Bei Windstärke 13
Schauspieler Harald Wieczorek und seine Frau Monica haben die Costa del Sol vor drei Jahren für sich entdeckt
Stuntman, Schauspieler und Autor: Harald Wieczorek erzählt im Interview mit der CSN Anekdoten aus seinem äußerst bewegten Leben.
Wenn sich Seemänner früher über die Wetterlage auf dem Meer austauschten und sagten, „wir kriegen gewaltig einen auf den Arsch“, dann meinten sie, dass mit einem Orkan zu rechnen war, der über die höchste offizielle Windstärke 12 hinausging. „Windstärke 13“heißt ein Buch, das Harald Wieczorek im November 2017 veröffentlicht hat. Eine Geschichte über seine Seemannzeit, mit einem Titel, der widerspiegelt, wie der einstige Stuntman, Schauspieler und Autor in gewissen Phasen durch sein Leben gesegelt ist: Immer an Grenzen entlang und häufiger darüber hinaus.
Als 15-Jähriger kehrte Wieczorek seinem oberfränkischen Heimatort Ebermannstadt den Rücken, um sich auf das Abenteuer Seefahrt einzulassen. Anfang der 1960er besuchte er die Seemannschule in Bremervörde. Danach heuerte er auf Fischkuttern an, die sich durch die Herbststürme des kalten Atlantiks pflügten, und auf Bananen- und Kaffeefrachtern, die auf langen Reisen durch die Südsee und Karibik in vielen Häfen Ladung einsammelten.
Von der weiten Welt geträumt
Den Job lernte er von der Pieke auf, ackerte sich vom Moses bis zum Bootsmann hoch. Mit Fug und Recht kann Wieczorek behaupten, einer dieser letzten Haudegen gewesen zu sein, der die wahre Seefahrt noch kennengelernt hat. „Heute ist diese Zeit unwiederbringlich vorbei“, sinniert der 69-Jährige, der in seinem Buch anschaulich die harte Arbeit an Deck beschreibt und seine Leser einlädt, ihm bei Erlebnissen in Hafenkneipen, Puffs und Gefängnissen über die Schulter zu schauen.
„Welcher Junge hat damals nicht von der großen weiten Welt geträumt“, sagt Wieczorek und macht einen kurzen nostalgischen Abstecher in seine Kindheit. Schuld an seinem Berufswunsch seien alte Piratenfilme wie die Meuterei auf der Bounty, die Schatzinsel oder der Seewolf gewesen, verkündet er lachend. Und als der gute Freddy Quinn über die Gitarre und das Meer gesungen hätte, habe er sich zuhause durchgesetzt und sei losgezogen.
Als Seemann ist Wieczorek dem Tod zum ersten Mal von der Schippe gesprungen. 1966 war er auf einem sogenannten Tramp- schiff, einem echten Seelenverkäufer, wie er anmerkt, von Puerto Rico nach Afrika unterwegs, als der Frachter in einen Tropensturm kam und sank. Und während sich andere Kollegen gerade noch auf die Rettungskapseln retten konnten, platschte er in die tobende See. Sechzehn Stunden trieben ihn furchteinflößende Monsterwellen wie einen Korken durchs aufgewühlte Meer, bis der Orkan nach- ließ und die Mannschaft eines norwegischen Schiffs ihn bergen konnte. Bis auf den Stewart überlebte die Crew.
Ein schicksalhaftes Erlebnis
„Ich hatte Glück, ich war meist auf dem Wellenberg, nicht im Tal. Meine Schwimmweste hat mich immer wieder nach oben getrieben“, beschreibt Wieczorek das schicksalhafte Erlebnis und betont,
dass er während der gesamten Zeit vom Untergang bis zur Bergung immer das Gefühl gehabt hätte, jemand sei bei ihm gewesen. Von der Reederei gab es für die Überlebenden des Unglücks 500 Mark „Wertentschädigung“.
Das Buch „Windstärke 13“ist für Wieczorek eine Hommage an die Seefahrt. Seine erste große Liebe, die er 1973 gegen eine noch größere eintauschte: Seine Frau Monica, die er zärtlich Körnchen nennt. Der Seemann blieb fortan an Land und schlug sich unter anderem als Leibwächter und Lastwagenfahrer durch, bevor er die Schauspielschule Stuttgart absolvierte. Seine Ausbildung finanzierte er als Stuntman.
Fleißige Schutzengel
Ein großes goldenes Kreuz baumelt vor Wieczoreks breiter, braungebrannter Brust. Er sei kein Kirchgänger, aber dennoch ein gläubiger Mensch, gibt er zu. Wen wunderts? Sollte es Schutzengel geben, hat Wieczorek eindeutig mehr als einen strapaziert. Als Stuntman stellte er einige Weltrekorde auf. Von Egon Müller, dem einstigen Weltrekordler im Speedway-Fahren, ließ er sich 2.200 Meter durch den Staub schleifen, an einem Seil hinter dem Motorrad hängend. Mit einer Motocross-Maschine raste er fast 70 Meter zwischen brennenden Strohballen entlang – und fuhr nach vollendeter Tat sogar noch einmal zurück, was alle Anwesenden in Schockstarre versetzte. Von einem Parkhaus stürzte er sich aus 45 Metern Höhe in aufgestapelte Pappkartons, und für einen Kinofilm mit Isabelle Adjani ließ er sich in einem Berliner Altbau zwanzig Meter in die Tiefe fallen. Angeheuert wurde er, weil kein Stuntman zwischen engen Treppengeländern in Pappkartons springen wollte, und ein Luftkissen nicht in den Hausflur passte. „Jede Oma kann in ein Luftkissen springen“, konstatiert Wieczorek mit einem Augenzwinkern. Adjani habe ihn vor dem Sprung sogar noch geküsst, der Stunt sei Millimeterarbeit gewesen.
