Comeback des Ex um „Gesetz und Einheit wiederherzustellen“, forderte er eine „saubere und demokratische Wahl“. Die hat Rajoy bekommen. Doch das Ergebnis wird ihm kaum gefallen haben: Das separatistische
Katalonien-Wahl: Separatisten gewinnen – Carles Puigdemont triumphiert
Als Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy die katalanische Regierung am 27. Oktober wegen der einseitigen Unabhängigkeitserklärung absetzte und die Region unter Zwangsverwaltung stellte, Lager hat wieder die absolute Mehrheit gewonnen und ausgerechnet der abgesetzte Regierungschef Carles Puigdemont steht vor seiner politischen Wiedergeburt.
Als Mariano Rajoy am 27. Oktober die katalanische Regierung wegen der einseitigen Unabhängigkeitserklärung absetzte, die Region unter Zwangsverwaltung stellte und Neuwahlen anordnete, begründete er die Entscheidung mit folgendem Satz: „Gesetz und Einheit sind wiederherzustellen – und am besten geschieht das mit einer sauberen und demokratischen Wahl.“
Nun, eine saubere und demokratische Wahl in der Konfliktregion Katalonien hat Spaniens Ministerpräsident bekommen. Das Ergebnis kann ihm nicht gefallen haben: Das separatistische Lager hat wieder die absolute Mehrheit gewonnen. Rajoy ist mit seiner Katalonien-Politik krachend gescheitert. So sitzt der wahre Wahl-Verlierer in Madrid.
Die Wahl vom 21. Dezember bedeutet für Rajoy gleich in mehrfacher Hinsicht ein Debakel: So ging das Kalkül nicht auf, die Unabhängigkeitsgegner in Katalonien würden die Wahl gewinnen und so das Gespenst des „Procés“erst einmal für ein paar Jahre vertreiben. Stattdessen steht ausgerechnet der abgesetzte Regierungschef Carles Puigdemont vor seiner politischen Wiedergeburt.
Hinzu kommt, dass Rajoys Volkspartei (PP) von den Wählern in Katalonien auf die Größe einer Splittergruppe geschrumpft wurde. Das PP-Ergebnis dürfte in Europa einmalig schlecht für eine Regie- rungspartei bei einer Regionalwahl gewesen sein. Und Ciudadanos (C’s), die als stärkste politische Kraft in Katalonien aus der Wahl hervorgegangen ist, muss die PP jetzt auch auf gesamtspanischer Ebene fürchten. Die Vorherrschaft im liberalkonservativen Lager könnte in Gefahr geraten. In der Parteizentrale in Madrid überlegt man sich bereits Strategien, wie Ciudadanos am besten auszubremsen ist.
C’s mit der eloquenten Inés Arrimadas an der Spitze ist zwar die Wahlsiegerin vom 21. Dezember. Der Wähler bescherten den Liberalen zunächst 37 Sitze im neuen Regionalparlament, was einem Stimmenanteil von 25,3 Prozent entspricht, und machten sie zur stärksten Fraktion. Nach der Auszählung der Stimmen der Auslands-Katalanen ging ein Sitz allerdings wieder verloren und fiel an die PP. Bei der Regionalwahl 2015 hatte C’s 25 Sitze erhalten und war schon damals stärkste Oppositionpartei.
Doch um Ministerpräsidentin zu werden, fehlen Arrimadas die Partner. So will sie den Versuch, eine Regierung zu bilden, erst einmal den Separatisten überlassen. Dass es für das prospanische Lager der „Constitucionalistas“trotz des Spitzenergebnisses für Ciudadanos nicht zu einer Mehrheit reichte, lag am schwachen Abschneiden der Sozialisten (PSC) und der Volkspartei. Zwar gewann PSC einen Sitz hinzu im Vergleich zu 2015 und kam auf 17 Mandate (13,86 Prozent). Doch Landesparteichef Miguel Iceta, der vor der Wahl für sich schon das Amt des Regierungschefs beansprucht hatte, musste kleinlaut einräumen, dass man die Erwartungen nicht erfüllt habe.
Zur Blamage gesellt sich Spott
Die PP wiederum wurde von elf Mandaten 2015 auf zunächst drei, mit den Stimmen der AuslandsKatalanen dann auf vier Sitze reduziert. Das waren nur noch 4,2 Prozent der Stimmen. Damit schnitt die PP sogar noch schlechter ab als die neomarxistische CUP, die ebenfalls vier Sitze erhielt und auf 4,5 Prozent der Wählerstimmen kam.
