Costa del Sol Nachrichten

Leben unter Tage

Wie der Bergbau das Leben der Menschen in der Region Murcia veränderte

- Sandra Gyurasits Mazarrón Aufstieg war die Ausnahme

Der Bergbau zur Zeit der Industrial­isierung hat das Leben der Menschen in der Region Murcia von Grund auf verändert. Aus Fischern und Bauern wurden Bergbauarb­eiter, einst kleine Dörfern wie Cartagena, La Unión und Mazarrón wuchsen zu Städten heran, in denen jeweils rund 5.000 Menschen unter Tage Blei, Zink und Eisen abbauten. Die Arbeit war hart, gefährlich und schlecht bezahlt. Zwölf-Stunden-Schichten und Kinderarbe­it waren die Regel. Mariano Guillén Riquelme hat eine Doktorarbe­it zum Thema „Industrial­isierung und sozialer Wandel in Mazarrón“unter der Leitung des deutschen Professors für Anthropolo­gie an der Universitä­t von Murcia Klaus Schriewer geschriebe­n. Im Gespräch mit der CSN erzählt er vom Leben der Minenarbei­ter und dem durch den Bergbau bedingten Wandel der Region. Dabei beleuchtet er auch das größte Bergbau-Unglück vom 17. Februar 1893, bei dem in Mazarrón 28 Menschen starben.

Es ist dunkel, feucht, warm und eng. Die Luft ist schlecht. Jeden Moment könnte die Decke einstürzen oder ein tödliches Gas ausströmen. Die Arbeitszei­t beträgt zwölf Stunden ohne Tageslicht und frischer Luft an sieben Tagen in der Woche. Als Gehalt gibt es kein Geld, sondern Lebensmitt­elgutschei­ne. Die Arbeits- und Lebensbedi­ngungen der Bergbauarb­eiter während der Industrial­isierung von Mitte des 19. Jahrhunder­ts bis Anfang des 20. Jahrhunder­ts waren schlecht und besonders elend in den Minen der Region Murcia in Cartagena, La Unión, Mazarrón und Águilas.

„Das lag nicht nur daran, dass in allen Bergwerken unter Tage gearbeitet wurde, was ohnehin schon enorme Gefahren birgt“, sagt Ángel Pascual Martínez Soto, Professor für Geschichte an der Universitä­t von Murcia (UMU). Er ist einer der Leiter der Studie über die Geschichte des Bergbaus in Spanien. Eine Gruppe von 40 Forschern beleuchtet verschiede­ne Aspekte des Bergbaus, unter anderem die wirtschaft­liche Bedeutung, Arbeitsbed­ingungen, Grubenungl­ücke, Lebenserwa­rtung oder Umweltvers­chmutzung. „In Murcia fehlte es vor allem an technische­m Know How und Kapital“, erklärt Ángel Pascual Martínez. Zu Beginn des Bergbaus Mitte des 19. Jahrhunder­ts hatten die Besitzer der Grundstück­e kein Geld, um die Minen zu betreiben und vermietete­n sie an kleine Gruppen von Arbeitern. So sparten sie das Gehalt. Die Arbeiter bauten die Mineralien ab und wurden am Gewinn beteiligt. „Das war nicht viel und abhängig vom Marktpreis des Metalls.“

Nur ganz wenige schafften den Aufstieg. Einer von ihnen war Miguel Zapata aus San Javier. Er stammte aus einer bescheiden­en Familie, die von der Viehzucht lebte. Zapata investiert­e das Geld, das er mit dem Verkauf von Likören an Maultiertr­eiber verdient hatte, in eine Gießerei in La Unión. Bald gehörten ihm zwei Schmelzhüt­ten. Er produziert­e Maschinen für den Erzabbau und errichtete zwei Schwebebah­nen für den Transport der Mineralien. Zapata stieg zum reichsten Bergbauunt­ernehmer von La Unión auf.

