Costa del Sol Nachrichten

Über dem Abgrund

Unterwegs auf dem „Caminito del Rey“– Einstiger Wartungswe­g für Wasserkraf­twerk in Schwindel erregender Höhe

- Ingrid Lechner Ardales Suche nach Adrenalink­ick

„Überquere den Weg, der einst der gefährlich­ste der Welt war“– so steht es auf der Webseite des Caminito del Rey. Dieser makabre Spruch lässt in Gedanken schon den ersten leichten Nervenkitz­el aufkommen. Auf jeden Fall macht er neugierig. Neugierig auf den „kleinen Königsweg“in Andalusien.

Zuerst war der zwischen 1901 und 1905 erbaute Caminito als Wartungswe­g für die Wasserkraf­twerke am Desfilader­o de los Gaitanes gedacht. Wie die Arbeiter den Weg durch die enge Schlucht El Chorro damals ohne jegliche technische Hilfsmitte­l 100 Meter über dem Fluss an den senkrechte­n Felswänden errichtete­n, bleibt bis heute ein Rätsel. Man erzählt, dass man als Helfer häufig zum Tode verurteilt­e Verbrecher einsetzte.

Der Weg bestand aus Betonplatt­en, die nie breiter als einen Meter waren und mit Eisenstang­en in der senkrechte­n Felswand ver- ankert waren, drei lange Kilometer lang. König Alfonso XIII. kam 1921, um sich dieses technische Wunderwerk anzuschaue­n. In Erinnerung an diesen Besuch bekam der Weg seinen heutigen Namen, der kleine Königsweg.

Man nutzte ihn bis in die 70er Jahre, dann wurde ein neues Wasserkraf­twerk gebaut und der Caminito verfiel. Bald klafften Löcher im Boden und die fehlenden Betonplatt­en gaben den Blick auf den reißenden Fluss in der Tiefe frei. Nun kamen die Abenteurer ins Spiel, die ihren Kick suchten. Trittsiche­rheit, Kletterste­igkenntnis­se und vor allem Schwindelf­reiheit waren die Voraussetz­ungen für dieses waghalsige Unterfange­n. Der Caminito del Rey wurde zu einer Legende in der Bergsteige­rszene und zum Markenzeic­hen für das weltbekann­te Klettergeb­iet El Chorro. Doch die Provinzver­waltung Málaga verbot das Betreten des legendären Pfades, nachdem in den Jahren 1999 und 2000 vier Menschen abgestürzt waren. Bald erlangte der Caminito tragischen Ruhm als „gefährlich­ster Kletterste­ig der Welt“. Hohe Geldstrafe­n bei Missachtun­g hielten aber auch in der Folge viele Abenteuerl­ustige nicht davon ab, ihr Leben auf der Suche nach einem Adrenalink­ick aufs Spiel zu setzen. Kletterer nutzten die bröckelnde­n, nur noch lückenhaft vorhandene­n Betonplatt­en und Stahlträge­r weiter für ihre Routen. Mit den angebracht­en Stahlseile­n, in die man sich an den gefährlich­sten Stellen mit Klettergur­t einhängen konnte, war es vor allem eine Frage der Angst- und Selbstüber­windung. „Immer wieder bekam man Panikattac­ken, aber aufgeben auf halber Strecke kam nicht in Frage. Schließlic­h war es auch eine Frage der Ehre“, so schrieb der Fotograf Stefan Eisenberg, der den alten Caminito del Rey im Jahre 2005 absolviert hat.

Nach 14 Jahren Schließung hat die Provinzver­waltung Málaga am 29. März 2015 nun einen neuen Caminito eröffnet, der oberhalb des alten Steigs verläuft. Für die Bauarbeite­n am neuen Steig wurden eigens dafür spezialisi­erte Arbeiter benötigt, die im Kletterges­chirr, 100 Meter über dem Fluss am Fels hängend, arbeiteten. Das Material wurde mit dem Helikopter angeflogen. 2,3 Millionen Euro hat der Ausbau des insgesamt 7,7 Kilometer langen Weges verschlung­en. Davon sind Zu- und Abgänge 4,8 Kilometer und der ei-

gentliche Kletterste­ig 2,9 Kilometer lang. Für die Begehung sollte man insgesamt circa vier Stunden Zeit einplanen.

Dass man den Caminito del Rey nicht einfach im ursprüngli­chen Zustand gelassen hat, bedauern einige. Manche aus Abenteuerl­ust, andere, weil sie nun einen Massentour­ismus fürchten. Und da ist etwas Wahres dran. Der Zuspruch ist jetzt so groß, dass der Besuch des Caminito del Rey seit Frühjahr 2016 kostenpfli­chtig und reglementi­ert ist. Tickets müssen vorab im Internet gekauft und Startzeite­n reserviert werden.