Die PP erntete für ihre WahlBlamage auch noch reichlich Spott. Weil vier Sitze nicht zur Bildung einer Fraktion ausreichen, müssen nun die PP-Abgeordneten zusammen mit den CUP-Mandatsträgern in der sogenannten Gemischten Gruppe (grupo mixto) der Fraktionslosen sitzen.
Auch die weder dem einem noch dem anderen Lager zuzurechnende linkspolitische Liste Catalunya en Comú-Podem blieb mit 7,4 Prozent hinter den Erwartungen zurück. Die acht Sitze (2015: elf Mandate) reichen nicht, um die Rolle eines Mehrheitsbeschaffers für die eine oder andere Seite auszuüben. Vor der Wahl hatte man die Podemos-nahe Liste durchaus in dieser Position gesehen.
Puigdemont mit Oberwasser
Das separatistische Lager, das im Gegensatz zu 2015 diesmal getrennt marschierte, konnte dagegen die absoluten Mehrheit behaupten. Trotz einer schwierigen Ausgangslage. Schließlich saßen über ein Dutzend wichtiger Kandidaten im Gefängnis oder hatten sich nach Belgien abgesetzt. Zusammen aber kamen die Puigdemont-Liste Junts per Catalunya, die Linksrepublikaner (ERC) sowie CUP auf 70 der insgesamt 135 Mandate, also zwei Sitze mehr, als zur absoluten Mehrheit von 68 Sitzen notwendig sind. Bei der Regionalwahl 2015 waren es 72 Mandate. Die zwei Mandate weniger sind auf das schlechte Abschneiden von CUP zurückzuführen. Die Linksradikalen hatte 2015 noch zehn Sitze erobert, jetzt waren es nur noch vier.
Im „Procés“-Lager hatten vor dem 21. Dezember alle Prognosen die Linksrepublikaner des in UHaft sitzenden Oriol Junqueras als stärkste Kraft gesehen. Doch ERCVizechefin Marta Rovira schaffte es nicht, den Vorsprung aus den Umfragen ins Ziel zu retten. Mit 32 Sitzen (21,4 Prozent) blieb die Partei hinter Junts per Catalunya zurück, die 34 Mandate errang (21,7 Prozent). Dass beide Separatistenparteien aber wieder von der linksradikalen CUP abhängig sind, halten Beobachter für bedenklich.
Wie auch immer: Der in Brüssel im selbstgewählten „Exil“sitzende Carles Puigdemont betrachte sich jedenfalls als der eigentliche Wahlsieger – und stellte denn auch gleich an Rajoy die Forderung nach einem „Treffen ohne Vorbedingungen“. Der Ex-Regierungschef hat nur ein Problem für sein Comeback: Gegen ihn besteht noch immer ein Haftbefehl. Sobald er die Grenze nach Spanien überquert, wird er festgenommen.
Die Linksrepublikaner wären wohl bereit, mit ihren Stimmen Puigdemont wieder zum Ministerpräsidenten zu küren. Allerdings machen sie ihre Unterstützung von dessen Präsenz in Barcelona abhängig. Die Vorstellung, dass Katalonien aus dem „Exil“in Belgien heraus regiert wird, kommt für ERC nicht in Frage. Bis Mitte April läuft die Frist für eine Regierungsbildung.
Die Rekordbeteiligung von 82 Prozent zeigt indes, wie ernst die Katalanen die Wahl am 21. Dezember genommen haben. So gesehen war der Urnengang tatsächlich eine Abstimmung über die Frage der Unabhängigkeit der Region. Ganz anders als das illegale Referendum am 1. Oktober.
Doch obwohl die Wahlbeteiligung so hoch war, gaben nur 43,7 Prozent der Teilnehmer ihre Stimme dem rein prospanischen Lager. Die sogenannte „schweigende Mehrheit“, die vor allem von der Volkspartei stets als Argument gegen die Separatisten ins Feld geführt wurde, existiert also gar nicht. Sie ist Fiktion.
