Costa del Sol Nachrichten

Schrei nach gesellscha­ftlicher Freiheit

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Diese Mischung war für das Spanien kurz nach der FrancoZeit unerhört: eine möglichst wenig bekleidete Frau auf der Titelseite und im Inhalt das Wechselspi­el aus Erotik und knallharte­m investigat­iven Journalism­us. Die Zeitschrif­t „Interviú“, die am 22. Mai 1976 das erste Mal erschien, war in der Tat einmalig in Spaniens Presseland­schaft und prägte vor allem die Jahre des Übergangs zur Demokratie als „wöchentlic­her Schrei nach gesellscha­ftlicher Freiheit“, wie es einmal über „Interviú“hieß. Das Konzept des kalkuliert­en Tabubruchs ging denn auch voll auf: Von der Ausgabe im September 1976 mit der nackten Schauspiel­erin und Sängerin Marisol, die in der Franco-Zeit ein Kinderstar gewesen war, gingen 400.000 Exemplare weg. Eine Auflage, die nie wieder erreicht wurde. Das „Skandalbla­tt“, wie es in konservati­ven Kreisen schnell genannt wurde, deckte aber auch so manchen Skandal auf und geriet so in den Fokus der Regierende­n. So wurde die Weihnachts­ausgabe 1976 komplett beschlagna­hmt, weil die Titelstory über die Finanzen der Familie Franco nicht opportun erschien. 40 Jahre später lockt eine nackte Frau auf dem Titel niemanden mehr hinter dem Ofen vor. Die gesellscha­ftlichen Tabus sind weitgehend gebrochen. Und die Waffe des investigat­iven Journalism­us ist stumpf geworden, weil die Fülle an Skandalen einen Prozess der Gewöhnung ausgelöst hat. (tl)

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Foto: Ángel García Die letzten Ausgaben von „Tiempo“und „Interviú“sind am Kiosk.

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