„Der schlafende Indianer“
Entdeckungen rund um Antequera und im Naturpark El Torcal
„Wenn du den schlafenden Indianer siehst, dann bist du in Antequera“. Dieser Spruch macht jeden neugierig und so ging es auch mir.
Die Sonne schien hell und warm vom azurblauen Himmel. Es war ein Tag wie aus dem Bilderbuch und ich näherte mich in freudiger Erwartung dem „Herz von Andalusien“, dem geschichtsträchtigen Antequera. Eine hübsche weiße Stadt, umgeben von einer fruchtbaren Ebene und gekrönt von einem maurischen Castillo. Was Antequera schon von jeher interessant und eroberungswürdig erscheinen lässt, ist die Lage auf den historischen Verbindungswegen zwischen den großen andalusischen Städten Málaga, Córdoba, Sevilla und Granada. Sie war lange Zeit Grenzstadt des Königsreichs Granada und eine der letzten Städte, die von den Christen zurückerobert wurde.
Aber was mir zuerst ins Auge fiel, war tatsächlich ein Berg mit den Umrissen eines menschlichen Gesichtes, das zum Himmel blickt. Ein sensationeller Anblick, es könnte wirklich einen schlafenden Indianer zeigen. Der offizielle Name lautet jedoch „Peña de los Enamorados“, der Berg der Verliebten. Hier soll die nicht geduldete Liebe zwischen einem jungen christlichen adligen Ritter aus Antequera und einer schönen Muslimin ein tragisches Ende gefunden haben. Aus Liebeskummer stürzten sie sich von der Bergspitze in den Tod.
Diese Legende ist in Antequera allgegenwärtig und erinnert stark an die maurische Herrschaft, die 700 Jahre lang bis ins Jahr 1492
Der „Berg der Verliebten“erinnert an eine tragische Liebesgeschichte
dauerte. Aber die Geburtsstunde von Antequera reicht viel weiter zurück, wie man an den im Südosten der Stadt ausgegrabenen römischen Bädern ersehen kann. Aber das ist noch nicht alles, menschliche Spuren gab es schon Jahrtausende früher.
„Kennen Sie die drei Dolmen von Antequera?“, so fragte mich im Touristeninformationsbüro Pedro, ein freundlicher Spanier. „Sie gehören zu den größten Megalithanlagen Europas und wurden schon vor 6000 Jahren als Grabund Kultstätten benutzt“. Stolz erklärte er mir, dass diese drei Megalithgräber Menga, Viera und El Romeral vor kurzem in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen wurden, was eine ganz besondere Auszeichnung für die Stadt bedeutet. Die Anfahrt zu den am Stadtrand von Antequera befindlichen Dolmen ist beschildert, der Eintritt ist frei und man kann sich einen höchst interessanten Film über deren Entstehung vorführen lassen.
Schlendert man danach durch die engen Gassen der Stadt, ist man überrascht von den prunkvollen Barockhäusern und den unzähligen Kirchen und Klöstern. „Die Stadt mit den weißen und schwülstigen Kirchen“wie der Schriftsteller Gerardo de Diego sie beschreibt. Und in der Tat, Antequera nennt 36 Kirchen und Klöster sein eigen und alle haben irgendwie ihren eigenen Stil. Lohnend ist ein kleiner Aufstieg zum Castillo, wo eine gepflegte Gartenanlage zu einer erholsamen Pause einlädt. Von den Türmen und Mauern der Festungsanlage ergeben sich schöne Panoramablicke auf die Häuser, Kirchen und Klöster der Altstadt sowie deren hübsche ländliche Umgebung.
Spektakuläres Karstgebirge
Aber was wäre ein Besuch von Antequera ohne den Besuch des nur 13 Kilometer entfernten Naturparks „El Torcal“? Eine unglaubliche Landschaft, das Highlight überhaupt! Dieser Naturpark ist das bedeutendste Karstgebirge von Spanien und das schönste von Europa. Wind, Regen und Schnee haben dieses Hochplateau aus weichem Kalkstein über Millionen von Jahren zerfressen. Übrig geblieben sind unvorstellbar extravagante Felsformationen. Die ganze Schönheit dieser atemberaubenden Landschaft kann man nicht beschreiben, man muss sie erleben.
Der knapp 17 km² große Naturpark ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht zu erreichen, die Anfahrt mit dem eigenen Auto hingegen ist recht einfach und bequem. Dazu fährt man vom Ortskern beschildert über die malerische Bergstraße C 3310, passiert den Pass Boca del Asno und gelangt so nach 10 Kilometern an eine Verzweigung und zum Eingang des Naturparks.
Ein großer Parkplatz mit Besucherzentrum, Souvenirladen und Restaurant befindet sich sehr dekorativ auf einem Hochplateau in 1250 m Höhe. Bedingt durch diese ungewöhnliche Höhe kann sich das Wetter recht launisch zeigen. So kann es an einem Tag sehr heiß, dann aber auch bei entsprechendem Wind schnell frisch oder sogar kalt und Nebel verhangen sein.
Im Besucherzentrum erfährt man alle Einzelheiten über den Naturpark, auch wird auf Wunsch ein kurzer zehnminütiger Film gezeigt. Auf dem nur 100 Meter vom Besucherzentrum entfernten Aussichtspunkt Mirador de las Ventanillas genießt man einen phantastischen Ausblick in Richtung Süden über die sanften Erhebungen der Montes de Málaga, an klaren Tagen sogar bis zur Küste.
Zwei von der Schwierigkeit unterschiedliche Wanderwege durchziehen den Park. Beide sind nur Fußwege und beginnen in der Nähe des Parkplatzes und des Besucherzentrums. Dabei kann man sich in einem Labyrinth aus Fels und Stein an faszinierenden Felsformationen erfreuen. Man hat ihnen Namen gegeben wie das Dromedar, die Sphinx, die Zwillinge, die Schraube, die Eselin, die Drachen, die sieben Tische, König und Königin usw.
Natürlich hat eine derartig außergewöhnliche Landschaft auch Legenden und Anekdoten hervorgebracht. So erzählt man, dass es sich bei El Torcal um eine auf göttlichen Befehl in Stein verwandelte Stadt handelt. Eine moderne Legende macht diesen Ort sogar zum bevorzugten Landeplatz für Außerirdische. Und es fehlen auch nicht die Geschichten um Zauberer und versteckte und nie gefundene Schätze.
Aber die wirklichen und spektakulärsten Schätze findet man auf den beiden Wanderwegen, die dieses Fabelgebiet durchqueren. Und zwar in der wundervollen abwechslungsreichen Vegetation, den bizarren Felsgebilden und der außergewöhnlichen Tiervielfalt. Wenn man die Geier am Himmel kreisen sieht, die neugierigen Steinböcke auf den Felsspitzen auf den Fotoapparat bannt und dem permanenten Vogelgezwitscher lauscht, dann weiß man, dass die Natur immer und überall der größte und beste Zauberer ist.
Extravagante Kalkstein-Formationen, über Millionen Jahre in die Felsen gefressen