Andererseits ist der Erfolg der Separatisten keineswegs so strahlend, wie ihn ihre Anhänger nun darstellen. Zwar haben die Befür- worter einer katalanischen Republik im Parlament in Barcelona zusammen die absolute Mehrheit an Sitzen, doch erhielten sie nur 47,5 Prozent der Wählerstimmen. Das Wahlrecht bevorzugt bei der Sitzverteilung gerade in Katalonien die ländlichen Gebiete. Dort sind die Separatisten besonders stark.
Ein Mandat für die Trennung von Spanien lässt sich aus diesem Ergebnis jedenfalls nicht ablesen. Gleichwohl warnte die Zeitung „El País“: „Die Versuchung, die absolute Mehrheit der Separatisten in Treibstoff für eine Neubelebung des politischen und sozialen Konflikts zu verwandeln, ist vorhanden.“
Unterdessen sind sich fast alle Kommentatoren einig, wer die Wahl in Katalonien eigentlich verloren hat: Mariano Rajoy. Die der PP nahestehende Zeitung „El Mundo“meinte, Rajoy werde „von dem Debakel deutlich geschwächt“und werde nun vom „Gespenst der Neuwahlen“auf nationaler Ebene bedroht. Auch aus den eigenen Reihen kam Kritik auf: Der in der PP einflussreiche Regierungschef von Galicien, Alberto Núñez Feijóo, forderte Selbstkritik ein: „Wir können nicht immer den anderen die Schuld geben.“
„Rajoys größte Tragödie“titelte Ruben Amón seine Kolumne in der Zeitung „El País“. Der Schriftsteller sieht dessen politische Zukunft „kompromittiert“. Rajoy sei unter anderem die Anwendung von Polizeigewalt beim illegalen Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober in Katalonien nicht verziehen worden.
„El País“sprach nach dem 21. Dezember in einem Leitartikel aber auch von einer „ungewissen Zukunft“. Zumindest kurzfristig sieht es für Katalonien in der Tat alles andere als gut aus: Über 3.000 und zum Teil sehr wichtige Unternehmen haben der Region wegen der politischen Unsicherheit den Rücken gekehrt und ihren Sitz aus Katalonien weg verlegt. Zunehmend bleiben auch Touristen aus. Und die ausländischen Investitionen brachen im dritten Quartal des Jahres um 75 Prozent ein.
Das Umdenken fällt schwer
Rajoy selbst tat sich schwer, die Realität anzuerkennen, die das Wahlergebnis in Katalonien mit sich gebracht hat: „Die Unabhängigkeitsbewegung hat weiter an Zustimmung verloren“, kommentierte der Ministerpräsident das Wahlergebnis“vor Journalisten. Auf die Frage nach Verhandlungen mit den Separatisten antwortete Rajoy ebenfalls auf die stereotypische Weise: „Nur auf der Grundlage des Gesetzes.“
Auch König Felipe vermag keine neuen Akzente zu setzen. In seiner Weihnachtsansprache rief er die politischen Entscheidungsträger in der Konfliktregion zu verantwortlichem Handeln auf: „In Katalonien darf der Weg nicht erneut zu Konfrontation oder Ausschluss führen“, warnte der Monarch. Es müssten wieder „Gelassenheit, Stabilität und gegenseitiger Respekt herrschen“. Spanien sei eine reife Demokratie, in der jeder Bürger seine Meinung und Ideen frei und demokratisch äußern und verteidigen könne. „Aber niemand kann die eigenen Ideen gegen die Rechte der anderen durchsetzen“, sagt der König.
Allerdings verstehen PP, C’s und PSOE einen Teil der Rede des Königs auch als Aufruf zu Reformen. „Niemand will ein erstarrtes und konformistisches Spanien“, hatte der Monarch auch gesagt. Die drei Parteien interpretieren diesen Satz als Aufruf, die Reformen anzugehen, die das Land benötige.
Aber noch sind die „verfassungstreuen“Parteien nicht so weit, um etwa aus dem Wahlergebnis eine neue Katalonien-Politik abzuleiten. Sowohl Sozialisten als auch Ciudadanos gaben Rajoy bereits einen Freibrief für eine gegebenenfalls neue Anwendung von Artikel 155 der Verfassung. Erst einmal aber bleibt Katalonien unter Zwangsverwaltung, bis eine neue Regionalregierung steht.
Die sogenannte „schweigende Mehrheit“der Katalanen ist nur eine Fiktion