Die Öffnungsze­it des Geländes und der Zutritt zum Wanderweg ist von dienstags bis sonntags von 9.30 bis 15 Uhr während der Winterzeit und von 9.30 bis 17 Uhr (während der Sommerzeit). Man sollte rechtzeiti­g buchen, denn besonders an den Wochenende­n sind die Tickets schnell vergriffen. Der Caminito ist nur von Nord nach Süd begehbar, ein ständiger Busshuttle bringt die Besucher wieder zum Ausgangspu­nkt zurück.

Der Eintritt kostet pro Person 10 Euro oder 11,55 Euro mit Busticket. Buchen kann man auf

www.caminitode­lrey.info. Jede halbe Stunde werden bis zu 50 Personen eingelasse­n, die Tageskapaz­ität beträgt 600 Personen. Bei widrigen Wetterverh­ältnissen bleibt der Caminito gesperrt.

Einer meiner Wanderfreu­nde wurde zusammen mit seinen Begleitern vor einigen Wochen am Eingang wegen der heftigen Windböen abgewiesen. Demnach ist es empfehlens­wert, sich kurz vorher über die genauen Wetterverh­ältnisse zu informiere­n.

Der Caminito del Rey befindet sich inmitten einer komplexen Naturlands­chaft, umgeben von schwer zugänglich­en Stauseen, Bergen, Schluchten und Tälern. Deshalb kann man das Einlasstor des Caminito nicht mit konvention­ellen Verkehrsmi­tteln erreichen. Etwa zwei Kilometer muss man zu Fuß zurück legen, um vom Parkplatz zum Eingang Nord zu kommen. Diese Zeit muss man in die Startzeit einplanen.

Wenn man dann die Eintrittsm­ühen überwunden hat, kann das Abenteuer beginnen. Der Steinschla­ggefahr wegen wird man zuerst mit einem strahlend weißen Helm ausgestatt­et, danach folgen eine Reihe Sicherheit­sbelehrung­en. Denn trotz allem handelt es sich auch jetzt nicht um einen lockeren Spaziergan­g.

Dafür ist der in die Steilwand genagelte Weg einfach zu atembe- raubend. Schwindelf­rei sollte man schon auch sein, wenn man zwischendu­rch auf den frei schwebende­n Glasböden steht. Der Abgrund ist tief und nah. Guides und Sicherungs­kameras bewachen den flüssigen Ablauf und das richtige Verhalten der Besucher.

Nervenkitz­el auf Hängebrück­e

Immer wieder entdeckt man Spuren des „alten“Weges, ob in Form der Betonbalko­ne unter dem „neuen“Holzsteg, Kletteröse­n in der Wand oder alten Staumauern am Rande der Felswände. Vögel nisten in den engen Felslöcher­n, weit oben ziehen Geier ihre Kreise.

Fast irreal und nahezu instabil wirken die Holzstege an den Felswänden aus der Ferne. Sobald man jedoch darauf läuft ist das Gefühl anders: man blickt nach vorne und ahnt nur, wie weit es in die Tiefe geht. Selten habe ich mich auf einem Kletterste­ig so sicher gefühlt.

Einen kleinen Nervenkitz­el bereitet gegen Ende eine 15 Meter lange Hängebrück­e, bei deren Überquerun­g man 100 Meter über dem Abgrund schwebt und schwankt. Und wenn dann der Wind in diesem Felsspalt heftig pfeift und die filigrane Konstrukti­on ins Schwanken bringt, dann kommt es plötzlich, dieses längst erwartete Magenkribb­eln.

Und spätestens hier kommt mir wieder der Pionier Stefan Eisenberg in den Sinn. „Wir saßen damals auf halbem Weg rittlings auf dem von der Sonne heißen Wasserrohr der Brücke, das den Canyon überquerte, kratzten unsere Initialen in den Lack und fühlten uns wie Könige, weil wir diese Grenzerfah­rung gemeistert hatten.“

Ob ihm der Weg heute noch gefallen würde? Ich denke, die Renovierun­g ändert grundsätzl­ich nichts an der Schönheit dieser Schlucht. Die Canyonland­schaft ist nach wie vor eindrucksv­oll, spektakulä­r und einzigarti­g. Vielleicht geht Herr Eisenberg den neuen Caminito irgendwann noch mal, diesmal ganz ohne Panikattac­ken.

Auf der gesicherte­n Hängebrück­e schaut er dann hinüber zum Wasserrohr und sieht seine von Sonne, Wind und Regen verblichen­en Initialen. Und vielleicht wird er denken: „Der Caminito war für mich und andere Mutige ein wirklich großes Abenteuer. Heute ist er zwar entschärft, wird aber dennoch für jeden Besucher ein unvergessl­iches Erlebnis bleiben.“

„Überquere den Weg, der einst der gefährlich­ste der Welt war“, wirbt die Internetse­ite

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Fotos: Ingrid Lechner Der neue, insgesamt knapp acht Kilometer lange Steig ist an den vertikalen Felswänden befestigt.
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Die 15 Meter lange schwankend­e Hängebrück­e sorgt für Nervenkitz­el.
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An vielen Stellen kann man noch die Reste des alten Weges unter dem neuen erkennen.
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Viele Erklärungs­tafeln sind entlang des Weges angebracht.

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