Das Pferd als Spiegel
Therapie mit Tieren in Los Gallardos: Wie Pferde Menschen ihre Probleme vor Augen führen und ihnen helfen, sie zu lösen
Wie eine Therapie mit Pferden funktioniert, erklärt am besten das Beispiel einer Frau, die ihre Angst vor Kreisverkehren loswerden wollte. Sie buchte eine Sitzung bei der auf Tiere spezialisierten Therapeutin Susana Salamanca aus Turre. Die Spanierin arbeitet mit einem Pferdehof in Los Gallardos in der Provinz Almería zusammen. Die Klientin besaß einen Führerschein. Autofahren war kein Problem für sie, bis sie zu einem Kreisel kam. Dann ging nichts mehr.
Ihre erste Aufgabe bei Susana Salamanca bestand darin, eines von über 20 Pferden auszuwählen. Die Frau entschied sich für Chano, ein sehr verträgliches älteres Pferd mit einer traurigen Geschichte, wie viele seiner Artgenossen in Los Gallardos – aber dazu mehr an anderer Stelle.
Die Klientin sollte einen Kreis in den Sand auf der Reitbahn zeichnen, der das Verkehrsrondell darstellte. Chano übernahm die Rolle des Autos. Die Frau nahm das Pferd an den Zügel und führte es ohne Probleme zum Kreis. Doch am Kreis legte sich Chano plötzlich ab und wälzte sich im Sand. „Das ist nicht nur ein Mal passiert, sondern drei Mal“, sagt Susana Salamanca.
Das Pferd stand zwar wieder auf, ging mit der Frau brav zum Kreis, um sich dann wieder auf den Boden zu legen. „Noch deutlicher konnte der Frau ihre Blockade nicht vor Augen geführt werden. Sie war handlungsunfähig, das Pferd hat keine Anweisungen mehr bekommen und getan, was es wollte.“Chano hatte den Schwachpunkt aufgedeckt. Nun konnte sich die Therapeutin ans Werk machen.
Raus aus dem Teufelskreis
„Der Moment, in dem das negative Gefühl aufkommt, ist wichtig. Der Betroffene kann es beschreiben, und wir können geeignete Techniken anwenden.“Das sind zum Beispiel Atemtechniken, Meditation oder die An- und Entspannung der Muskeln, beginnend mit den Füßen, über Beine, Rumpf, Arme bis zum Gesicht.
„Dadurch wird ein Teufelskreis durchbrochen“, erklärt die Therapeutin. „Negative Gedanken füh- ren zu einem negativen Gefühl, das wiederum das Handeln bestimmt. Der Ausbruch aus dem Zyklus signalisiert dem Gehirn, dass es auch andere Optionen hat.“Die Klientin mit der Phobie gegen Kreisverkehre hat es letztlich geschafft, Chano um den Kreis herumzuführen, ohne dass er sich im Sand gewälzt hätte, was er normalerweise gerne tut.
Es gehe in den Sitzungen nicht darum, das Pferd gefügig zu machen und dazu zu bringen, einem zu folgen, stellt Susanna Salamanca klar. „Es geht um die Probleme des Menschen, und das Pferd ist ein Spiegel.“Wenn jemand sehr viel Angst habe oder sehr angespannt sei, wende sich das Tier eher ab. „Wenn ich mir die Reaktion des Pferdes anschaue, kann ich sehen, was in der Person vorgeht“, sagt die Therapeutin.
Susana Salamanca bietet seit 2006 Therapien an, bei denen Pferde und Hunde eingesetzt werden. Inzwischen wurde auch das Rathaus von Turre auf die tiergestützte Therapie aufmerksam und wandte sich an Salamanca mit dem Auftrag, einen Workshop für Frauen aus Turre anzubieten. Die Gemeinde hatte eine Subvention von der Provinzverwaltung in Almería für Seminare für Frauen erhalten,
anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen Ende November.
„Die Zusammenarbeit mit Pferden gilt hier als etwas Neues und Anderes, das sich von den herkömmlichen Angeboten abhebt“, sagt Susana Salamanca. „Das Rathaus hat sich einen Erfolg davon versprochen.“Und es war ein Erfolg. Die Frauen, die an dem Workshop im Dezember teilnahmen, wollen weiter machen. Sie beantragten im Rathaus die Fortsetzung des Kurses mit einem Treffen pro Monat. Eine Entscheidung steht noch aus.
Zum Schluss keine Angst mehr
Die Arbeit mit den Pferden hat nicht nur die Frauen beeindruckt. Auch die Therapeutin hat von ihren Klientinnen gelernt. Insgesamt nahmen neun Frauen aus Turre im Alter zwischen 45 und 81 Jahren teil. Susana Salamanca erklärte ihnen zunächst, was es mit einer Therapie mit Pferden auf sich hat, zeigte ihnen die Techniken, mit denen sie arbeitet, und führt sie schließlich auf den Pferdehof in Los Gallardos.