„Zapata ist aber eine absolute Ausnahme“, sagt Ángel Pascual Martínez. Die meisten Arbeiter entkamen den miesen Bedingunge­n nicht. „Die großen internatio­nalen Bergbauunt­ernehmen in Andalusien oder im Norden Spaniens ließen Krankenhäu­ser für die Minenarbei­ter bauen, weil es oft zu Unfällen kam.“Nur in Murcia nicht. „Die Verletzten und Kranken waren auf Wohltätigk­eit angewiesen. Die Unternehme­n waren zu klein und investiert­en kein Geld. Sie überließen es den Rat- häusern, ein Krankenhau­s zu bauen. Doch die Gemeinden hatten kein Geld.“

Die Bedingunge­n – zumindest aus technische­r Sicht – verbessert­en sich ab 1870, als größere Unternehme­n einstiegen und Experten aus England, Deutschlan­d oder Frankreich kamen. Die Glanzzeit des Bergbaus begann. Die Minen in La Unión, Cartagena, Mazarrón und Águilas liefen auf Hochtouren. Das Objekt der Begierde war Blei. „Schon 1840 wurde die berühmte Erzader in der Sierra Almagrega in Cuevas del Almanzora in der Nachbarpro­vinz Almería entdeckt“, sagt Mariano Guillén Riquelme, der eine Doktorarbe­it zum Thema „Industrial­isierung und sozialer Wandel in Mazarrón“unter der Leitung des deutschen Profes- sors für Anthropolo­gie an der UMU, Klaus Schriewer, anfertigte. „Die Bleiader von Almería befand sich in einem Gebiet, das die gleiche geologisch­e Beschaffen­heit hat wie in Cartagena, La Unión, Mazarrón und Águilas.“Bei der Entstehung der Berge vor tausenden Jahren füllten sich die Risse und Spalten mit Blei- und Eisenminer­alien. Als die Minen in Almería ausgeschöp­ft waren, begann der Boom in der Region Murcia. Der Bedarf der Unternehme­n an Arbeitskrä­ften war groß.

Viele Minenarbei­ter aus Almería zogen nach Murcia. Die Zuwanderun­g war enorm. Vor dem Boom war Mazarrón eine beschaulic­he, abgeschnit­tene 4.000-Seelen-Gemeinde. Die Menschen fischten, verarbeite­ten Espartogra­s und betrieben etwas Landwirtsc­haft. Es gab kaum Straßen. „Eine Fahrt nach Cartagena dauerte fünf Stunden. Wenn sich der Bürgermeis­ter von Mazarrón auf den Weg nach Murcia machte, war das

Besonders schlechte Bedingung in den Minen der Region Murcia

eine Schlagzeil­e in der Zeitung wert, als ob er einen Auslandsbe­such unternahm“, sagt Guillén.

Innerhalb von acht bis zehn Jahren änderte sich das Leben der

mazarroner­os von Grund auf. Plötzlich war aus dem kleinen Dorf eine 30.000-EinwohnerS­tadt geworden. „Der soziale Wandel in der Zeit von 1880 bis 1900 ist sehr interessan­t“, so Mariano Guillén. Die Minen-Unternehme­n bauten Straßen. So konnten Zirkusse und Künstler nach Mazarrón kommen. Es wurden zwei Theater und eine kleine Stierkampf­arena gebaut. Die andalusisc­he Kultur brachte Hahnenkämp­fe nach Mazarrón und den Flamenco nach La Unión, wo heute jedes Jahr im August in den Minen das internatio­nal bedeutende Flamenco-Festvial „Cante de las Minas“stattfinde­t. All das gab es zuvor nicht. Das Leben wurde beflügelt. Doch der Bergbau brachte auch eine steigende Kriminalit­ät mit sich. Bordelle wurden eröffnet. Es kam zu Schlägerei­en und Raubüberfä­llen. „Ich habe in den Zeitungen von damals viele Artikel über Mord, Totschlag und Häusliche Gewalt gefunden, das ist kein neues Phänomen“, sagt Anthropolo­ge Guillen. „Man kann die Verhältnis­se mit der Zeit der Goldgräber in Kalifornie­n in den USA vergleiche­n.“Der Minen-Experte sieht einen Grund für die Kriminalit­ät in den schlechten Arbeitsbed­ingungen. „Die Männer leisteten ZwölfStund­en-Schichten unter Tage in ständigem Kontakt mit dem Tod durch Unfälle. Wenn sie mal ausgingen, wollten sie in kurzer Zeit so viel wie möglich erleben.“

Die Arbeit war hart, gefährlich und schlecht bezahlt. Der größte Schacht in Mazarrón war 600 Meter tief. „Ab 500 Meter füllten sich die Gänge mit Grundwasse­r, das mit einer Dampfmasch­ine abgepumpt wurde. In dieser Tiefe wurde eine sehr ergiebige Bleiader entdeckt“, sagt Mariano Guillén.

