ETA löst sich auf
Baskische Untergrundorganisation kapituliert nach sechs Jahrzehnten
Ein internationales Vermittlerkomitee hat am vergangenen Freitag im französischen Baskenland die Auflösung der ETA besiegelt. Nach fast 60 Jahren, in denen ihr bewaffneter Kampf über 800 Todesopfer und tausende Verletzte gefordert hat, hört die Terrororganisation auf zu existieren.
Die Untergrundbewegung hofft nun auf Konzessionen hinsichtlich ihrer Gefangenen und ins Ausland geflohener Mitglieder. Der baskische Ministerpräsident Iñigo Ur- kullu hat bereits die Verlegung von ETA-Häftlingen in heimatnahe Gefängnisse gefordert. Die spanische Zentralregierung lehnt bislang allerdings jegliche Gegenleistungen für die Terroristen ab.
Nach 60 Jahren und über 800 Todesopfern hat die baskische Untergrundorganisation ETA aufgehört zu existieren. Am 20. April hat sie sich bei unschuldigen Opfern entschuldigt, am 3. Mai erklärte sie ihre Strukturen für aufgelöst, am Freitag, 4. Mai, hat in Cambo-lesBains (Kanbo) im französischen Baskenland eine internationale Konferenz die Auflösung offiziell besiegelt.
Der idyllische Landsitz Arnaga war Schauplatz einer pathetisch anmutenden Feier, bei der ein internationales Vermittlerkomitee und ehemalige ETA-Mitglieder wie Antxon und Arnaldo Otegi sich vor 90 Gästen umarmten. Eine Schweigeminute für alle Opfer eröffnete den Akt, mittags wurde die Erklärung von Arnaga verlesen, in der das Ende von ETA gefeiert und die Phase der Versöhnung eingeleitet wurde. Das Wort Terrorismus fiel nicht, stattdessen war von „bewaffneter Gruppe“und „politischer Gewalt“die Rede. Zu den Vermittlern gehörten der südafrikanische Anwalt Brian Currin, der ehemalige Sinn-Fein-Führer Gerry Adams, und der ehemalige FMIVorsitzende Michel Camdessus.
Vertuschung der Kapitulation
Kein Regierungsvertreter aus dem Baskenland, aus Navarra oder Madrid tat ETA den Gefallen bei einer Inszenierung mitzuspielen, die der separatistischen Terrororganisation ein letztes Mal Protagonismus einräumen wollte und so tat, als würde sie eine großzügige und lobenswerte Entscheidung treffen, wo es sich in Wirklichkeit um eine Kapitulation handelte.
Der baskische Ministerpräsident Iñigo Urkullu und die Regierungschefin Navarras, Uxue Barkos zelebrierten nachmittags einen gemeinsamen Akt in einem Landsitz in Navarra und verlasen eine Erklärung, in der sie die definitive Auflösung begrüßten, aber Selbstkritik und Reue vermissten. Bar- kos und Urkullu setzen sie sich für eine neue Häftlingspolitik ein, um das Zusammenleben in ihren Regionen dauerhaft zu erleichtern.
Regierungschef Mariano Rajoy reagierte von Madrid aus mit einer offiziellen Botschaft, in der er beteuerte, die Protagonisten heute seien nicht die Mörder, sondern die Opfer. Die Terroristen würden keine Gegenleistungen erhalten, es gäbe keine Straffreiheit. Damit antwortet die spanische Regierung auf die Forderung von ETA und vom Vermittlerkomitee, eine Lösung für ETA-Häftlinge und geflohene ETA-Mitglieder zu finden. Die spanische Regierung hatte eine
Änderung in der Häftlingspolitik immer vom Verschwinden von ETA abhängig gemacht. Nun sei sie unter Zugzwang, äußerte auch Iñigo Urkullu.
