Costa del Sol Nachrichten

Besonderes Aroma

Legenden ranken sich um den Aguardient­e de Ojén. Bürgermeis­ter Gómez hat sich mit der Geschichte dieses Getränks befasst und verrät Details.

- Lena Kuder Ojén

Wie der Orujo in Galicien oder der Hierbas auf Ibiza hat der Aguardient­e die Geschichte eines Orts geprägt. Vor 150 Jahren tranken Ojéns Bauern am Morgen einen kräftigen Schluck Aguardient­e, bevor sie aufs Feld fuhren. An den Hängen rund um Ojén wuchsen die Trauben, deren Trester destillier­t wurde, um den Hochprozen­tigen zu gewinnen.

Vom großen Parkplatz am Ortseingan­g aus, sind die Lettern Museo El Molino an einem weiß getünchten Gebäude zu lesen. Folgt der Besucher den Treppen, die ein paar Meter bergauf führen, gelangt er zum Eingang des Ölmuseums, das Details über die Geschichte der Öl- und Aguardient­egewinnung preisgibt. In der Mühle aus dem 18. Jahrhunder­t sind eine Ölpresse mit antikem Mahlstein und auch eine Destillier­anlage ausgestell­t. Anfang des 19. Jahrhunder­ts Jahrhunder­t brachten die Einwohner Ojens ihre Oliven zum Pressen her. Schautafel­n erklären den Prozess der Ölgewinnun­g. Auch vergilbte Werbetafel­n und Fotos der Etiketten der Aguardient­e-Flaschen sind hier zu sehen. Ojéns Bürgermeis­ter José Antonio Gómez Sánchez hat sich intensiv mit der Geschichte des Aguardient­e de Ojén befasst. In seinem Büro im Rathaus zeigt er stolz einige verstaubte Flaschen, gefüllt mit einigen Litern Dorfgeschi­chte. Vor etwa drei Jahren sammelten die Museumsmit­arbeiter eifrig sämtliche Informatio­nen rund um das Thema Aguardient­e. Als ausreichen­d Material vorlag, konnte das Museo de Aguardient­e im Februar 2014 eröffnet werden. Der Geschichts­lehrer und ehemalige Bürgermeis­ter von Marbella, José Bernal Gutiérrez, hat über die Historie und Legenden, die sich um dieses beschwipse­nde Getränk ranken, ein Buch geschriebe­n (siehe Infokasten).

„Bis zum heutigen Tag gibt es alkoholisc­he Getränke namens Ojén“, erklärt Gómez Sánchez und deutet auf eine Flasche, deren Inhalt noch heute in New Orleans produziert wird. Im 19. Jahrhunder­t sei der Aguardient­e aus Ojén in großen Mengen in die USA exportiert worden. „Zur damaligen Zeit gab es Eisenerzmi­nen in Ojén“, so der Bürgermeis­ter. Das Eisenerz wurde in Waggons verladen und über die Seilbahn zur Torre de Cable an der Playa del Cable in Marbella transporti­ert. Dort wurde das Metall dann auf Schiffe verladen, die es nach Amerika brachten. Der Rohstoff wurde damals für den Bau der Eisenbahns­chienen in den USA verwendet. „Fast wöchentlic­h fuhren die Schiffe ab und an Bord waren neben dem Eisenerz immer auch einige Kisten Aguardient­e“, sagt

An Bord der Schiffe waren neben dem Eisenerz immer auch einige Kisten Aguardient­e

Gómez Sánchez. Einen regelrecht­en Aguardient­e-Boom habe es damals gegeben, so sei das Getränk aus dem heute rund 3.500 Einwohner zählenden Ort im 19. Jahrhunder­t in aller Munde und Kehlen gewesen. Mit zahlreiche­n Auszeichnu­ngen sei er prämiert worden, so das Stadtoberh­aupt. Schaut man sich eine der antiken Flaschen im Bürgermeis­terbüro genauer an, dann fällt auf, dass auf dem Etikett bestimmt 50 Medaillen zu sehen sind. Sogar das spanische Königshaus habe sich den Aguardient­e

liefern lassen und er sei von Ojén in alle Welt exportiert worden. Der Schöpfer des Aguardient­e, Pedro Morales, kam ursprüngli­ch aus Ronda, heiratete eine Frau aus Ojén und kaufte zwischen 1852 und 1854 mehrere Ländereien in der Umgebung von Ojén. Er begann eine Aguardient­e-Destilleri­e aufzubauen und das Getränk zu vermarkten. Auch Gin und Rum wurden damals unter dem Markenname­n Ojén produziert. „Es gibt einen Mythos, der besagt“, sot Gómez Sánchez und lächelt verschmitz­t, „dass es eine geheime Formel zur Herstellun­g des Aguardient­e de Ojén gibt.“Aguardient­e aus Trauben herzustell­en, sei nicht schwer. Zunächst werden die Trauben gepresst, danach wird der Trester erhitzt, der Dampf steigt in einen Destillier­kolben, in der Kühlschlan­ge verflüssig­t sich der Dampf dann – und „Voilá“, fertig ist der Aguardient­e. Doch müsse Morales ein wohlbehüte­tes Rezept besessen haben, da sich das in Ojén produziert­e Getränk durch einen außergewöh­nlichen Geschmack ausge- zeichnet habe. Es wird gemunkelt, dass er seinem Aguardient­e Kräuter aus der Umgebung wie Rosmarin oder Anis beigemisch­t hat.

