laut diesem Dokument, das den Stellenwert eines Vertrags besaß, wurde den Betreibern des Kulturzentrums erlaubt, für ein Jahr lang ganz legal das Gebäude für ihre Aktivitäten nutzen zu dürfen.
Als Bedingungen wurde gestellt, dass die Hausbesetzer eine Stiftung zum Betrieb des Zentrums gründen sowie der Stadt ein detailliertes, über mehrere Monate laufendes Kulturprogramm vorlegen sollten. Falls diese Bedingungen erfüllt werden, so hieß es, sei es möglich, das nur für ein Jahr erteilte Nutzungsrecht auf einen längeren Zeitraum auszudehnen.
Situation der „Semi-Legalität“
„Wir haben beide Bedingungen erfüllt, denn wir haben sowohl die Stiftung Fundación de los Comunes gegründet als auch ein ausführliches Kulturprogramm präsentiert“, sagt Kike España. „Die Stadt hat darauf allerdings mit Schweigen reagiert, so dass wir uns seitdem in einer Situation der Semi-Legalität befinden, was sich bis heute nicht geändert hat.“
Der Aktivist fährt fort und berichtet von der Schließung der Ca- sa Invisible am 23. Dezember 2014 durch die Ortspolizei von Málaga und der darauf folgenden Demonstration am 11. Januar 2015, an der unerwartet Tausende von Bürgern aller Altersgruppen und sozialer Schichten teilgenommen hatten. Die Schließung des Gebäudes war von der Stadtregierung angeordnet worden, da eine Inspektion des Bauamts Mängel bei den elektronischen Installationen und bezüglich der Brandschutzbestimmungen konstatiert hatte. Der Haupteingang zur Calle Nosquera wurde verschlossen und mehrere Räume wie die Cafeteria am Eingang versiegelt, was die Betreiber der Casa Invisible allerdings nicht daran hinderte, den Hintereingang von der Calle Andrés Pérez aus zu öffnen und im Innenhof kleinere Treffen zu veranstalten.
„Nach der großen Demonstration hat die Stadtverwaltung eingelenkt und wieder Dialogbereitschaft gezeigt“, erzählt Kike España. „Wir haben die Mängel bei den Elektroinstallationen und den Brandschutzvorkehrung behoben und danach den Hof für das Publikum eröffnet“, fährt er fort. „Die Stadt hat uns wieder geduldet, aber uns zur Auflage gemacht, keine Veranstaltungen mit hohem Publikumsaufkommen, sprich Konzerte, mehr zu veranstalten.“
Im September 2015 habe Málagas Bürgermeister Francisco de la Torre dann plötzlich versprochen, dass eine offizielle Abtretung des Nutzungsrechts über das Gebäude möglich sei, falls die neue Stiftung zur sogenannten Entidad de Utilidad Pública Municipal (dt.: Körperschaft von öffentlichem Nutzen der Stadt) erklärt und ein Projekt für die Restaurierung des noch aus dem 19. Jahrhundert stammenden Hauses erstellt würde. „Wieder haben wir beide Bedingungen erfüllt, und das städtische Bauamt fand unser in Arbeitsgruppen erarbeitetes Restaurierungs-Projekt sogar gut und hat nur wenige Änderungen gefordert“, sagt Kike España, der als Architekt das Projekt koordiniert hatte.
Nutzungsrecht wurde für ein Jahr erteilt und nicht mehr verlängert
Danach erfolgte allerdings nicht die Abtretung des Nutzungsrechts, sondern laut dem jungen Architekten wieder eine Zeit des Schweigens von Seiten der Stadt, die bis zum Oktober dieses Jahres angedauert hat. „Seitdem haben wir es schwer, unsere Aktivitäten zu veranstalten“, meint er, „denn das allgemeine Publikum darf ja nur den Hof nutzen.“
180-Grad-Wende der PP
Seinen Vortrag beschließt Kike España mit den jüngsten, eingangs geschilderten Ereignissen. „Die Ausschreibung des Nutzungsrechts über das Gebäude ist lediglich der Versuch, eine Zwangsräumung zu legitimieren“, sagt er. „Es ist traurig, dass die Stadtregierung mit Unterstützung der PP eine 180Grad-Wende vollzogen hat.“
Jetzt ist die Zeit für Beiträge aus dem Publikum gekommen. Gleich zu Beginn meldet sich eine ältere Frau zu Wort, die Mitglied der linken Gewerkschaft SAT ( Sindicato Andaluz de Trabajado
res) ist. „Wenn die Casa Invisible geräumt wird, werden wir sie am nächsten Tag wieder besetzen. Die können uns so oft verjagen, wie sie wollen, doch wir kommen immer wieder“, meint sie.
Ein Mann Ende fünfzig, der der Hypothekenopfer-Vereinigung PAH angehört, fragt im Scherz, ob er denn aussehe wie ein Systemgegner, da als solche die Aktivisten der Casa Invisible stets von Seiten der Stadt bezeichnet würden. Noch mehr Personen äußern sich über das besetzte Kulturzentrum und wie wichtig es ihnen ist, dass es in seiner jetzigen Form erhalten bleibt, doch bis auf eine junge Frau, die meint, dass spanienweite Protestaktionen ergriffen werden müssten, werden kaum Vorschläge darüber gemacht, wie es weitergehen soll.
Eher eine Versteigerung
Am Ende ergreift Amanda Romero, die Anwältin der Casa Invisible und selbst Aktivistin, das Mikrofon. „Eine Ausschreibung, dessen einzige Bedingung ist, eine Million Euro für die Restaurierung des Gebäudes zu besitzen, ist keine Ausschreibung, sondern eher eine Versteigerung.“