Die Arnaga-Erklärung bemängelte, dass die spanische Regierung ihrer Aufforderung zum Dialog nicht nachgekommen sei. 2011 hatte die internationale Vermittlergruppe die Erklärung von Aiete verlesen, die alle Seiten aufforderte, friedlich und demokratisch miteinander zu verhandeln, um dauerhaften Frieden im Baskenland zu erreichen. ETA verkündeten daraufhin am 20. Oktober 2011 die endgültige Einstellung des bewaffneten Kampfes.
Und hielten sich daran, was in der Geschichte der Terroristen keineswegs üblich war. Im vergangenen Jahr haben sie Waffen und Waffenlager übergeben. Allerdings keineswegs alle. Nach der Einstellung des bewaffneten Kampfes haben viele Beobachter die Auflösung nahe gewähnt. Doch es dauerte noch einmal fast sieben Jahre, bis in einem langwierigen Entscheidungsprozess die ETA-Häftlinge mehrheitlich der Auflösung zustimmten – oder im Wortlaut der Terroristen: „den Vorschlag, den historischen Zyklus und die Aufgabe der Organisation für beendet zu erklären, ratifiziert haben“.
297 Häftlinge in Gefängnissen
In spanischen, französischen und portugiesischen Gefängnissen sitzen insgesamt 297 ETA-Mitglieder ihre Haftstrafen ab. Die meisten Gefangenen befinden sich in Andalusien, gefolgt von Valencia und Galicien. Diese Verteilung auf andere Regionen war Teil einer Strategie, um die Mitglieder weitmöglichst dem Einfluss der autoritären ETA-Führung zu entziehen. Nur 25 Häftlinge sind in Gefängnissen im Baskenland, in Navarra oder 350 Kilometer von beiden Regionen entfernt untergebracht. 88 Prozent der Verurteilten sind im ersten Grad unter besonders strikten Bedingungen von Hafterleichterungen ausgeschlossen.
Diese und die Verlegung in heimatnahe Gefängnisse sowie Maßnahmen zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft werden die Häftlingspolitik der kommenden Jahre bestimmen. Dagegen sind die großen Opferverbände, die die spanische Regierung bedrängen, keinerlei Konzessionen an die Mörder zu machen.
ETA wurde 1959 von Studenten in einem Kloster gegründet. Die Abkürzung steht für Euskadi Ta Askatasuna (Baskenland und Freiheit). Diese „sozialistische, revolutionäre, baskische Organisation der Nationalen Befreiung“wollte das von der Franco-Diktatur unterdrückte baskische Volk be- freien und gegen das Regime kämpfen. Tatsächlich war eines der spektakulären ersten Attentate 1973 die Ermordung des von Franco eingesetzten Ministerpräsidenten Luis Carrero Blanco.
Doch das erste Todesopfer war am 7. Juni 1968 ein Guardia-CivilPolizist – und im Laufe der Jahrzehnte waren die meisten Opfer Angehörige der kasernierten Polizei. Diese symbolisierte für ETA die ewigen Schergen des Regimes, die die Basken unterdrückten. Da in den Kasernen auch die Familien der Beamten lebten, kamen auch Frauen und Kinder bei Attentaten ums Leben.
Spaltung nach Francos Tod
Nach Francos Tod kämpfte ETA für einen unabhängigen baskischen Staat, der die Region Navarra, das spanische und das französische Baskenland umfassen sollte. Die Untergrundorganisation spaltete sich. Viele der politisch denkenden ETA-Mitglieder schieden damals aus der bewaffneten Organisation aus und wurden zu politischen Führern, etwa der Partei Herri Batasuna. Diese ETA político-militar gab 1986 den bewaffneten Kampf auf. Die gewaltbereite ETA militar dagegen tötete zunehmend Zivilisten, allein 21 Personen starben im Juni 1987 bei einem Attentat in einem Kaufhaus in Barcelona.
