Alge, Sesam & Co.
Basis für Glück und Gesundheit: Im MakrobiotikWorkshop lernen die Teilnehmer eine neue Ernährungsphilosophie kennen
Beim Makrobiotik-Workshop in Málaga haben die Teilnehmer eine neue Ernährungsphilosophie kennengelernt und auch gesund geschlemmt.
Der Duft nach frittiertem Fisch weht durch die Calle Martínez Campos in Málagas Zentrum. Ein Pärchen sitzt vor einem Kübel mit fünf Bierflaschen und teilt sich einen Teller Pommes. In der Küche von Stefanie Hinselmann, nur 500 Meter Luftlinie von dem Pommes essenden Pärchen entfernt, duftet es nach Zitronen und Äpfeln. Neun Augenpaare schauen neugierig dabei zu, wie der Biologe und Ernährungsexperte Javier Arocena Aramburu und seine Frau Noáh Villa Pastor Tofu marinieren, Blumenkohlröschen in kleine Stücke schneiden und Algenblätter mit Gemüse füllen. Fleißig schreiben die Zuschauer mit, denn sie möchten lernen, wie man makrobioti- sche Speisen zubereitet. Die Tochter eines Deutschen und einer Holländerin organisiert seit 2012 Kochworkshops in ihrem Lokal in der Calle Martínez Campo und einmal im Jahr reisen Villa und Arocena aus dem Baskenland an, um die Geheimnisse der Makrobiotik weiterzugeben. In ihrer Casa Taller-Saluz in der Nähe von Vitoria bieten sie Ausbildungen zum Koch für makrobiotische und vegane Ernährung, Workshops zur Persönlichkeitsentwicklung und gelegentlich auch Retreats an. „Es heißt ja immer so schön, man ist, was man isst“, sagt Arocena Aramburu, „wer sich bewusst ernährt, wird erfahren, dass die Ernährung die Basis für Glück und Gesundheit bildet und er eine innere Zufriedenheit erlangen kann.“Die Grundlagen des als Makrobio- tik bekannten Konzeptes wurden in Japan entwickelt. Ende des 19. Jahrhunderts schuf der japanische Militärarzt Sagen Ishizuka (1850 bis 1910) eine Theorie, derzufolge die traditionelle fernöstliche Philosophie mit den westlichen Wissenschaften Biologie, Chemie und Medizin verquickt werden sollten.
Seine Philosophie beruht darauf, dass er die Ernährung als Basis für Glück und Gesundheit sieht und Natrium und Kalium die wichtigsten Determinanten sind. Die Balance zwischen Natrium und Kalium bestimmen Ishizuka zufolge die Qualität eines Lebensmittels. In seinen Augen ist Vollkorngetreide das der Menschheit angemessene Hauptnahrungsmittel. Die Nahrungsmittel sollten ganz und natürlich belassen gegessen werden. Außerdem sollte man ausschließlich je nach Saison vorkommende Nahrungsmittel aus der Region verwenden. Villa rät den Workshopteilnehmern, bereits am Vormittag zu überlegen, was sie am Tage kochen möchten. „Nutzt die frühen Morgenstunden, um zu meditieren“, meint sie und sagt, dass es für den Körper besser sei, nach dem Aufstehen nicht sofort zu frühstücken, sondern einige Stunden zu warten. Die makrobiotische Ernährung sei basisch und helfe dabei, Krankheiten zu heilen. Villa habe einige Menschen kennengelernt, die todkrank gewesen seien und durch eine makrobiotische Ernährung, die im Wesentlichen aus Hirse und Gomasio (Sesamsalz) bestanden habe, ihre Leiden hätten lindern können und dadurch einige Zeit länger gelebt hätten.
Der Japaner Georges Ohsawa (1893 bis 1966) entwickelte das makrobiotische Konzept von Ishizuka weiter. Seiner Meinung nach finden die Prinzipien des Lebens und der Natur in der modernen Gesellschaft nicht mehr genügend Anerkennung. Ohsawa bedauerte, dass die Religionen der Moderne nicht mehr als Autoritäten betrachtet werden. In seinen Augen ist der wichtigste religiöse Aspekt das daoistische Prinzip von Yin und Yang. Ohsawa zufolge kann der Mensch nur dann sein Lebensglück erreichen, wenn er diese Lehre befolgt: „Für diejenigen, die das praktische Paradoxon des Yin/
Yang-Denkens verstehen, ist das Leben eine ständige Ausbildung an der größten aller Universitäten, Unterricht frei und ohne Gebühren. Für diejenigen, die nichts von Yin und Yang wissen, kann das Leben die Hölle sein.“Wer nach den Prinzipien der Makrobiotik lebt, der folgt in der Regel Ohsawas Ernährungslehre. Demnach führt ein ausgewogenes Verhältnis in der Nahrung zu einem ausgewogenen Zustand des Qi im Körper. Der chinesische Begriff Qì bedeutet Energie, Atem oder Fluidum, kann aber wörtlich übersetzt auch Luft, Gas, Dampf, Hauch, Äther sowie Temperament, Kraft oder Atmosphäre bedeuten. Außerdem bezeichnet Qi die Emotionen des Menschen. Die Lebensmittel werden nach ihrer energetischen Eigenschaft eingeteilt und zwar in Yin (ausdehnend, Beispiele: Weißbrot, Milch und Alkohol), Yang (zusammenziehend, Beispiele: Eier, rotes Fleisch und Meeresfrüchte) oder völlig ausgewogen.
