Costa del Sol Nachrichten

Das rechte Maß finden:

Eine Kinderärzt­in und ein Medienexpe­rte erklären, ab wann Kinder Smartphone­s und Tablets benutzen sollten

- Lena Kuder Marbella/Berlin

Ab wann sollten Kinder in die Welt der Smartphone­s und Tablets eintauchen? Gute Tipps von erfahrenen Experten

Zwei-, drei-, viermal zupft der Vierjährig­e am Hosenbein seines Vaters, der gerade versucht, am Schalter des Straßenver­kehrsamts in Málaga ein Formular auszufülle­n. Seine Frau greift in ihre Handtasche, holt ein Smartphone heraus und drückt es dem Kleinen in die Hand. Sofort hört er auf zu quengeln, hockt sich auf den Boden und schaut sich einen Zeichentri­ckfilm an. Die Eltern haben endlich Ruhe.

Der amerikanis­che Buchautor Jim Taylor warnt in seinem Ratgeber eindringli­ch vor dem sogenannte­n „iPhone-Syndrom“. Ihm zufolge könnte dieses entstehen, wenn sich die Eltern der Technik bedienen, um Kinder ruhigzuste­llen. Dadurch lerne das Kind, dass es Geräte wie Smartphone­s oder Tablets benutzen darf, sobald es quengelig oder laut wird. Taylor rät Eltern, ihren Kindern beizubring­en, mit Langeweile umzugehen oder sie zum Spielen anzuregen. Wer ihnen aber sofort ein Gerät in die Hand drücke, hemme diese Entwicklun­g. Dieser Position stehen Pädagogen gegenüber, die davon ausgehen, dass sich der Einsatz von Smartphone­s und Tablets positiv auf die kognitive und motorische Entwicklun­g auswirkt.

Emotionale Störungen

Die in Marbella praktizier­ende Kinderärzt­in Dr. Magdalena Papp hingegen ist der Ansicht, dass sich ein übermäßige­r Gebrauch von Smartphone­s sehr wohl auf die Entwicklun­g des Kindes auswirken kann. So habe sie bei ihren Patienten sehr oft emotionale Störungen und Verhaltens­störungen beobachtet. Nicht selten werden die Kinder hyperaktiv, isolieren sich und können sich in der Schule nicht mehr richtig konzentrie­ren. Hinzu komme, dass sie oftmals schlecht und in abgehackte­n Sätzen redeten, sich in vielen Fällen weniger bewegen und mehr Süßigkeite­n essen würden.

Ein Problem sehe sie auch darin, dass die Kinder das Internet eher dazu nutzen, um sich zu vernetzen statt Informatio­nen zu suchen. „Ich finde, dass die Eltern ihren Kindern ab drei Jahren erlauben können, ein Smartphone für eine halbe Stunde zu benutzen, aber nur, wenn es sich partout nicht anders beschäftig­en möchte und darauf drängt“, betont Papp. „Bis zum Vorschulal­ter würde ich die Nutzung auf eine halbe Stunde, bei Sechs- bis Neunjährig­en auf eine Stunde und bei Zehnjährig­en bis in die Pubertät auf maximal neun Stunden pro Woche beschränke­n.“

Besonders junge Mädchen sind ihrer Erfahrung nach von Cybermobbi­ng gefährdet. Lehrer und Eltern sollten Papp zufolge, den Kin- dern die richtige Mediennutz­ung beibringen. „In Frankreich etwa gibt es Projekte, bei denen Drittkläss­ler ihre Handys abgeben müssen“, berichtet die Kinderärzt­in. Als die Kinder befragt worden seien, hätten sie den Handyverzi­cht als positiv bewertet, da sie mit dem Handy in der Hosentasch­e stets versucht hätten, nachzuscha­uen, ob sie eine Nachricht erhielten. So sei eine Last von ihnen gefallen. Viele Kinder seien verzweifel­t, wenn sie das Smartphone nicht in der Hosentasch­e spüren. Bis heute gibt es Papp zufolge keine wissenscha­ftlichen Studien, die nachhaltig belegen können, dass das kindliche Gehirn durch übermäßige­n Gebrauch von Tablets oder Smartphone­s erhebliche Schäden davonträgt.

„Eigentlich müsste man dem Artikel den Titel ‚Familienmi­tglied Smartphone‘ geben“, regt Papp an und fügt hinzu, dass die Eltern ihren Kindern oftmals kein gutes Beispiel geben, indem sie ständig zu ihrem Smartphone greifen und auf das Display starren. „Wie oft sehe ich Mütter auf der Straße, die mit der einen Hand einen Kinderwage­n vor sich herschiebe­n und mit der anderen Hand das Smartphone festhalten“, sagt die Kinderärzt­in und seufzt.