Dass ETA viele der Basken, denen sie die Freiheit bringen wollte, erpresst und unterdrückt hat, schien für die Terroristen kein Widerspruch. Sie entführten oder bedrohten baskische Unternehmer, um mit der sogenannten Revolutionssteuer ihr Leben im Untergrund und neue Attentate zu finanzieren. Die meisten Anschläge waren Autobomben, die ferngezündet wurden. Manche Politiker, Richter oder Polizisten wurden auch aus nächster Nähe durch Genickschüsse niedergestreckt. Bis 2010 starben durch ETA 829 Menschen, Mariano Rajoy sprach von 853 Todesopfern. 335 von ihnen waren Zivilisten, Kinder inbegriffen. Diesen gegenüber entschuldigte sich ETA am 20. April in seiner selektiven Bitte um Verzeihung.
2.300 Menschen wurden verletzt. Die Zahl der Attentate be- läuft sich auf 4.000. Wer in den 80er oder 90er Jahren in Madrid lebte, erinnert sich an die Detonation von Autobomben, die Sirenen der Rettungswagen, die Radionachrichten mit der neuesten Attentatsmeldung.
Tote im ganzen Land Madrid, San Sebastián und Bilbao führen das Ranking der Städte mit den meisten tödlichen Attentaten an. Katalonien und Navarra waren stark betroffene Regionen. Die meisten Toten hat allerdings das Baskenland zu beklagen: Allein 576 Menschen verloren dort das Leben. Mehr als 5.000 Menschen
mussten im Baskenland rund um die Uhr von Leibwächtern beschützt werden.
Es hat unter allen Regierungen Verhandlungsversuche gegeben, damit ETA die Gewalt beendet. Mehrere Pakte wurden geschlossen. Inoffiziell wurde auch versucht, Gegengewalt zu nutzen. Die Antiterroristischen Befreiungstruppen (GAL) wurden vom Staat finanziert, um ETA-Mitglieder auszuschalten. Die Aufdeckung dieser illegalen Vorgehensweise von Mitgliedern der Regierung von Felipe González führte zu einer langjährigen Haftstrafe für einen Innenminister und einen Staatssekretär,
und lieferte ETA indirekt eine neue Rechtfertigung, gegen den Staat zu kämpfen.
Erfolgreich war die Bekämpfung des Terrorismus erst, als ab 1992 Frankreich mit Spanien zusammenarbeitete. Das Nachbarland war nicht länger das ETA-Paradies, in dem die Attentäter Zuflucht und Organisationszentralen fanden. Parallel zu den zahlreichen Verhaftungen durch die Polizei beider Länder, fand in der spanischen Gesellschaft ein Umdenken statt. Die Situation im Baskenland war feindselig und gefährlich, keiner traute dem anderen, Angehörige von Opfern konnten nicht offen trauern, ohne sich in Gefahr zu bringen. Über dieses Klima aus Misstrauen und Angst liegen Augenzeugenberichte, Bücher, Filme und Romane vor. „Patria“des baskischen, in Hannover lebenden Schriftstellers Fernando Aramburu wurde 2017 zum Bestseller und hat auch auf Deutsch großen Erfolg.
„Basta ya“und weiße Hände
Aber die Entführung und der Mord des PP-Stadtrats in Ermua, Miguel Ángel Blanco, im Juli 1997 brachten Millionen Menschen in ganz Spanien auf die Straßen. Die Parole „Basta ya“(Es reicht) und weißgefärbte Hände, die sich gen Himmel strecken, wurden zum Symbol für den Widerstand gegen ETA. Zehn Tage zuvor waren die Bilder zu sehen gewesen, wie der entführte Gefängnisbeamte José Antonio Ortega Lara nach 532 Tagen unter der Erde aus seinem engen Versteck ans Tageslicht kletterte. Unvergesslich der Anblick und nachvollziehbar, dass der Mann später die rechtsradikale Partei Vox mitgegründet hat.
