Dunkle Vergangenheit
Alicantes Luftschutzbunker retteten im Spanischen Bürgerkrieg Tausenden das Leben – Tragische Attacke auf die Markthalle
Sirenen heulen, Flugzeugmotoren knattern im Tiefflug über die Stadt. Irgendwo fallen die ersten Bomben, Explosionen sind zu hören. Das Licht im Luftschutzbunker Nummer 46 unter Alicantes Plaza Séneca flackert und erlischt schließlich ganz. Als die Lampen wieder angehen, halten die Besucher der Führung durch Alicantes größten begehbaren Luftschutzbunker aus dem Spanischen Bürgerkrieg den Atem an. „Furchtbar“, entfährt es einer der Besucherinnen. Der Luftangriff ist nur ein Hörspiel. Aber noch heute lässt sich so gut nachvollziehen, was zwischen 1936 und 1939 zum Alltag der Alicantinos gehörte.
Als republikanische Hochburg und letzte Stadt, die Francos Truppen eroberten, wurde Alicante besonders häufig von Bombardements heimgesucht. „Deutsche und italienische Alliierte Francos griffen die Provinzhauptstadt während des Bürgerkriegs 82 Mal aus der Luft an, allein 52 Angriffe erlitt die Stadt im Jahr 1938“, erklärt Touristenführer Pedro Serrano der spanisch-französischen Besuchergruppe aus L’Alfàs del Pi. Rund 500 Tote waren insgesamt in der damals 100.000 Einwohner großen Stadt zu beklagen.
Zu den grausamsten Angriffen gehört der vom 21. November 1937 – fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Hinrichtung des Fal- ange-Gründers José Antonio Primo de Rivera. Der Unterstützer der Militärrevolte gegen die Zweite Spanische Republik war am 20. November 1936 in einem Alicantiner Gefängnis erschossen wor- den. Ein Jahr später traf eine Bombe die Vorkammer eines Luftschutzbunkers in der Calle Huerta am nordwestlichen Fuß der Burg Santa Bárbara. 37 Tote und 60 Verletzte waren die traurige Bilanz.
Als die Sirenen versagten
Das folgenschwerste Bombardement, das sich 2018 zum 80. Mal jährt, erlitt Alicante jedoch am 25. Mai 1938. Neun italienische Bomber des Typs Savoia S-79 Sparviero attackierten gegen 11.15 Uhr die gut gefüllte Markthalle der Provinzhauptstadt. Fisch und Gemüse waren an diesem Tag frisch und in Mengen an den Marktständen verfügbar, wie es während des Bürgerkriegs sonst selten der Fall war.
Das Tragischste am Angriff auf den Mercado Central, der weit weg von jeglichem militärischen Ziel lag: Die Luftschutzsirenen schlugen nicht Alarm. Warum, ist bis heute nicht endgültig geklärt. Die Versionen der Alicantinos reichen von einem technischen De-
fekt über die Möglichkeit, dass die Flieger nicht wie sonst üblich vom Meer kamen, sondern vom Inland und deshalb nicht rechtzeitig gesichtet wurden bis hin zur Verschwörungstheorie, dass absichtlich kein Alarm ausgelöst wurde. Den Alicantinos blieb keine Zeit, die schützenden Bunker zu erreichen. Die Bomben fielen auf Alicantes Club de Regata, in den Straßen San Fernando, Correos, Gerona und López Torregrosa, auf die Markthalle, die Calles Capitán Segarra, San Vicente und Vicente Inglada.
Bei dem Angriff starben mehr als 300 Menschen, die meisten davon Frauen und Kinder. Noch heute sind die Uhr der Markthalle, die zum Angriffszeitpunkt stehenblieb, und eine der Sirenen, die nicht mehr rechtzeitig warnen konnten, im Erdgeschoss des Mercado Central zu sehen.
Auf der Plaza del 25 de Mayo an der Rückseite der Markthalle erinnert eine – nicht ohne Debatte im Jahr 2013 installierte – Bodenplakette an die Opfer des Massakers. Neun Metallplatten stehen für die Anzahl der italienischen Flugzeuge, die die Stadt heimsuchten. 90 schwarze Löcher symbolisieren die Anzahl der Bomben, die fielen, 330 rote Lichter, die an die Opfer erinnern sollen, leuchten täglich zur Zeit des Angriffs.
