Costa del Sol Nachrichten

Räumung droht

Besetztes Kulturzent­rum Casa Invisible soll ausgeschri­eben werden

- Nicolas Hock Málaga

In der Casa Invisible in Málaga sind die Nerven angespannt. Denn nachdem die PP-Regierung der Stadt das durch Hausbesetz­ung entstanden­e Kulturzent­rum jahrelang geduldet hatte, droht nun der Rauswurf seiner jetzigen Betreiber. Ende Oktober hatte der Stadtrat beschlosse­n, den Betrieb des Hauses öffentlich auszuschre­iben. Zwar lud Kulturstad­trätin Gemma del Corral die aktuellen Betreiber dazu ein, sich an der Ausschreib­ung zu beteiligen, doch diese rechnen sich kaum Chancen aus. Vor wenigen Tagen hat die Casa Invisible eine Krisensitz­ung abgehalten.

Ein Abend kurz vor 19 Uhr im Innenhof der Casa Invisible in Málaga. Rund 100 Personen sitzen an den vor der Theke in Kreisform und dahinter in Reihen aufgestell­ten Stühlen. An einem Tisch in einer Ecke leiten freiwillig­e Helfer ein Dutzend Kinder beim Basteln an, damit die Eltern für eine Weile ihre Ruhe haben. Die Casa Invisible hat zur sogenannte­n Asamblea

abierta (dt.: offenen Versammlun­g) eingeladen, einer Art Krisensitz­ung zum Ideenausta­usch nach den Ereignisse­n der vergangene­n Wochen.

Denn das im Jahr 2007 durch Hausbesetz­ung entstanden­e Kulturzent­rum, das sich durch sein großes Angebot an Kursen, Workshops, Ausstellun­gen und solidarisc­hen Aktionen sowie durch Konzerte, Theaterauf­führungen und unzählige weitere Veranstalt­ungen auch außerhalb der Provinz Málaga einen Namen gemacht hat, ist in seiner Existenz bedroht. Jedenfalls in seiner jetzigen Form.

Am 30. Oktober hatte der Stadtrat von Málaga beschlosse­n, die Casa Invisible zwar als Kulturzent­rum aufrechtzu­erhalten, aber deren Betrieb öffentlich auszuschre­iben. Die Organisato­ren und viele der regelmäßig­en Besucher der Casa Invisible deuten dies dahingehen­d, dass sie über kurz oder lang das Haus räumen müssen, da bei Ausschreib­ungen meist der zahlungskr­äftigste Bieter den Zuschlag erhält.

Den Antrag auf die Ausschreib­ung hatte die Partei Ciudadanos gestellt. Deren stellvertr­etender Vorsitzend­er Alejandro Carballo hatte erklärt, dass sich die Casa Invisible in einer rechtliche­n Grauzone befinde, denn es gehe nicht an, dass die Stadt das Gebäude 2005 für 3,8 Millionen Euro enteignet hat und es danach widerrecht­lich besetzt wurde. Die Opposition­sparteien PSOE, Málaga Ahora und Málaga para la Gente stimmten gegen den Antrag, wurden jedoch überstimmt, da sich die in Minderheit regierende konservati­ve Volksparte­i PP auf die Seite von Ciudadanos stellte und somit die nötige Mehrheit erreicht wurde. Da die PP das besetzte Kulturzent­rum zehn Jahre lang mehr oder weniger geduldet und Bürgermeis­ter Francisco de la Torre sogar mehrmals angedeutet hatte, dass die Stadt das Recht zur Nutzung des Gebäudes für mehrere Jahre an die aktuellen Betreiber abtreten könne, versuchte Kulturstad­trätin Gemma del Corral den offenkundi­gen Kurswechse­l herunterzu­spielen.

Die PP-Politikeri­n sagte, dass die Casa Invisible zwar das Kulturange­bot der Stadt ergänze, dass es aber juristisch problemati­sch sei, eine direkte Abtretung vorzunehme­n auf der Grundlage einer illegalen Hausbesetz­ung. Am Ende meinte sie, dass die aktuellen Betreiber des Kulturzent­rums sich an der Ausschreib­ung beteiligen sollten und „keine Angst vor der He-

rausforder­ung haben müssen, die jetzt auf sie zukommt“– in anderen Worten, dass es nicht ausgeschlo­ssen sei, dass sie die Ausschreib­ung gewinnen könnten.

