Das rechte Maß finden:
Eine Kinderärztin und ein Medienexperte erklären, ab wann Kinder Smartphones und Tablets benutzen sollten
Ab wann sollten Kinder in die Welt der Smartphones und Tablets eintauchen? Gute Tipps von erfahrenen Experten
Zwei-, drei-, viermal zupft der Vierjährige am Hosenbein seines Vaters, der gerade versucht, am Schalter des Straßenverkehrsamts in Málaga ein Formular auszufüllen. Seine Frau greift in ihre Handtasche, holt ein Smartphone heraus und drückt es dem Kleinen in die Hand. Sofort hört er auf zu quengeln, hockt sich auf den Boden und schaut sich einen Zeichentrickfilm an. Die Eltern haben endlich Ruhe.
Der amerikanische Buchautor Jim Taylor warnt in seinem Ratgeber eindringlich vor dem sogenannten „iPhone-Syndrom“. Ihm zufolge könnte dieses entstehen, wenn sich die Eltern der Technik bedienen, um Kinder ruhigzustellen. Dadurch lerne das Kind, dass es Geräte wie Smartphones oder Tablets benutzen darf, sobald es quengelig oder laut wird. Taylor rät Eltern, ihren Kindern beizubringen, mit Langeweile umzugehen oder sie zum Spielen anzuregen. Wer ihnen aber sofort ein Gerät in die Hand drücke, hemme diese Entwicklung. Dieser Position stehen Pädagogen gegenüber, die davon ausgehen, dass sich der Einsatz von Smartphones und Tablets positiv auf die kognitive und motorische Entwicklung auswirkt.
Emotionale Störungen
Die in Marbella praktizierende Kinderärztin Dr. Magdalena Papp hingegen ist der Ansicht, dass sich ein übermäßiger Gebrauch von Smartphones sehr wohl auf die Entwicklung des Kindes auswirken kann. So habe sie bei ihren Patienten sehr oft emotionale Störungen und Verhaltensstörungen beobachtet. Nicht selten werden die Kinder hyperaktiv, isolieren sich und können sich in der Schule nicht mehr richtig konzentrieren. Hinzu komme, dass sie oftmals schlecht und in abgehackten Sätzen redeten, sich in vielen Fällen weniger bewegen und mehr Süßigkeiten essen würden.
Ein Problem sehe sie auch darin, dass die Kinder das Internet eher dazu nutzen, um sich zu vernetzen statt Informationen zu suchen. „Ich finde, dass die Eltern ihren Kindern ab drei Jahren erlauben können, ein Smartphone für eine halbe Stunde zu benutzen, aber nur, wenn es sich partout nicht anders beschäftigen möchte und darauf drängt“, betont Papp. „Bis zum Vorschulalter würde ich die Nutzung auf eine halbe Stunde, bei Sechs- bis Neunjährigen auf eine Stunde und bei Zehnjährigen bis in die Pubertät auf maximal neun Stunden pro Woche beschränken.“
Besonders junge Mädchen sind ihrer Erfahrung nach von Cybermobbing gefährdet. Lehrer und Eltern sollten Papp zufolge, den Kin- dern die richtige Mediennutzung beibringen. „In Frankreich etwa gibt es Projekte, bei denen Drittklässler ihre Handys abgeben müssen“, berichtet die Kinderärztin. Als die Kinder befragt worden seien, hätten sie den Handyverzicht als positiv bewertet, da sie mit dem Handy in der Hosentasche stets versucht hätten, nachzuschauen, ob sie eine Nachricht erhielten. So sei eine Last von ihnen gefallen. Viele Kinder seien verzweifelt, wenn sie das Smartphone nicht in der Hosentasche spüren. Bis heute gibt es Papp zufolge keine wissenschaftlichen Studien, die nachhaltig belegen können, dass das kindliche Gehirn durch übermäßigen Gebrauch von Tablets oder Smartphones erhebliche Schäden davonträgt.
„Eigentlich müsste man dem Artikel den Titel ‚Familienmitglied Smartphone‘ geben“, regt Papp an und fügt hinzu, dass die Eltern ihren Kindern oftmals kein gutes Beispiel geben, indem sie ständig zu ihrem Smartphone greifen und auf das Display starren. „Wie oft sehe ich Mütter auf der Straße, die mit der einen Hand einen Kinderwagen vor sich herschieben und mit der anderen Hand das Smartphone festhalten“, sagt die Kinderärztin und seufzt.
