68er in Spanien
In der Diktatur wurde die Revolte in Frankreich sehr genau beobachtet
Als in Frankreich vor 50 Jahren die Studenten auf die Straßen gingen und gegen autoritäre Strukturen aufbegehrten, herrschte in Spanien noch die Diktatur von General Franco. Wie in anderen Ländern ließen sich die Spanier, zumindest die nicht regimetreuen, vom Mai 68 im Nachbarland anstecken.
An den Unis und in Zeitschriften berichteten Landsleute aus Paris vom Aufstand und Generalstreik. Die Spanier waren trotz Zensur informiert, und das Regime, das sich vorsichtig für den Tourismus öffnen wollte, sah zu. Pazifismus, Feminismus und Umweltschutz in Europa hätten ohne die 68er-Bewegung wohl eine andere Entwicklung genommen.
Ausstellungen, Filme und zahlreiche Neuerscheinungen zum Thema, darunter auch Bücher, die direkt den Einfluss auf Spanien untersuchen. Die spanischen Kulturzeitschriften und Wochenendbeilagen der Tageszeitungen berichten seit Monaten ausführlich über die Revolte vom Mai 1968. Vor 50 Jahren hatten Studenten in Frankreich gegen die alten, ranzigen Strukturen aufbegehrt. Die kapitalistische Wohlstandsgesellschaft, die auf die Nachkriegsjahre in vielen Ländern Europas folgte, war der Babyboom-Generation nicht genug. Bürgerlichem Mief und Konsum setzten sie Freiheiten, auch sexuelle Freiheit, entgegen. Pazifismus, Feminismus und Umweltschutz begannen eine Rolle zu spielen.
Die Studenten und immer mehr Studentinnen, Professoren und Philosophen hatten in Frankreich den Ruf nach persönlichen Freiheiten eingeläutet und die Arbeiter auf ihre Seite geholt. Der Wirtschaftsaufschwung in den westlichen Ländern bedeutete einen Sprung in die Moderne. Veraltet dagegen blieben die autoritären Strukturen in der Politik, an den Unis, in den Gewerkschaften, in der Kommunistischen Partei und innerhalb der Familien.
Auslöser waren weltweite Proteste gegen den Vietnam-Krieg gewesen, gegen die Ermordung von Martin Luther King am 4. April in Memphis und gegen das rechtsradikale Attentat am 11. April auf den Studentenführer und Anti-Vietnam-Aktivisten Rudi Dutschke in West-Berlin. Das Pariser Quartier Latin solidarisierte sich mit den deutschen Studenten.
Am 10. Mai begannen in Paris Friedensverhandlungen zwischen den USA und Nordvietnam. Da waren die Studentenproteste schon im Gange mit Besetzungen und Schließungen der Unis in Nanterre und Paris, Tränengas-Einsätzen der Polizei, Verhaftungen, brennenden Barrikaden.
Als die Arbeiter sich anschlossen – gegen den Willen der Kommunistischen Partei Frankreichs –, kam es zum Generalstreik. Premierminister Georges Pompidou versuchte einzulenken. Staatspräsident Charles de Gaulle nicht. Der verschwand am 29. Mai. Er flog seine Familie über die Grenze nach Deutschland, kehrte selbst zurück, drohte mit dem Ausnahmezustand und rief Neuwahlen aus. Damit war die Protestbewegung geschlagen.
Ende Juni gewannen die Konservativen de Gaulle und Pompidou mit absoluter Mehrheit. Es blieb alles beim Alten, könnte man meinen. Und doch war die 68erRevolte im Mai und Juni Ausgangspunkt wichtiger gesellschaftlicher Veränderungen bis in die Gegenwart. Politisch gescheitert, aber kulturell und gesellschaftlich erneuernd.
Einfluss auf Franco-Spanien
Wie war der Einfluss auf das Nachbarland Spanien? Spanien befand sich 1968 noch fest im Griff der Franco-Diktatur. Das hieß Zensur – über die Pariser Krawalle kamen Meldungen in den kontrollierten Nachrichten, die den Generalstreik auf ein Problem für die Abfallbeseitigung reduzierten.
Aber das bot auch genügend Gründe, um gerade in Spanien aufzubegehren. „Es muss eine ganze Generation frustrierter Spanier gegeben haben, die sich nicht vorstellen konnte, unter Franco etwas Ähnliches wie diese Proteste zu erleben. Deshalb wollten sie genau wissen, was in jenen Tagen in Paris passierte“, wird der in Marokko geborene französische Fotograf Bruno Barbey in „El País“zitiert. Er sei auch heute noch fasziniert, wie sehr die nicht angepassten Spanier sich für den Mai 68 interessierten, um einen Ausweg aus der rückständigen, grauen FrancoDiktatur zu finden.
Und sie konnten sich tatsächlich informieren. Informationsund Tourismusminister Manuel Fraga, der den Spruch „Spain is different!“erfand und in der Demokratie als Ministerpräsident noch bis 2005 Galicien regierte, hatte 1966 ein neues Pressegesetz erlassen. Das ersetzte die Vorzensur für Zeitungen durch Selbstzensur. Solange sich die Medien an bestimmte Vorgaben hielten, konnten sie veröffentlichen. Diese leichte Öffnung schuldete das Franco-Regime dem wirtschaftlichen Aufschwung und dem Tourismus. Spanien wollte sich in Europa nicht länger als repressive Militärdiktatur darstellen.
Wachsende Unzufriedenheit
Tatsächlich war Spanien ein Land ohne Verfassung, regiert von einem Mann, mit einer Partei und einer Gewerkschaft, der katholischen Kirche und der wirtschaftlichen Oligarchie. Dennoch wuchs auch hier in den neuen Generationen die Unzufriedenheit. Diejenigen, die den brutalen Bürgerkrieg nicht mehr erlebt hatten und den vorsichtigen wirtschaftlichen Aufschwung spürten, wollten auch einen politischen und gesellschaftlichen Wandel.
Statt Keuschheit, blindem Gehorsam und Frömmigkeit wollten sie Vergnügen, Freiheit und Konsum, schreibt Patricia Badenes in ihrem Buch „Fronteras de Papel“über den Mai 68 in Spanien. Zeitschriften wie „Triunfo“und „Cuadernos para el Diálogo“wurden zu alternativen Presseorganen für die nicht regimetreuen Spanier.
An den Universitäten hatten sich seit Jahren geheime Gruppen gebildet, die den Umsturz des Regimes planten. Studenten schlossen sich der verbotenen Kommu-