Nach den Prinzipien der Makrobiotik führt eine Yang-betonte Ernährung zu inneren Verspannungen, eine Yin-dominierende Ernährung zu Konzentrationsmangel und Gedächtnisschwäche.
Villa füllt Hirse in einen Topf mit Wasser und erklärt, dass generell das ganze Korn verschiedener Getreidearten die wichtigste Nahrungsgrundlage der Makrobiotik sei. Die makrobiotische Ernährung wird ihr zufolge auch Diät Nummer 7 genannt. Der Name geht ebanfalls auf Ohsawa zurück, der zehn Stufen der Ernährung unterschied, die er mit -3 bis 7 bewertetet. Bei -3 nimmt Getreide nur einen Anteil von zehn Prozent ein. Stufe 1 bedeutet, das Yin und Yang in einem nur gering ausbalancierten Verhältnis stehen, während bei Stufe 7 die vollkommene Balance erzielt wird. Wer sich gemäß der Stufe 7 ernährt, der nimmt ausschließlich Getreide, geringe Mengen an Gemüse und Gomasio (Sesamsalz) zu sich. Ohsawa meint, dass die Stufe 7 der einfachste, klügste und schnellste Weg zurück zur Gesundheit sei.
Über einen kurzen Zeitraum, sei diese Art der Ernährung unbedenklich, da Getreide einen hohen Nährwert habe, sagt Arocena. Eine solche Diät diene dazu, den Körper zu reinigen und die Organe zu entlasten. Länger als zehn Tage sollte man diese Diät Arocena zufolge jedoch nicht machen. „Die makrobiotische Ernährung eignet sich auch für Kinder und ältere Menschen“, so Arocena. Sie sei nicht zwingend vegan. Bei Kindern könne man durchaus ab und zu zwei oder dreimal pro Woche Geflügel hinzunehmen. Allerdings empfehle er, auf Milchprodukte vollkommen zu verzichten. Die makrobiotische Ernährung sei vornehmlich vegetarisch ist und bestehe vor allem aus unverarbeitetem Getreide, Algen einigen Gemüsesorten und kleinen Mengen Fisch. Es gehe darum, sich eigenverantwortlich zu ernähren und zu beobachten, was einem am besten bekommt.
Dadurch erreiche der Mensch ein besseres Körpergefühl. „Mit der Ernährung ist es ähnlich wie mit der Liebe“, sagt Villa mit einem Augenzwinkern, „wer es sich leicht macht und sich nicht mit der gesunden Ernährung auseinandersetzt, wird nie eine vollkommene Zufriedenheit erreichen. Auch die Liebe sollte man nicht als gegeben hinnehmen. Eine Beziehung bedeutet Arbeit, nicht wahr?“
Ihre Zuhörer nicken ehrfürchtig. „So“, sagt Villa, „geht eine halbe Stunde spazieren, dann ist das Essen fertig.“Mit knurrenden Mägen strömen die in die Makrobiotik Eingeweihten aus und kommen mit noch größerem Appetit zurück. Meditationsmusik erfüllt den Raum. Arocena faltet die Hände und dankt Erde und Sonne, dass sie das Gemüse und Getreide zur Reife gebracht haben. Schweigend löffeln die Teilnehmer die DetoxGemüsecreme aus Zwiebeln und Blumenkohl. Während sie das Gemüsegratin und den marinierten Tofu und das Gemü- se-Sushi genießen, fällt kein Wort. Für manch einen ist es ungewohnt, sich in vollkommener Stille auf Kauen und Schlucken zu konzentrieren. Und obwohl die Portionen mächtig sind, stellt sich kein Gefühl der Völle ein. Energiegeladen geht die Redakteurin vor die Tür und ist froh, ihrem Körper etwas Gutes getan, anstatt gedankenverloren Fritten in sich hineingestopft zu haben. Ob im Getreidekorn tatsächlich das Fünkchen Lebensglück liegt, nach dem wir alle suchen?