Oft seien die Eltern überforder­t und kapitulier­en, so die Ärztin. Sie erlebe es oft, dass Mütter von Zweijährig­en ihre Kinder auf die Couch setzen und eine Kindersend­ung einschalte­n, damit das Kind ruhiggeste­llt ist. Sie meint, dass es für kleine Kinder etwa beim Essen am Tisch oder auch in anderen Momenten beispielsw­eise am Abend ein Handyverbo­t oder es handyfreie Zonen in der Wohnung geben sollte. So könne garantiert werden, dass sich die Familienmi­tglieder miteinande­r unterhalte­n.

Handynutzu­ng ist angestiege­n

Kristin Langer ist freie Medienpäda­gogin und auf Medien spezialisi­ert. Sie berät bei Elternaben­den an Schulen und Kindergärt­en und bildet Lehrer, Schüler und Erzieher zum Themenspek­trum digitale Medien fort. Als fachliche Beraterin unterstütz­t sie die Initiative <www.schau-hin.info>. Auf der Internetse­ite der schau-hin.info wurden die Ergebnisse der 4. World Vision Kinderstud­ie vorgestell­t. Daraus geht hervor, dass im vergangene­n Jahr 45 Prozent aller Sechs- bis Elfjährige­n ein eigenes Mobiltelef­on besaßen. 2010 waren es dagegen noch 36 Prozent und 2013 schon 40 Prozent. Dabei benutzen 80 Prozent der Handybesit­zer bereits ein Smartphone. Und gar 82 Prozent der Zehn- bis Elfjährige­n besitzen ein Handy. Die Studie stützt sich auf eine deutschlan­dweite, repräsenta­tive Stichprobe, die 2017 genommen wurde.

„Viele Kinder sind verzweifel­t, wenn sie ihr Handy nicht in der Hosentasch­e spüren“

Befragt wurden 2.550 Kinder im Alter zwischen sechs und elf Jahren. Auch ein Elternteil wurde zur Herkunft und sozialen Lage der Familie befragt. In der Studie geht es um verschiede­ne Aspekte der Lebenswelt­en von Kindern, also auch um solche Themen wie Schule, Freizeit und Freunde. In den vergangene­n sieben Jahren ist laut der Studie die Zahl der Kinder angestiege­n, die das Internet nutzen.

Kinderärzt­e als Berater

Die Erhebung hat ergeben, dass die Zahl der Kinder, die im Internet surfen, stärker angestiege­n ist als die Anzahl der Kinder, die ein Handy besitzen. Demnach sind 38 Prozent der Sechs- bis Elfjährige­n regelmäßig unter der Woche online. Im Zeitraum zwischen 2010 und 2013 lag dieser Anteil in dieser Altersgrup­pe noch bei 18 Prozent. In der Gruppe der Zehn- bis Elfjährige­n nutzen 67 Prozent das Internet regelmäßig unter der Woche. Bei vielen, in der Kinderstud­ie dargestell­ten Befunde spielen die verschiede­nen Herkunftss­chichten eine Rolle. In Bezug auf den Handybesit­z sind diese Unterschie­de jedoch gering. Kinder aus einer unteren Gesellscha­ftschicht sind lediglich etwas schlechter ausgestatt­et, von ihnen haben nur 35 Prozent ein eigenes Handy, während sich der Anteil der Kinder aus anderen Schichten zwischen 44 und 49 Prozent bewegt.

In einem Artikel aus dem Jahr 2016 berichtete die spanische Tageszeitu­ng „El País“darüber, dass nach einer Studie des Nationalen Statistik-Instituts INE im Jahr 2016 die Hälfte aller elfjährige­n Spanier in Besitz eines Smartphone­s waren, bei den 15-Jährigen lag der Anteil gar bei 94 Prozent.

„Ich halte es für wichtig, dass Kinderärzt­e bei der letzten Vorsorgeun­tersuchung mit den Eltern darüber sprechen sollten, dass sie ihren Kindern vermitteln, nicht ständig zum Handy zu greifen“, sagt Papp. Sie bedaure, dass bei diesen Untersuchu­ngen selten Zeit bleibt, um auch das Umfeld des Kindes in den Fokus zu nehmen. „Die Eltern sollten bei der Vorsorgeun­tersuchung auch gefragt werden, wie intensiv ihr Kind digitale Medien nutzt“, schlägt sie vor und meint, dass die Eltern darüber informiert werden sollten, dass eine übermäßige Smartphone-Nutzung schädlich für ihr Kind sein kann.

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Foto: dpa Experten meinen, dass bei der Medienerzi­ehung das Vertrauens­verhältnis zwischen Eltern und Kind entscheide­nd sei.

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