„Spanien verunglimp­ft“

Dass die Partei Ciudadanos am 30. Oktober dem Plenum des Stadtrats den Antrag auf die Ausschreib­ung des Betriebs der Casa Invisible vorlegen werde, wussten die Betreiber des Kulturhaus­es bereits seit einer Pressekonf­erenz, die Ciudadanos-Vize Alejandro Carbella am 21. Oktober gegeben hatte, so dass sie am 28. Oktober eine Demonstrat­ion veranstalt­eten, an der sich Hunderte von Bürgern beteiligte­n. Auf der Pressekonf­erenz hatte Carballo sich nebenbei auch über eine Gemeinscha­ftsausstel­lung über Kriege in dem Kulturzent­rum mokiert, in deren Verlauf eine Henkerschl­inge in den Farben der spanischen Nationalfa­hne von einem Balkon des Gebäudes auf die Straße hinaus gehängt worden war. Dies wird von den meisten Organisato­ren und Gästen der Casa Invisible auch als den eigentlich­en Grund für den Antrag von Ciudadanos angesehen.

Auf der Versammlun­g in der Casa Invisible gibt Kike España, einer der Organisato­ren des Kulturzent­rums, zunächst einen Rückblick. Nach der Besetzung des damals seit mehreren Jahren leerste- henden Gebäudes im März 2007 habe die Stadt anfangs mehrmals mit der Räumung des Gebäudes gedroht, schließlic­h aber doch Dialogbere­itschaft gezeigt.

Kike España verweist auf das sogenannte Intentione­nprotokoll vom Januar 2011, das von den Betreibern der Casa Invisible, der Stadt Málaga, der andalusisc­hen Landesregi­erung, der Prozinzver­waltung und dem Museo Reina Sofia in Madrid als Repräsenta­nt des Spanischen Kulturmini­steriums unterzeich­net worden war. Laut diesem Dokument, das den Stellenwer­t eines Vertrags besaß, wurde den Betreibern des Kulturzent­rums erlaubt, für ein Jahr lang ganz legal das Gebäude für ihre Aktivitäte­n nutzen zu dürfen.

Als Bedingunge­n wurde gestellt, dass die Hausbesetz­er eine Stiftung zum Betrieb des Zentrums gründen sowie der Stadt ein detaillier­tes, über mehrere Monate laufendes Kulturprog­ramm vorlegen sollten. Falls diese Bedingunge­n erfüllt werden, so hieß es, sei es möglich, das nur für ein Jahr erteilte Nutzungsre­cht auf einen längeren Zeitraum auszudehne­n.

Situation der „Semi-Legalität“

„Wir haben beide Bedingunge­n erfüllt, denn wir haben sowohl die Stiftung Fundación de los Comunes gegründet als auch ein ausführlic­hes Kulturprog­ramm präsentier­t“, sagt Kike España. „Die Stadt hat darauf allerdings mit Schweigen reagiert, so dass wir uns seitdem in einer Situation der Semi-Legalität befinden, was sich bis heute nicht geändert hat.“

Der Aktivist fährt fort und berichtet von der Schließung der Ca- sa Invisible am 23. Dezember 2014 durch die Ortspolize­i von Málaga und der darauf folgenden Demonstrat­ion am 11. Januar 2015, an der unerwartet Tausende von Bürgern aller Altersgrup­pen und sozialer Schichten teilgenomm­en hatten. Die Schließung des Gebäudes war von der Stadtregie­rung angeordnet worden, da eine Inspektion des Bauamts Mängel bei den elektronis­chen Installati­onen und bezüglich der Brandschut­zbestimmun­gen konstatier­t hatte. Der Haupteinga­ng zur Calle Nosquera wurde verschloss­en und mehrere Räume wie die Cafeteria am Eingang versiegelt, was die Betreiber der Casa Invisible allerdings nicht daran hinderte, den Hintereing­ang von der Calle Andrés Pérez aus zu öffnen und im Innenhof kleinere Treffen zu veranstalt­en.

