Getanzte Befreiung
„Déjala que baile“: Hit von Melendi, Alejandro Sanz & Arkano lädt zum Tanzen, aber auch zum Nachdenken ein
„Lass sie tanzen, mit Schuhen, die nicht drücken, wenn sie Schritte macht, in fliegenden Röcken, mit bloßen Füßen, eine neue Welt malend.“Solche Zeilen, dazu Beats und poppige Melodie – die Zutaten eines Hits. Eines wie „Déjala que baile“von Melendi, Alejandro Sanz und Arkano, der derzeit auf und ab läuft. Der Song lädt aber nicht nur zum Tanz ein, wenn man genauer hinhört und -sieht.
Aufsehen erregte er schon im März, als Poprocker Melendi das Album „Ahora“herausgab – just am internationalen Tag der Frau. Der Song sei ein Beitrag für Frauenrechte, und Melendi versuche es als Feminist, schrieben Medien. Lobend, aber auch mit Häme. Denn eher billig versuchten hierbei die drei Männer Melendi, Sanz und Arkano, 39, 49 und 24 Jahre alt, auf den Feminismus-Zug aufzuspringen, lauteten die Kritiken.
In der Tat ist „Déjala que baile“nur in Teilen und eher vage auf die Frau bezogen. Nur Rapper Arkano deutet Probleme wie Zwangsheirat an („Wenn sie heiraten muss, dann sei es mit ihrem Protest“), und ob die im Refrain wiederholte Erlaubnis zu tanzen überhaupt eine feministische Botschaft sein will, bleibt fraglich. Denn Melendi und Sanz beschreiben in den Strophen eher allgemein den Wandel der Zeiten sowie das „Ahora“, das Jetzt.
Wie in Platons Höhle
„Heute, da die Welt nicht flach ist, die Wissenschaft nicht mehr häretisch und endlich Netze den Planeten vereinen“stellt das Lied zu Beginn fest, und in Strophe zwei: „Heute, da es nicht mehr zum Todesduell kommt, wenn jemand dich irritiert, haben wir Twitter erfunden, um uns abzureagieren.“
Nach Fiesta klingt zwar der jeweils folgende Teil: „Sie ist nicht die zarte Prinzessin, die zum Fest kommt, um zu sitzen, sie ist nicht bloß das, was du siehst, weder du noch jemand anders wird sie festhalten.“Doch wer diese „sie“ist, deutet der Zwischenpart geheimnisvoll an: „Sie ist das Ziel, sie ist der Ursprung, vereinte Geschichte und Schrift, Anfang und Ende.“
Dieses allegorische, fast mystische Element von „Déjala que baile“nimmt der Clip von Guillermo „Willy“Rodríguez auf, und beeindruckt nicht nur durch eine effektvolle Optik und Darbietung, sondern auch durch Symbolkraft. Die Story: Eine Gruppe von Tänzern unternimmt eine Reise auf der Suche nach der Wirklichkeit.
Zu sehen sind zuerst Köpfe, die im Dunkeln sitzen und einen Fernseher anstarren, auf dem der Text erscheint: „So sind die Dinge“. Ein altbekanntes Motiv wird hier neu aufgelegt, Platons Höhlengleichnis: In einer Höhle eingesperrte Menschen sehen ihr Leben lang nur eine Wand, auf die Licht und Schattenfiguren projiziert werden.
Wie in der alten Allegorie, ist auch im Musik-Clip die Befreiung mühsam. Hier fängt zunächst das TV-Bild an zu rotieren und verschwimmt. Die Gruppe findet sich auf einem schwarz-weißen Boden liegend wieder, selbst in SchwarzWeiß bemalt. Langsam und abgehackt sind zunächst die Bewegungen der Gruppe, die sich jedoch zu immer gewagteren Einlagen traut.
Im Mittelpunkt ist eine Tänzerin, deren Augen plötzlich eine Tür sehen. Dahinter wartet eine neue Ebene voller Spiegel. Die Reisenden staunen über ihr nun reptilhaft grünes Aussehen und setzen zum Tanz an. Doch erneut findet die Tänzerin eine Tür.
Nun leuchten die Tänzer neonartig umgeben von Laserstrahlen. Auch hier finden sie sich zurecht und tanzen unbeschwert. Da verrät eine Außenperspektive, dass sie sich in einem schwarzen Würfel befinden. Wohl nicht zufällig wirkt er wie der Stein aus „2001: Odyssee im Weltraum“, der in dem Filmepos dem Urmenschen einen Evolutionssprung beschert.
Der Würfel zerfällt, die Tänzer stehen im Tageslicht. Offenbar haben sie auf der Reise vom flachen Schirm durch Räume aus Schwarz und Weiß, Naturfarben, Spiegeln und Lasern die Umklammerung des eckigen Gebäudes verlassen.
Die wahre Welt ist aber keine „globale Fiesta“, die der Song besingt, sondern eine endlos wirkende Sandwüste. Geblendet schaut sich die Gruppe um, die Reste des Bodypaintings abstreifend. Die Befreiung ist gelungen, ob sie aber Glück bringt, lässt der Clip offen.
Denn nun tanzen die Reisenden nicht, sondern ziehen los, wie die Israeliten aus Ägypten, doch angeführt nicht von Moses, sondern einer zuversichtlich blickenden Tänzerin. Mit toller Darstellung und Motiven aus Philosophie und Pop hat Regisseur Rodríguez nicht nur ein Spektakel geschaffen. Dank ihm gelangt auch der Sommerhit auf eine unerwartet hohe Ebene.
So lädt das Lied definitiv nicht nur weibliche Hörer zu Tanz und Denken an. Lob gebührt Melendi & Co. aber auch dafür, dass sie im Video gar nicht auftreten, und „Déjala que baile“dadurch – als Soundtrack für Rodríguez‘ kleines Epos – aus der Schublade eines reinen Pophits freilassen.
„Heute gibt es kein tödliches Duell, wenn dich jemand ärgert – stattdessen erfanden wir Twitter“