Das Image als Draufgänger und Überlebenskünstler hat Harald Wieczorek weg. Obwohl sich der 1,85-Meter-Mann darum bemüht, seine Stuntman-Abenteuer herunterzuspielen. Den Job habe er nur ein paar Jahre nebenbei gemacht, um seine Schauspielschule zu finanzieren, unterstreicht er. Es seien kalkulierbare Risiken gewesen. Man höre sich den Vorschlag an, überlege, ob das machbar sei und entscheide sich dafür oder dagegen. Man wisse genau, was auf einen zukomme. Manchmal habe er Angst gehabt, aber die sei im Moment der Aktion verflogen. Da sei er hochkonzentriert gewesen, in solchen Situationen gelte „Hopp oder Top“. Nur einmal hatte Wieczorek bei seinen waghalsigen Akrobatikstücken das Ruder nicht in der Hand, und das hat ihn fast das Leben gekostet. Als er 1979 zum ersten Mal bei den Karl MaySpielen in der Freiluftbühne in Bad Segeberg die Titelrolle im „Ölprinzen“spielte, kam es zu einem tra- gischen Unfall. Bei der Generalprobe wurde eine 4-Liter-Benzinbombe zwischen seinen Beinen zu früh gezündet, woraufhin Wieczorek lichterloh brennend aus elf Metern Höhe in ein 1,5-Meter tiefes Wasserbecken stürzte.
„Ein Kollege hat den falschen Hebel gedrückt. Ich hatte Glück, so etwas überlebt man eigentlich nicht. Meine Bundeswehrzeit bei den Fallschirmjägern hat mir geholfen, außerdem hatte ich zum ersten Mal auf einen Neoprenanzug bestanden. Nur meine Haut war verbrannt, nicht das Fleisch“, berichtet der Schauspieler. Das dramatische Ereignis bescherte ihm die Titelseite in der „Bild“, deren Fotografen mit der Kamera unter dem Mantel und dem Vorwand, sie kämen von der Versicherung, in sein Krankenhauszimmer gelangten, um ihn als „Mumie“abzulichten.
Nur einen Monat später stand Wieczorek erneut auf dem Ölturm und wiederholte den Sprung. Dieses Mal ohne sich in eine Fackel zu verwandeln. Das habe er getan, um sein Trauma zu bewältigen, erklärt er. Und obwohl die „Bild“mit zwei Fotografen zum Termin angerückt war, gab es dieses Mal nur eine kurze Meldung zum Thema: „Er hat es wieder gemacht.“
Geliebte Karl May-Spiele
1980 hatte Harald Wieczorek sein erstes Engagement am Theater. Dreharbeiten mit Rainer Werner Fassbinder, Engagements in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie zahlreiche Auftritte in TV-Serien wie Großstadtrevier, Soko München, Forsthaus Falkenau oder Tatort folgten. „Es gab in der Zeit kaum eine Vorabendserie, in der ich nicht mitgespielt habe“, verrät er. In 135 Theaterproduktionen stand er 7.200 Mal auf der Bühne. Den Karl May-Spielen ist er treu geblieben. Auch in diesem Sommer wird er dort zu sehen sein. „Das ist wie eine Sehnsucht. Segeberg hat mein Leben geprägt, aber bald werde ich wohl aufhören“, gibt Wieczorek preis.
Die Costa del Sol haben Harald und Monica Wieczorek vor drei Jahren für sich entdeckt. Nur noch für Jobs und Besuche bei Kindern und Enkelkindern fliegt das Paar nach Deutschland. Und warum ist es nicht Malle geworden? Monica möge Mallorca nicht, zudem gebe es dort zu viele Kollegen, verrät Wieczorek. „Martin Semmelrogge versucht seit langem, mich für die Insel zu begeistern“, lacht der Schauspieler, der viele bekannte Leute aus dem Business kennt oder kannte. Von Jürgen Roland über Pierre Brice, Götz George bis zu Mario Adorf oder Fritz und Elmar Wepper, um nur einige zu nennen.
Nicht ohne Sandsack
Mit dem Gedanken, dass das Leben endlich ist, geht Harald Wieczorek philosophisch um. Dem Tod ist er schon häufiger nah gewesen, und auch die große Liebe durfte er gleich zweimal erfahren: Die für die Seefahrt und die für sein Körnchen. Das hat ihn in dem Glauben bestärkt, dass es etwas geben muss, das über das Leben hinausgeht und uns verbindet. Dennoch wird der harte Kerl ganz weich, als er über seinen guten Freund Gunter Gabriel spricht, der vor einem Jahr verstorben ist. „Das wird schwer, wenn im Juni sein erster Todestag ansteht. Er war ein wunderbarer und authentischer Mensch“, sagt er mit bewegter Stimme und feuchten Augen.
Im Herbst wird Wieczoreks Theaterstück „Grauzone – Ticket ins Jenseits“in Ottobrunn unter der Regie von Bernd Seidel uraufgeführt. Im kommenden Jahr soll ein Roman erscheinen, der in der Epoche des 30-Jährigen Kriegs spielt. Derzeit lässt der Autor eines seiner Drehbücher ins Spanische übersetzen, damit will er Antonio Banderas in Versuchung führen. Kurzum: Langeweile kommt im Leben von Harald Wieczorek, der mindestens fünfmal in der Woche im Fitness-Studio auf den Sandsack eindrischt, noch lange nicht auf. Selbst wenn der 70. Geburtstag kurz vor der Tür steht.
Eine 4-Liter-Benzinbombe explodierte zwischen seinen Beinen