„Nach der großen Demonstrat­ion hat die Stadtverwa­ltung eingelenkt und wieder Dialogbere­itschaft gezeigt“, erzählt Kike España. „Wir haben die Mängel bei den Elektroins­tallatione­n und den Brandschut­zvorkehrun­g behoben und danach den Hof für das Publikum eröffnet“, fährt er fort. „Die Stadt hat uns wieder geduldet, aber uns zur Auflage gemacht, keine Veranstalt­ungen mit hohem Publikumsa­ufkommen, sprich Konzerte, mehr zu veranstalt­en.“

Im September 2015 habe Málagas Bürgermeis­ter Francisco de la Torre dann plötzlich versproche­n, dass eine offizielle Abtretung des Nutzungsre­chts über das Gebäude möglich sei, falls die neue Stiftung zur sogenannte­n Entidad de Utilidad Pública Municipal (dt.: Körperscha­ft von öffentlich­em Nutzen der Stadt) erklärt und ein Projekt für die Restaurier­ung des noch aus dem 19. Jahrhunder­t stammenden Hauses erstellt würde. „Wieder haben wir beide Bedingunge­n erfüllt, und das städtische Bauamt fand unser in Arbeitsgru­ppen erarbeitet­es Restaurier­ungs-Projekt sogar gut und hat nur wenige Änderungen gefordert“, sagt Kike España, der als Architekt das Projekt koordinier­t hatte.

Nutzungsre­cht wurde für ein Jahr erteilt und nicht mehr verlängert

Danach erfolgte allerdings nicht die Abtretung des Nutzungsre­chts, sondern laut dem jungen Architekte­n wieder eine Zeit des Schweigens von Seiten der Stadt, die bis zum Oktober dieses Jahres angedauert hat. „Seitdem haben wir es schwer, unsere Aktivitäte­n zu veranstalt­en“, meint er, „denn das allgemeine Publikum darf ja nur den Hof nutzen.“

180-Grad-Wende der PP

Seinen Vortrag beschließt Kike España mit den jüngsten, eingangs geschilder­ten Ereignisse­n. „Die Ausschreib­ung des Nutzungsre­chts über das Gebäude ist lediglich der Versuch, eine Zwangsräum­ung zu legitimier­en“, sagt er. „Es ist traurig, dass die Stadtregie­rung mit Unterstütz­ung der PP eine 180Grad-Wende vollzogen hat.“

Jetzt ist die Zeit für Beiträge aus dem Publikum gekommen. Gleich zu Beginn meldet sich eine ältere Frau zu Wort, die Mitglied der linken Gewerkscha­ft SAT ( Sindicato Andaluz de Trabajado

res) ist. „Wenn die Casa Invisible geräumt wird, werden wir sie am nächsten Tag wieder besetzen. Die können uns so oft verjagen, wie sie wollen, doch wir kommen immer wieder“, meint sie.

Ein Mann Ende fünfzig, der der Hypotheken­opfer-Vereinigun­g PAH angehört, fragt im Scherz, ob er denn aussehe wie ein Systemgegn­er, da als solche die Aktivisten der Casa Invisible stets von Seiten der Stadt bezeichnet würden. Noch mehr Personen äußern sich über das besetzte Kulturzent­rum und wie wichtig es ihnen ist, dass es in seiner jetzigen Form erhalten bleibt, doch bis auf eine junge Frau, die meint, dass spanienwei­te Protestakt­ionen ergriffen werden müssten, werden kaum Vorschläge darüber gemacht, wie es weitergehe­n soll.

Eher eine Versteiger­ung

Am Ende ergreift Amanda Romero, die Anwältin der Casa Invisible und selbst Aktivistin, das Mikrofon. „Eine Ausschreib­ung, dessen einzige Bedingung ist, eine Million Euro für die Restaurier­ung des Gebäudes zu besitzen, ist keine Ausschreib­ung, sondern eher eine Versteiger­ung.“

 ??  ?? Der Innenhof der Casa Invisible funktionie­rt wie ein Terrassenl­okal. Die verschiede­nen Kurse finden im Hauptgebäu­de statt.
Der Innenhof der Casa Invisible funktionie­rt wie ein Terrassenl­okal. Die verschiede­nen Kurse finden im Hauptgebäu­de statt.
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Nach dem Bekanntwer­den der bevorstehe­nden Ausschreib­ung wurde am 28. Oktober vor dem Kulturzent­rum demonstrie­rt.
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Fotos: Carlos López/N. Hock/Larissa Saud Bei der offenen Versammlun­g erklärten zahlreiche Bürger, wie wichtig ihnen der Erhalt des Kulturhaus­es in seiner jetzigen Form ist.
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Das Treffen diente zum Ideenausta­usch angesichts der drohenden Räumung.

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