90 Bunker in der ganzen Stadt
Um seine Einwohner zu schützen, errichtete die sogenannte Junta Local de Defensa Pasiva während des Bürgerkriegs rund 90 Luftschutzbunker in der ganzen Stadt. Es gab drei Typen: Die unter einer rund 120 Zentimeter dicken Betonschicht geschützten Bunker wie der unter der Plaza Séneca. In seinen 38 Kammern fanden rund 1.200 Personen Platz. 65 Löcher in der Decke ließen frische Luft in die Katakomben. Außerdem wurden galerieartige Bunker aus Beton errichtet – ein Beispiel ist der zweite, momentan begehbare Bunker Alicantes an der Plaza Balmis. Schutz suchten die Alicantinos auch im Berg Serra Grossa, in dessen Stollen sich Tausende flüchteten.
Inschriften und Zeichnungen an den Wänden gaben den Schutzsuchenden wichtige Hinweise. „Nicht im Eingangsbereich stehenbleiben“, „Der beste Schutz besteht im Zentrum des Bunkers“oder „Rauchen verboten“ist noch heute gut an den Wänden im 42 Meter langen Bunker unter der Plaza Séneca zu lesen. Neben den Resten eines auf die Wand gezeichneten Auges am Nordeingang und denen eines Ohrs am Südeingang des Bunkers sind bei genauem Hinsehen noch die Zeilen „Achtung, der Feind sieht“und „Vorsicht, der Feind hört mit“zu entziffern. „In den Bunkern suchten alle Schutz, Republikaner und Franco-Anhänger, es war bes- ser, hier unten den Mund zu halten“, erklärt Touristenführer Serrano.
Um Konflikte zu vermeiden, waren Lebensmittel in den Bunkern verboten. „Erlaubt waren Wasser, Kerzen und Decken“, erklärt Serrano. Toiletten gab es keine, aber immerhin elektrisches Licht. In einigen der drei Quadratmeter großen Zellen, in denen jeweils zwölf Personen ausharrten, sind Botschaften an den Wänden zu lesen, mit denen sich einige Alicantinos bei stundenlanger Warterei verewigten.
„Das Schlimmste erwartete die Leute, wenn der Alarm vorbei war“, so Serrano, „viele hatten im Tumult ihre Angehörigen aus den Augen verloren, wussten nicht, ob die Kinder in Sicherheit waren oder das Haus noch stand“.
Wiederentdeckt wurde Refugio Nummer 46 im Rahmen der Umgestaltungsmaßnahmen auf der Plaza Séneca im Jahr 2013. Die Bagger stießen dabei auf die beiden Eingänge des Luftschutzbunkers. Ganz unbekannt sei seine Existenz allerdings nicht gewesen, räumt Serrano ein, „alle Bunker der Junta Local de Defensa Pasiva sind in Plänen dokumentiert“. In Alicante wollte bis dahin allerdings kaum jemand etwas von dunklen Vergangenheit im Untergrund wissen. Nur einige Bunker seien nach dem Krieg wegen ihres feucht-warmen Klimas für die Kultivierung von Champignons verwendet worden.
Erst zwei Jahre nach der Wiederentdeckung wurde Bunker 46 zu ausgewählten Anlässen für Besucher zugänglich gemacht, seit Oktober 2016 sind die Schutzzellen an der Plaza Séneca und die kleinere unter der Plaza Balmis dauerhaft mit Führungen begehbar, erklärt Serranos Kollegin Cristina Bernal.
„Am Anfang war es schwierig, den richtigen Ton zu finden“, erklärt sie. „Es kommen immer wieder Alicantinos, deren Großeltern Schutz in den Bunkern suchten. Einmal brach eine Italienerin in Tränen aus, als sie von dem grausamen Angriff ihrer Landsleute auf die Markthalle hörte.“Eine der heutigen Besucherinnen aus Callosa d’en Sarrià nickt. Sie erinnert sich an Erzählungen von Kindern, die von ihren Eltern aus Angst von Alicante in das Níspero-Dorf geschickt wurden, weil dieses nicht auf der Angriffsliste der Alliierten stand. In den kommenden Jahren will die Stadt in ihre dunkle Vergangenheit noch mehr Licht bringen: Auch die Luftschutzbunker unter der Plaza del Carmen und in Santa Faz sollen zugänglich werden.
„In den Bunkern suchten alle Schutz, Republikaner und Franko-Anhänger, es war besser, hier unten den Mund zu halten“