Marmor, Stein und Reben
Römer, Phönizier und Mauren: Eine Wanderung durch die Sierra de Mijas bietet Einblicke in die Geschichte des Ortes
Vor 800 Jahren hatten die Männer von Mijas Werkzeuge und einen Proviantbeutel geschultert, wenn sie die Sierra de Mijas ansteuerten, um Marmorblöcke aus dem Berg zu hauen oder Trauben zu ernten. Die bunte Truppe mit Nordic-Walking-Stöcken und Pudelmützen wandelt an diesem Samstagmorgen im Januar auf ihren Spuren.
Schon im Ort gehts stetig bergauf durch schmale Gässchen, vorbei an trocknenden Socken und Hunderten von Blumentöpfen, die die weißgekalkten Hauswände zieren. Noch schnell über die A-387 gewischt, fünf Minuten bergauf gekraxelt, kurz dem Vía Crucis, dem Kreuzweg, gefolgt und schon steht der 30-köpfige Wanderpulk aus Spanier, Briten und Deutschen vor der Ermita del Cal- vario, dem Ausgangspunkt der vierstündigen Wanderung, bei der die Wandersleute den roten Markierungen auf der „Ruta Roja“Richtung Puerto Colorado folgen. Den Weg säumen insgesamt 14 Kreuze bis zum Cruz de la Misión.
„Wir folgen dem Weg an der südlichen Seite der Sierra de Mi- jas,“erklärt einer der Wanderführer, Patricio Pastor, der die Tour zusammen mit seinem Kollegen David Amat leitet. Beide arbeiten für das Unternehmen Aguesa, das das Tourismusamt von Mijas engagiert hat. Die beiden führen von Oktober bis Juni Naturbegeisterte durch die Sierra de Mijas. Noch schnell ein paar Fotos mit Blick auf Mijas und dem Meer im Hintergrund geschossen und schon folgt der Trupp der roten Route, wobei Mijas zu ihrer Linken liegt. Am ersten Stopp erklärt David, dass die Entstehung von Mijas auf die Tartesser zurückgehe. Reste dieser Zivilisation, die 600 v. Chr. in dem Gebiet gelebt hat, seien in der Nähe der Stadtmauer von Mijas gefunden worden. Nachdem die Phönizier in Mijas gesiedelt hatten, folgte um das 1. Jahrhundert vor Christus die Herrschaft der Römer. Un- ter den Römern trug Mijas den Namen Tamisa. Zu jener Zeit sei der Bergbau enorm bedeutend gewesen. So hätten die Römer Edelmetalle wie Blei und Nickel gewonnen. Auch Marmor hätten die Römer damals abgebaut.
Unter maurischer Herrschaft
Durch den Einfall von Truppen aus Zentraleuropa war Mijas´ Glanzzeit nach der Herrschaft der Römer für einige Zeit erloschen. Eine neue Blütezeit begann, als im Jahr 714 n. Chr. die Mauren in Algeciras an Land gingen und allmählich Richtung Osten vordrangen. Ab diesem Zeitpunkt sollte die heutige Stadt Mijas 700 Jahre lang unter maurischer Herrschaft bleiben. Aufgrund der vielen Minen in der Umgebung hieß der Ort unter der maurischen Herrschaft Mixas. Eine weitere Siedlung habe es im Gebiet der heutigen Urbanisation El Hornillo gegeben. Nach der Reconquista (dt.: Rückerobe- rung) durch die Katholischen Könige wurde Mijas ein Teil dieses Königreichs. Aus dieser Zeit stammt die Wallfahrtskapelle Virgen de la Peña. „Es wird behauptet, dass die Marienstatue im 15. Jahrhundert nahe der Stadtmauer gefunden wurde“, so Pastor, „Überlieferungen zufolge war sie dort etwa 700 Jahre lang seit der Eroberung durch die Mauren vergraben“. Die Wallfahrtskapelle Ermita del Calvario hätten die Karmelitermönche als spirituellen Rückzugsort genutzt. Nach etwa einem Kilometer reckt sich vor den Wanderern ein riesiger weißer Felsen gen Himmel. Die parallelen Rillen im Gestein machen den Wanderern schnell klar, dass der Stein von Menschenhand bearbeitet wurde. Amat blickt auf den riesigen Felsen und sagt: „Die Sierra de Mijas ist ein Bergmassiv aus Calciumcarbonat“, erläutert Amat, „genauer gesagt handelt es sich um Dolomiten. Auch weißer und blau-
er Marmor ist zu finden.“Der Wanderführer erklärt, dass es sich um Sedimentgestein handelt. Je nach Temperatur und Druck würden die Sedimentschichten zusammengepresst und verbänden sich miteinander. So entstünden Marmor oder Dolomiten. Dolomit, wissenschaftlich Dolomitstein, ist ein Carbonat-Gestein, das zu mindestens 90 Prozent aus dem Mineral Dolomit besteht. Seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. bauten die Römer hier Marmor ab.
