Der zweite Dreitausender
Mit einem Neunjährigen auf dem 3.396 Meter hohen Pico del Veleta – ein Wanderbericht
Viele CSN-Leser werden sich noch an den vor zwei Jahren erschienenen Wanderbericht erinnern, in dem ich geschildert hatte, wie ich mit meinem damals erst siebenjährigen Sohn Bruno von Capileira aus auf den Mulhacén gelaufen bin, der mit 3.479 Metern der höchste Berg der Sierra Nevada und auch des spanischen Festlandes ist. Diesen Sommer war der nächste Dreitausender für meinen Sohn an der Reihe: der Pico del Veleta, der mit 3.396 Höhenmetern der zweithöchste Gipfel der Sierra Nevada ist und sich auch nicht weit vom Mulhacén entfernt befindet. Anders als bei der erstgenannten Tour, bei der wir zweimal auf der Berghütte Refugio de Poqueira übernachtet hatten, hatte ich dieses Mal nur einen Tag inklusive der Anfahrt von Málaga aus eingeplant. Schließlich ist Bruno mittlerweile neun Jahre alt und die Wanderung ist auch um einiges kürzer als die zum Mulhacén.
An jenem Tag Ende August kommen wir am Vormittag nach einer etwa zweieinhalbstündigen Autofahrt auf dem in 2.500 Meter Höhe gelegenen Parkplatz Hoya de la Mora an, der kurz vor dem Wintersportort Pradollano ausgeschildert ist. Nachdem ich mein Auto geparkt habe und wir uns die Wanderschuhe angezogen haben, laufen wir los. Eine Wegbeschreibung habe ich nicht dabei, aber die braucht man für den Pico del Veleta auch gar nicht. Keine Karte nötig Entweder man läuft die alte, seit fast zwanzig Jahren für Privatfahrzeuge gesperrte Serpentinenstraße entlang, die wenige Meter vor dem Gipfel endet (in der Ausgabe vom 27. September hatte ich ausführlich über die höchste Pass-Straße Europas berichtet) oder man nimmt die in der schneefreien Zeit gut sichtbaren Trampelpfade, die die Kurven abkürzen und auf direktem Weg zum Gipfel führen. Über die Serpentinenstraße sind es etwa 13 Kilometer bis zum Gipfel, über die Abkürzungen jedoch nur neun Kilometer.
Zunächst nehmen wir die Abkürzungen. Nach etwa fünfzehn Minuten kommen wir an der Marienstatue der Virgen de las Nieves vorbei und kurz danach an einem kleinen Schneefeld, wo sich Bruno erst einmal einen Schneeball machen muss. Zeit für lange Pausen haben wir jedoch nicht, deshalb geht es gleich weiter. Abkürzungen werden steiler Ein gutes Stück weiter, nachdem wir bereits mehrmals die Serpentinenstraße überquert haben, wird unser Trampelpfad immer steiler. Bruno macht die sommerliche Hitze jetzt doch etwas zu schaffen, so dass wir unser Tempo deutlich drosseln müssen und von mehreren Wanderern überholt werden, die etwa gleichzeitig mit uns aufgebrochen sind. Als der Weg wieder einmal auf die Serpentinenstraße gemündet ist, nehmen wir deshalb nicht die Fortsetzung des Trampelpfades auf der gegenüberliegenden Seite, sondern laufen erst einmal die viel weniger steile geteerte Straße entlang.
Mittlerweile ist ungefähr eine Stunde vergangen. Rechts des Weges haben wir von Zeit zu Zeit die Skistationen oberhalb von Pradollano gesehen und bei einem Blick zurück eine schöne Aussicht auf den unteren Teil der Serpentinenstraße gehabt. Den Gipfel mit seinem markanten Links-Knick haben wir schon von Anfang an vor unseren Augen, doch der Weg zieht sich in die Länge, so dass ich Bruno immer wieder aufmuntern muss.
Auf der Straße begegnen uns viele Radfahrer auf dem Weg zum Gipfel oder ins Tal, manchmal kommt auch einer der Kleinbusse der andalusischen Landesregierung an uns vorbei, mit dem sich weniger sportliche Wanderer bis auf eine Höhe von zirka 3.100 Meter fahren lassen können (siehe Kasten). Irgendwann, nach etwa eindreiviertel Stunden, wird es plötzlich deutlich kühler und Wolken verdecken von Zeit zu Zeit die Sonne. Jetzt bekommt Bruno neuen Antrieb und läuft wieder zügig. Er will die Abkürzungen nehmen, und so kommen wir gut voran. Der Gipfel scheint auch gar nicht mehr so weit zu sein. Nach einer Zeit wechseln wir wieder ab zwischen den Abkürzungen und der Serpentinenstraße. Viel Betrieb vor dem Gipfel Auf dem letzten Stück begegnen wir viel mehr Wanderern als am Anfang. Einige von ihren haben in einem der Kleinbusse den Großteil der Strecke zurückgelegt, viele von ihnen sind ganz einfach mit dem Sessellift gefahren, der von der Skistation bis auf eine Höhe von rund 3.000 Metern fährt.
Auf einmal hört der Teerbelag auf der Serpentinenstraße auf und rund zwanzig Minuten später haben wir endlich den Gipfel nach etlichen Kurven direkt vor uns. Bruno läuft querfeldein voraus, um als Erster anzukommen. Ich lasse mir noch etwas Zeit, weil ich von einer Anhöhe aus auf der anderen Seite des Berges die Schotterstraße, über die man einst bis Capileira fahren konnte, sehen will.
Auf dem Gipfel angekommen, fällt mir zuerst der Begriff Overbooking ein. Denn mehr als 50 Menschen sitzen auf den Felsen um die Gipfelsäule herum un sind mit dem Verzehren ihres Picknicks beschäftigt oder machen normale Fotos und Selfies. Man sieht vielen von ihnen an ihrer Schuhbekleidung und sonstigen Ausstattung an, dass sie lediglich den etwa dreiviertelstündigen Spaziergang von der Endstation des Lifts oder der erwähnten Kleinbusse gemacht haben. Auch etliche Kinder sind hier oben.
Für Bruno gibt es deshalb kein Lob von anderen Wanderern für seine Leistung wie damals vor zwei Jahren auf dem Mulhacén. Doch wer braucht das schon auf einem Berg, der keine allzu große Schwierigkeit bereitet? Jedenfalls haben wir zum zweiten Mal zusammen einen Dreitausender bestiegen. Und das auch noch in einer relativ guten Zeit von zwei Stunden und 45 Minuten, so dass wir nach dem weitaus kürzeren Abstieg und der Rückfahrt auch noch bei Tageslicht wieder in Málaga waren.