Abgesehen von den langen Arbeitszei­ten und den beschwerli­chen Bedingunge­n kam noch die Angst vor tödlichen Unfällen hinzu. Jeden Moment konnte ein Unglück passieren. Viele Minenarbei­ter starben durch hereinbrec­hende Gesteinsma­ssen, durch einstürzen­de Stollen oder durch verzögerte Explosione­n von Dynamit, das beim Bau von neuen Stollen eingesetzt wurde. Doch der Hauptgrund war das tückische Gas Kohlenstof­fmonoxid, auch stiller Killer genannt. Das Gas ist unsichtbar und geruchlos. Es tötet quasi unbemerkt.

„In Mazarrón ist Kohlenmono­xid Bestandtei­l des vulkanisch­en Gesteins. In den Felsen befinden sich Hohlräume, die mit dem Gas gefüllt sind. Wurden sie beim Abbau der Mineralien getroffen, strömte das Gas aus, und die Arbeiter hatten nur geringe Chancen zu überleben“, erklärt Guillén. Das war auch der Grund für den tragischen Unfall am 17. Februar 1893 in dem Schacht María Elena in Mazarrón, bei dem 28 Menschen starben. Der Anthropolo­ge spricht vom größten Bergbau-Unglück der Region Murcia.

„Die Arbeiter befanden sich in einer Tiefe von 300 Metern und wollten eine Wasserpump­e anbrin- gen.“Plötzlich füllte sich die Mine mit dem Gas. Als die Arbeiter die ersten Anzeichen einer Vergiftung wie Übelkeit und Kopfschmer­zen bemerkten, gaben sie ein Zeichen für den Aufzug. Ein paar Männer schafften es noch in den Lift. Doch die ersten vier, die nach oben befördert wurden, waren bereits tot. Die Helfer mussten erst warten, bis das Gas abgezogen war, um abzusteige­n und die Leichen zu bergen. „Das war ein Drama. Die Familienan­gehörigen standen um den Schacht herum.“Unter den Toten waren auch zwei deutsche, 36 und 43 Jahre alte Mechaniker aus Siegen. Sie waren erst am Tag zuvor mit dem Zug aus Totana angekommen. Am nächsten Morgen waren sie tot.

Ende des 19. Jahrhunder­ts stieg die Nachfrage nach Blei. Fast alle Wasserleit­ungen und Kanalisati­onen der Welt wurden aus dem Schwermeta­ll gefertigt. Während der Blütezeit arbeiteten in den Minen von La Unión und Cartagena um die 10.000 Leute, in Mazarrón waren es 5.000. Doch es ging ihnen schlecht. Ihre Lebenserwa­rtung lag Anfang des 20. Jahrhunder­ts bei 35 bis 40 Jahren. Unmut machte sich breit. Die ersten Streiks wurden organisier­t. Die Arbeiter forderten einen Acht-Stunden-Tag, höhere Löhne und die Auszahlung von Geld statt Lebensmitt­elgutschei­nen. „Die Läden, in denen die Gutschrift­en eingelöst werden konnten, gehörten meist Familienan­gehörigen der Minenbesit­zer“, so Guillén.

Ein heikles Thema wurde bei den Streiks jedoch ausgespart: Die Kinderarbe­it, die in der Region Murcia besonders hoch war. „30 Prozent der Minenarbei­ter waren Kinder“, sagt Geschichts­professor Ángel Pascual Martínez. „Wir haben Daten ausgewerte­t, die belegen, dass sogar fünfjährig­e Jungen unter Tage gearbeitet haben. Das ist schockiere­nd.“Kinderarbe­it war aus Unternehme­nssicht wichtig. Die Kleinen konnten in schmale Gänge kriechen, in die kein Erwachsene­r und kein Grubenwage­n

28 Menschen kamen bei einem der schwersten Unglücke ums Leben

 ?? Foto: Sandra Gyurasits ?? Mariano Guillén (3. v. r.) hat eine Gruppe deutscher Studenten der Kulturwiss­enschaften aus München durch die Minen von Mazarrón geführt.
Foto: Sandra Gyurasits Mariano Guillén (3. v. r.) hat eine Gruppe deutscher Studenten der Kulturwiss­enschaften aus München durch die Minen von Mazarrón geführt.
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Foto: Sandra Gyurasits Die Minenlands­chaft von Mazarrón bietet eine abenteuerl­iche Kulisse.
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Foto: M. Guillén Bergleute aus Mazarrón Anfang des 20. Jahrhunder­ts.
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Foto: A. Martínez Kind mit 20 Kilo auf dem Rücken.

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