Die Erlebnisse und Erfahrungen waren bemerkenswert. „Eine der Frauen hatte große Angst vor Pferden. Am Ende hat sie einem nicht gerade kleinen Pferd einen Zopf in die Mähne geflochten.“Die mit 81 Jahren älteste Teilnehmerin stand auf ihrem Gehstock gestützt auf der Koppel und sagte plötzlich: „Es ist ein Geschenk hier zu sein, umgeben von Tieren. Das bedeutet für mich Leben.“
„Tiere sind zum Töten da“
Am beeindruckendsten war aber wohl die Geschichte einer 70-jährigen Frau. „Sie war anfangs sehr negativ eingestellt und sehr distanziert“, erzählt Salamanca. „Als ich sie das erste Mal sah, dachte ich, sie käme nicht wieder. Aber sie hat keine einzige Sitzung versäumt.“ Zu einem Beinahe-Eklat kam es, als sie die anderen Frauen im Umgang mit den Pferden beobachtete und sagte: „Was habt ihr nur mit den Pferden? Tiere sind zum Töten da!“Das waren harte Worte, sagt die Therapeutin. „Sie hätte auch sagen können, Tiere sind zum Essen oder zum Arbeiten da, aber zum Töten?“
Die Frauen waren empört, doch die 70-Jährige fuhr fort: „Wo kommen wir dahin, wenn Tiere immer mehr Schutz und Rechte bekommen? Dann geht es mit der katholischen Kirche zu Ende, die uns doch lehrt, Tiere zu töten.“Nach den Ausführungen herrscht Stille. „Ich habe in dem Moment mit mir als Therapeutin und Tierschützerin gekämpft“, erzählt Susana Salamanca. „Ich bin der Meinung, dass der Mensch viel von Tieren lernen kann, denn Tiere leben im Hier und Jetzt“, erklärt sie. „Wir sind dagegen sehr oft mit der Vergangenheit oder der Zukunft beschäftigt, daraus entstehen viele unserer Probleme. Das Tier kann uns in die Gegenwart zurückholen.“
„Wenn mir jemand sagt, Tiere seien zum Töten da, trifft mich das persönlich.“Die Therapeutin entschied, sich zurückzuhalten, um sich und der alten Dame Zeit zu geben, die weiter sprach: „Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viele Tiere ich in meinem Leben töten musste. Wie kann ich damit leben, wenn ich sie auf die gleiche Stufe mit mir stelle?“
Das war eine Lektion für die Therapeutin gewesen. „Ich konnte sie verstehen, und sie hat Recht“, sagt Susana Salamanca. In weiteren Gesprächen stellte sich heraus, dass die Familie eine Viehfarm besessen hatte und sie vermutlich schon als junge Frau ihr erstes Schwein töten musste. Sie habe keine Tiere lieben können, weil sie sich schützen musste.
„Aus therapeutischer Sicht war klar, dass ein Trauma dahinter steckt“, sagt Susana Salamanca. „Daran muss sie arbeiten. Sie beklagte auch, dass niemand sie lieben würde. Aber jemand, der so viele Schutzschichten aufbaut, um nicht zu lieben, kann auch keine Zuneigung erfahren.“
Dennoch habe die 70-Jährige einen großen Schritt getan, als sie erkannte, aus welchen Gründen sie eine Schutzmauer um sich baute. Schließlich kam es doch noch zu einer Annäherung, die Bubu zu verdanken ist, ein stattliches spanisches Rassepferd. Er stubste die Dame mit seiner Nase an. „Du willst wohl, dass ich dich streichle, was?“, sagte sie und tätschelte, wenn auch etwas steif, den Kopf des Pferdes.
Susana Salamanca und das Rathaus von Turre setzen darauf, dass sich die positiven Erlebnisse in dem Workshop in der Gemeinde herumsprechen und andere Frauen dazu ermutigt werden, an solchen für sie kostenlosen Projekten teilzunehmen. Gedacht wird auch an Frauen, die Opfer von Häuslicher Gewalt wurden.
Eine besondere Wahl
Therapie mit Pferden hilft bei Depressionen, Ängsten, Störungen, die durch Stress hervorgerufen werden, oder bei der persönlichen Weiterentwicklung. „Kürzlich kam ein Klient zu mir, der sich nicht traute, vor Publikum zu reden. Zu seinem Job gehörte es aber, Vorträge zu halten“, sagt Susana Salamanca. Am häufigsten verbreitet seien Ängste. Angst, im Leben nicht voranzukommen oder Entscheidungen zu treffen. Das Pferd als Therapiepartner brauche keine Ausbildung. Voraussetzung sei, dass es entspannt, ruhig und geistig gesund sei.
Die Pferdewahl der Klienten fällt häufig auf den großen dunklen Bubu, der selbst den Kontakt zu den Besuchern herstellt, neugierig den Kopf hebt und sie nicht aus den Augen lässt. „Manche suchen sich auch ein Pferd aus, das abseits steht, weil sie sich selbst so fühlen.“
Eine besondere Wahl traf einmal ein junger Mann. Er entschied sich für Tosca. Das Pferd trug im Sommer eine Maske, die vor Fliegen schützte. Als der die Haube abnahm, sah er, dass dem Tier das rechte Auge fehlte und brach in Tränen aus. „Er selbst hatte Probleme, mit seinem rechten Auge“, sagt Susana Salamanca.
Info: freedreams.online, info@freedreams.online
Eine Sitzung mit Pferden gegen Angst, Stress und Depressionen