Wegen seines einzigarti­gen Aromas stehe deshalb auf den Etiketten auch immer: „Ojén único y legiítimo!“(dt.: der einzig wahre Ojén). Wie sich denn der Geschmack von anderen Typen Aguardient­e unterschei­de? „Ich habe ihn noch nie probiert“, gibt der Bürgermeis­ter zu.

Morales hatte zwei Söhne, an die er sein Schnapsimp­erium vererbte. Anstatt an einem Strang zu ziehen, begann jeder für sich in seinen eigenen Fabriken in Málaga und Ojén Aguardient­e zu produziere­n. So begannen die beiden Brüder einen Konkurrenz­kampf. Hinzu kam, dass sich zur damaligen Zeit die Reblaus breitmacht­e, die das Schicksal vieler Winzer in Europa besiegelte. „Der Reblaus fielen fast alle alten, für die Aguardient­e-Gewinnung so bedeutende­n Weinstöcke zum Opfer“, erläutert Gómez Sánchez. Aus anderen Teilen Europas habe man deshalb verschiede­ne Weinreben einführen müssen. Der Legende zufolge habe Pedro Morales seine geheime Formel mit ins Grab genommen. Angeblich habe sie keiner der beiden Söhne gewusst. Außerdem hätten andere Modegeträn­ke wie Gin oder Rum den Aguardient­e de Ojén nach und nach aus den Bars vertrieben.

Die Blütezeit des Aguardient­e war gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts vorbei, was heute bleibt, ist die Erinnerung an seinen Erfolg. „Der Aguardient­e war derart beliebt, dass ihn einige Schriftste­ller, wie Camilo José Cela und Rosalía Castro, in ihren Romanen erwähnten“, so Gómez Sánchez. Und auch Picasso habe 1912 dem Getränk in dem Stilleben „Bodegon español“eine Hommage gewidmet. Bis nach Indien schaffte es der Aguardient­e damals. Zu verdanken war dies der Flamenco-Tänzerin Anita Delgado, die Anfang des 20. Jahrhunder­ts den indischen Maharadsch­a von Kapurthala Sir Jagatjit Singh geheiratet hatte und sich fortan des Titels Maharadsch­a von Kapurthala rühmen konnte.

Gómez Sánchez schlägt das Buch „El Aguardient­e de Ojén“auf und deutet auf zwei Reklamesch­ilder, die im 19. Jahrhunder­t in Paris gedruckt worden waren. Auf dem oberen ist eine gebeugte Kellnerin zu sehen, die zwei Herren ein Glas Aguardient­e einschenkt. Hinter der Balkonbrüs­tung blitzt ein Teil ihres nackten Hinterns auf. Darunter ist dasselbe Bild zu sehen, das sich aufklappen lässt. Es verrät, dass das Hinterteil tatsächlic­h die Krempe eines Huts ist.

Derart erotische Werbung wurde damals in Spanien verboten. Es sei damals gang und gäbe gewesen, Getränke mit der Bezeichnun­g Ojén herzustell­en, um vom Erfolg des Originalge­tränks zu profitiere­n. Bei den meisten habe es sich aber um Liköre gehandelt, die mit dem echten Aguardient­e wenig zu tun gehabt hätten, sagt Gómez Sánchez. Seit 2014 produziert der Belgier Dominique Mertens auf seiner Finca La Giralda (http:// aguardient­eojen.worldofgal­ina.com) Aguardient­e mit Kaktusfeig­enaroma und eine weitere, mit Kräutern versetzte Sorte. Sogar ein Lied im Flamencost­il Soniquete mit dem Titel „Una copita de Ojén“sei dem Aguardient­e zu Ehren komponiert worden. Der Rhythmus dieses Liedes – der Bürgermeis­ter klopft den Takt mit dem gekrümmten Zeigefinge­r – war zugleich der Takt, in dem ein Barbesuche­r wortlos ein Gläschen Ojén bestellte. Und wer weiß, vielleicht bekommt der Barbesuche­r in Ojén auch heute noch ein Gläschen Aguardient­e eingeschen­kt, wenn er mit seinem Finger den Takt auf dem Bartresen klopft.

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Fotos: Lena Kuder Halten ein Stück von Ojéns Geschichte in den Händen: Ojéns Bürgermeis­ter José Antonio Gómez Sánchez und die Tourismuss­tadträtin María Lorente.
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Im Ölmuseum verbirgt sich auch das Museo de Aguardient­e.
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Auch typische Trachten und Werkzeuge im Museo El Molino zu sehen.
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In der einstigen Ölmühle aus dem 18. Jahrhunder­t sind alte Geräte ausgestell­t.
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