Stadt für Touristen
Alfonso Miranda, der Vorsitzende der größten Nachbarschaftsvereinigung des Stadtzentrums von Málaga, im CSN-Interview
Die Stadt Málaga erlebt erst seit zwei bis drei Jahren ihren ersten richtigen Touristenboom. Die Anwohner der Altstadt sehen diese Entwicklung jedoch kritisch: Sie beschweren sich über gestiegene Mieten, Lärm und fehlende Dienstleistungen.
Alfonso Miranda ist der Vorsitzende der Asociación de Vecinos Cen
tro Antiguo de Málaga, der größten Nachbarschaftsvereinigung des Stadtzentrums von Málaga, die sich seit 25 Jahren für die Interessen der Anwohner einsetzt. Im Gespräch mit der CSN sprach er über die Veränderungen, die das Stadtzentrum von Málaga in den vergangenen Jahren durchlebt hat.
CSN: Wenn man die Demonstration am 12. Mai der neuen Initiative „Málaga no se Vende“(dt.: Gegen den Ausverkauf von Málaga, siehe CSN 1128 – Red.) miterlebt hat, an der Ihre Vereinigung übrigens auch teilgenommen hat, gewinnt man den Eindruck, dass viele Bürger die Nase voll haben mit der Entwicklung, die die Stadt Málaga in den vergangenen Jahren vollzogen hat.
Alfonso Miranda: Die Entwicklung war unkontrolliert und zu schnell. Das Stadtzentrum ist zum Großteil mit EU-Subventionen aus dem Fonds für regionale Entwicklung Feder verschönert worden, die eigentlich dafür bestimmt waren, die Lebensqualität der Anwohner zu verbessern. Das ist aber nicht erreicht worden, sondern eher das Gegenteil. Es sind zwar Fußgängerzonen geschaffen und neue Museen eröffnet worden, aber dafür scheint es jetzt im Zentrum nur noch Restaurants und Kneipen zu geben.
Es gibt aber doch städtische Verordnungen wie beispielsweise die Ordenanza de la Vía Pública, die unter anderem vorschreibt, dass zwischen den Terrassen der Restaurants noch ausreichend Platz für die Passanten bleibt.
Die Verordnung ist sehr lasch, und die Stadt unternimmt auch nichts, dass sie eingehalten wird. In vielen Straßen ist trotz der Verordnung kaum noch Platz, um zwischen den Terrassen durchzulaufen. Auch die Sperrstunden, die die Verordnung vorsieht, sind viel zu spät. Die Außenterrassen der Lokale müssen an den Wochenenden um 2 Uhr abgebaut sein, zu einer Zeit, in der die meisten Bürger schon seit zwei Stunden schlafen. In anderen europäischen Großstädten ist 24 Uhr die Norm. Für mich ist absolut unverständlich, warum es ausgerechnet in Málaga länger gehen muss. Málaga scheint nur noch für die Touristen gemacht zu sein, aber nicht für solche, die die Kultur und die Geschichte der Stadt kennenlernen wollen, sondern nur noch für solche, die sich hier billig betrinken wollen.
Der Touristenboom hat eigentlich erst vor zwei oder drei Jahren in Folge der Ausbreitung der Touristenapartments so richtig in Málaga eingesetzt, oder?
Die Touristenapartments haben sich geradezu exzessiv ausgebreitet. Viele sind auch illegal. Laut einer Studie zu Airbnb, der führenden Online-Plattform zur Vermittlung von Ferienunterkünften, gibt
es allein im Zentrum von Málaga rund 23.300 Betten in Touristenapartments. Das ist natürlich ein Wahnsinn, denn den Leuten, die vorher in den Wohnungen gewohnt haben, sind die Mieten derart erhöht worden, dass sie ausziehen mussten. Im Schnitt sind die Mieten um 200 Prozent erhöht worden. Wenn eine Wohnung 500 Euro gekostet hat, ist die Miete auf 2.000 Euro erhöht worden, da man mit den Touristenapartments, die tageweise vermietet werden, mehr Geld machen kann.
Die Stadt behauptet, sie könnte nichts dagegen unternehmen, da die andalusische Landesregierung für alles, was den Tourismus betrifft, zuständig sei.
Das stimmt nicht, die schieben sich da gegenseitig den schwarzen Peter zu. In anderen Städten sind die Touristenapartments eingeschränkt worden. Wenn die Städte wollen, können sie das auch.
Wie viele Anwohner hat es denn im Zentrum von Málaga gegeben, bevor dieser Boom mit den Touristenapartments begonnen hat?
Vor 25 Jahren gab es zwischen 25.000 und 30.000 Anwohner im Zentrum von Málaga. Jetzt sind es nur noch ein bisschen mehr als 4.800. Und dafür sind hauptsächlich die Touristenpartments verantwortlich.
In Madrid, Barcelona, San Sebastián und auf den balearischen Inseln sind die Touristenapartments stark eingeschränkt worden. Außer in Madrid ist dabei nach einem Modell mit verschiedenen Zonen vorgegangen worden: Im unmittelbaren Stadtkern werden keine neuen Lizenzen für Touristenapartments mehr vergeben, im daran angrenzenden wird die Zahl konstant gehalten und in der nächsten wird es etwas weniger streng gehandhabt. Soll Málaga diesem Modell folgen?