Weißer und blauer Marmor
Im 12. und 13. Jahrhundert wurde dann in diesem Steinbruch Marmor und Achatimitat abgebaut. Der weiße Marmor aus Mijas wurde für den Bau des Museums La Aduana und der Kathedrale von Málaga verwendet. Und auch der Palast des Erzbischofs von Sevilla, die Sitzbänke der Leandro-Kapelle in der Kathedrale von Sevilla und die Sakristei der Kirche San Pedro in Granada sind aus diesem Marmorgestein geschaffen. Amat deutet ins Tal hinter sich und sagt: „Über die Vía Appia, die Málaga mit Cádiz verband, wurden die Marmorblöcke transportiert.“Einige Blöcke seien gar in einige Regionen Italiens gebracht worden.
Parallel zum Marmorabbau spielte auch die Landwirtschaft in der Sierra de Mijas eine tragende Rolle. Zunächst dominierte der Feigenanbau als Monokultur, ab dem 14. Jahrhundert setzten die Mijeños auf den Weinanbau. Amat zufolge hat es in der Sierra de Mijas vor allem Kermes- und Steineichen gegeben. Durch den Weinanbau und den Bedarf an Brennholz seien diese Baumarten inzwischen jedoch fast vollkommen verschwunden.
In den 1950er Jahren sei ein Aufforstungsprogramm gestartet worden, so Amat, vor allem Eukalyptusbäume, Latschenkiefern und Pinien seien angepflanzt worden. Eine weitere Schautafel am Wegesrand gibt Informationen zur cabra montesa (dt.: Bergziege), die ebenfalls in der Sierra de Mijas zu finden ist. Ihre Hufe sind so geformt, dass sie agil über die Felsen springen kann. Hauptsächlich er- nährt sie sich von Gräsern, Johannesbrot, Eicheln und Beeren. Die Bergziege sieht ziemlich schlecht, doch habe sie einen ausgeprägten Geruchs- und Gehörsinn. Wer sie beobachten möchte, so steht auf der Tafel, der solle sich ihr leise nähern und aufpassen, dass ihn die cabra montesa nicht sofort wittert oder hört.
Kuriose Anekdote
Pastor deutet auf die langen Gräser, die den Weg säumen und im Frühjahr blühen. Eine Tafel mit Schaubildern gibt ergänzende Erklärungen. „Vor etwa 100 Jahren gab es noch keine künstlichen Textilfasern“, sagt Pastor und zeigt auf die fingerdicken Grashalme, „die Mijeños stellten Körbe, Sattelzeug und Schuhe, die legendären Alpagatas, aus Espartogras her.“Bis in die 1970er Jahre sei das Espartogras noch häufig verwendet worden, um robuste Körbe und Zaumzeug vor allem für die Esel und Maultiere herzustellen. Eine kuriose Anekdote hat Pastor parat: „Diese Grasart heißt auch tocha, weshalb die Bahnstation in Madrid Atocha getauft wurde. Als mit dem Bau der Bahnstation im Jahr 1846 begonnen wurde, befanden sich dort viele tochas.“Nach der nächsten Wegbiegung bietet sich erneut ein Einblick in die Historie. Zu sehen ist ein Kalkmeiler, in dem Kalk gebrannt wurde. Amat deutet auf den kleinen Hügel, der mit Zweigen bedeckt ist. Er wurde mit Tonerde versiegelt. Danach wurde der Meiler angezündet, auf eine Temperatur von etwa 2.000 Grad erhitzt und musste nun zwei Tage lang brennen. Den Kalk benutzten die Mijeños für den Hausbau und für das Kalken von Wänden.
Nach dreieinhalb Stunden kommen die Wanderer wieder an der Ermita del Calvario an. Wären sie Mijeños, die im 12. Jahrhundert lebten, hätten sie nun Maultiere mit Körben voller Trauben dabei, um Wein zu keltern. Als Wanderer des 21. Jahrhunderts haben sie es dagegen viel einfacher: Sie können einfach in eines der Lokale gehen und den Wein der Region Mijas kosten.