Oft seien die Eltern überfordert und kapitulieren, so die Ärztin. Sie erlebe es oft, dass Mütter von Zweijährigen ihre Kinder auf die Couch setzen und eine Kindersendung einschalten, damit das Kind ruhiggestellt ist. Sie meint, dass es für kleine Kinder etwa beim Essen am Tisch oder auch in anderen Momenten beispielsweise am Abend ein Handyverbot oder es handyfreie Zonen in der Wohnung geben sollte. So könne garantiert werden, dass sich die Familienmitglieder miteinander unterhalten.
Handynutzung ist angestiegen
Kristin Langer ist freie Medienpädagogin und auf Medien spezialisiert. Sie berät bei Elternabenden an Schulen und Kindergärten und bildet Lehrer, Schüler und Erzieher zum Themenspektrum digitale Medien fort. Als fachliche Beraterin unterstützt sie die Initiative <www.schau-hin.info>. Auf der Internetseite der schau-hin.info wurden die Ergebnisse der 4. World Vision Kinderstudie vorgestellt. Daraus geht hervor, dass im vergangenen Jahr 45 Prozent aller Sechs- bis Elfjährigen ein eigenes Mobiltelefon besaßen. 2010 waren es dagegen noch 36 Prozent und 2013 schon 40 Prozent. Dabei benutzen 80 Prozent der Handybesitzer bereits ein Smartphone. Und gar 82 Prozent der Zehn- bis Elfjährigen besitzen ein Handy. Die Studie stützt sich auf eine deutschlandweite, repräsentative Stichprobe, die 2017 genommen wurde.
„Viele Kinder sind verzweifelt, wenn sie ihr Handy nicht in der Hosentasche spüren“
Befragt wurden 2.550 Kinder im Alter zwischen sechs und elf Jahren. Auch ein Elternteil wurde zur Herkunft und sozialen Lage der Familie befragt. In der Studie geht es um verschiedene Aspekte der Lebenswelten von Kindern, also auch um solche Themen wie Schule, Freizeit und Freunde. In den vergangenen sieben Jahren ist laut der Studie die Zahl der Kinder angestiegen, die das Internet nutzen.
Kinderärzte als Berater
Die Erhebung hat ergeben, dass die Zahl der Kinder, die im Internet surfen, stärker angestiegen ist als die Anzahl der Kinder, die ein Handy besitzen. Demnach sind 38 Prozent der Sechs- bis Elfjährigen regelmäßig unter der Woche online. Im Zeitraum zwischen 2010 und 2013 lag dieser Anteil in dieser Altersgruppe noch bei 18 Prozent. In der Gruppe der Zehn- bis Elfjährigen nutzen 67 Prozent das Internet regelmäßig unter der Woche. Bei vielen, in der Kinderstudie dargestellten Befunde spielen die verschiedenen Herkunftsschichten eine Rolle. In Bezug auf den Handybesitz sind diese Unterschiede jedoch gering. Kinder aus einer unteren Gesellschaftschicht sind lediglich etwas schlechter ausgestattet, von ihnen haben nur 35 Prozent ein eigenes Handy, während sich der Anteil der Kinder aus anderen Schichten zwischen 44 und 49 Prozent bewegt.
In einem Artikel aus dem Jahr 2016 berichtete die spanische Tageszeitung „El País“darüber, dass nach einer Studie des Nationalen Statistik-Instituts INE im Jahr 2016 die Hälfte aller elfjährigen Spanier in Besitz eines Smartphones waren, bei den 15-Jährigen lag der Anteil gar bei 94 Prozent.
„Ich halte es für wichtig, dass Kinderärzte bei der letzten Vorsorgeuntersuchung mit den Eltern darüber sprechen sollten, dass sie ihren Kindern vermitteln, nicht ständig zum Handy zu greifen“, sagt Papp. Sie bedaure, dass bei diesen Untersuchungen selten Zeit bleibt, um auch das Umfeld des Kindes in den Fokus zu nehmen. „Die Eltern sollten bei der Vorsorgeuntersuchung auch gefragt werden, wie intensiv ihr Kind digitale Medien nutzt“, schlägt sie vor und meint, dass die Eltern darüber informiert werden sollten, dass eine übermäßige Smartphone-Nutzung schädlich für ihr Kind sein kann.