Das Zentrum von Málaga ist schon saturiert, was Touristenapartments betrifft. Wir brauchen ein Morato- rium, das heißt, dass es die nächsten zwei Jahre keine neuen Touristenapartments mehr geben darf. Die Touristenapartments stellen nebenbei ja auch noch ein Sicherheitsrisiko dar. Denn man weiß nicht, wer da kommt. Das kann eine korrekte Person sein, kann aber auch ein Terrorist sein. In den Hotels wird da viel stärker kontrolliert.
Welche Gründe gibt es abgese- hen von den Touristenapartments noch für den Exodus der Anwohner?
Viele Leute sind aus dem Zentrum ausgezogen, weil es ihnen einfach zu laut wurde mit den ganzen Kneipen und dem Nachtleben. Die Stadt hat eine neue Verordnung, die vorsieht, etliche Straßen und Plätze für „akustisch saturiert“zu erklären. In diesen Straßen dürfen dann keine neuen Lizenzen mehr für Kneipen erteilt werden. Die Verordnung ist aber noch nicht verabschiedet und die Verabschiedung ist erst vor kurzem erneut hinausgezögert worden. Jetzt will die Stadtregierung plötzlich die Bürger darüber abstimmen lassen, ob sie die Verordnung wollen oder nicht. Das Ganze dient nur dazu, das weiter zu verschleppen.
Und abgesehen vom Lärm?
Es gibt kaum noch Dienstleitungsbetriebe oder kleine Geschäfte wie Bäckereien und Zeitungsläden. Auch Schulen fehlen. Es gibt ja fast nur noch Gastronomiebetriebe. Darüber hinaus ist das Zentrum von Málaga auch unsicher geworden, in dem Sinn, dass wegen der Terrassenlokale in vielen Straßen gar kein Krankenwagen mehr durchkommt. Es gibt auch keinen Evakuierungsplan für etwaige Attentate.
Was halten Sie von der Verkehrsberuhigung? Im Laufe der vergangenen 20 Jahre ist ja ein Großteil des Zentrums zur Fußgängerzone umgewandelt worden.
Die Verkehrsberuhigung war an und für sich etwas Positives, aber heute werden die Fußgängerzonen dazu missbraucht, einen Tisch neben den anderen zu stellen oder Veranstaltungen wie die Feria abzuhalten. Diese ist mittlerweile kein Volksfest mehr, sondern ein Massenbesäufnis ohnegleichen. Das wird geduldet, weil man mit der Feria leichtes Geld machen kann. Die Anwohner interessiert die Feria in der Stadt nicht.
Demnächst wird ja auch noch ein Großteil der Alameda Principal zur Fußgängerzone umgebaut.
Das hat zur Folge, dass mit den Häusern dort spekuliert wird. Das wird bereits gemacht. Da kommen Investoren von auswärts, grabschen kräftig ab und gehen dann wieder.
Wenn Sie Málaga heute mit Málaga vor 15 oder 20 Jahren vergleichen, müssen Sie aber zugeben, dass die Stadt schöner aussieht.
Keine Frage. Aber sobald die neuen Fußgängerzonen geschaffen worden waren, ging es der Stadt nur noch darum, schnelles Geld zu machen. Irgendwann zerplatzt diese Blase mit dem Tourismus und den vielen Gastronomiebetrieben genauso wie seinerzeit die Immobilienblase. Denn es wird nur kurzfristig gedacht. Es stellt sich niemand die Frage, was wir machen, wenn die Touristenströme plötzlich ausbleiben.
Gibt es in Málaga Anzeichen für Tourismusphobie wie in Barcelona oder auf den balearischen Inseln?
Tourismusphobie hat es eigentlich in Málaga noch nie gegeben. Aber wenn es soweit kommen sollte, ist das alleine die Schuld der Politiker. Die müssten als Erstes die Touristenapartments einschränken, denn wenn dich jemand aus deiner Wohnung hinauswirft, entwickelst du natürlich eine Phobie. Normalerweise sind wir in Málaga sehr gastfreundlich, aber wir möchten auch in Frieden leben.
Wie sehen Sie die Zukunft der Anwohner des Stadtzentrums?
Das hängt von den Politikern ab und welches Stadt-Modell die wollen. In den Zeitungen sagt Bürgermeister Francisco de la Torre, dass er eine nachhaltige Entwicklung will mit einem qualitativ hochwertigem Tourismus, aber er fördert genau das Gegenteil. Juan Cassá, der Sprecher der Partei Ciudadanos, hat in einem Radiointerview gesagt, dass die Lösung für die Anwohner des Zentrums ist, woanders hinzuziehen. Das Zentrum wird dann eine „City“zum Geschäftemachen. Und das, nachdem so viele EU-Subventionen ausgegeben worden sind, die eigentlich den Sinn hatten, das Zentrum wohnlicher für seine Anwohner zu machen.