Als am 11. März 2004 beim Attentat auf die Züge beim AtochaBahnhof in Madrid Dschihadisten 191 Menschen töten, war endgültig klar, dass ETA jegliche Legitimität verloren hatte. Die baskischen Terroristen mussten einsehen, dass auch sie nicht anders waren als die islamistischen Schlächter, dass sie politisch nichts bewirkt haben und nichts bewirken werden.
Über 20 Waffenruhen hatte ETA ausgerufen und gebrochen. In der Regel hat die Organisation die Zeit genutzt, um sich neu zu bewaffnen. Auch 2006 hat sie eine „permanente Waffenruhe“mit dem Attentat auf den neuen Terminal T4 im Madrider Flughafen gebrochen. Zwei Gastarbeiter kamen dabei ums Leben. Das letzte Opfer war ein französischer Polizist 2010. Aber die Bande war am Ende. Als ETA im September 2010 wieder eine Waffenruhe ausrief, schrieb der Auslandskorrespondent in Madrid, Walter Haubrich: „Die ETA, die lange Zeit als größtes Problem Spaniens galt, könnte bald am Ende sein. Die Separatistenorganisation war noch nie so schwach wie heute.“Ein vermutlich definitiver Friedensprozess hatte begonnen, der in die Aufgabe des bewaffneten Kampfes am 20. Oktober 2011 mündete.
Einer der Verhandlungsführer war auch damals schon Arnaldo Otegi. Der Koordinator des linksradikalen nationalistischen Bündnisses EH-Bildu und ehemalige ETA-Terrorist setzte sich seit 2006 für eine Aufgabe von ETA ein. Bildu gilt als die eigentliche Erbin der separatistischen Partei Herri Batasuna, die 2003 verboten wurde, und gehört, wie auch Sortu zur sogenannten izquierda abertzale. Die vereint der ETA nahestehende Gruppierungen für ein unabhängiges Baskenland. Otegi, der mehrere langjährige Haftstrafen abgesessen hat, war Vorsitzender von Sortu und leitet nun das Bündnis EHBildu. Bei der Landtagswahl 2016 hat dieses radikale Bündnis 21 Prozent der Stimmen erhalten. Bildu lenkt seitdem Richtung Versöhnung ein und nahm zuletzt auch an Ehrungen für von ETA ermordeten Politikern teil.
Die Aufgabe der Organisation sollte nicht klammheimlich geschehen. Der Propagandaapparat lief noch einmal auf Hochtouren. Bevor die Fußballweltmeisterschaft im Juni das öffentliche Interesse fesselt und nachdem der katalanische Separatismus die Titelseiten in Beschlag nahm, fand ETA eine Nische Anfang Mai. Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan schickte zum Akt in Arnaga eine Botschaft und bat um die Verlegung der ETA-Häftlinge ins Baskenland – dazu ein Foto, das die Flagge der katalanischen Separatisten, die Estelada, zeigte.
Unabhängigkeit bleibt Ziel
Tatsächlich bleibt die Unabhängigkeit auch im Baskenland ein politisches Ziel. Zwar war der Plan des Ministerpräsidenten Juan José Ibarretxe 2005 vom spanischen Parlament abgelehnt worden, doch je nachdem, ob bei den kommenden Wahlen das separatistische Bündnis EH-Bildu gestärkt wird oder die gemäßigte Baskisch-Nationalistische PNV von Iñigo Urkullo, könnte es schneller oder langsamer Richtung Unabhängigkeit gehen – auf politischem Weg, nicht mehr mit Bomben.
Über das Leben im Baskenland unter ETA schrieb der Journalist Jorge Marirrodriga in „El País“: „ETA, es heißt, du hättest nichts bewirkt. Das finde ich nicht. Du hast uns geknebelt, zum Schweigen gebracht, feige gemacht, hast uns leiden lassen und gespalten.“Bis diese Wunden endgültig geheilt sind, darüber sind sich alle einig, wird Zeit vergehen.