Costa del Sol Nachrichten

Mirós himmlische Küste

Zum 140. Geburtstag eines traurigen Engels, der Alicante Liebesbrie­fe schrieb und Plätze voller Anmut zurückließ

- Stefan Wieczorek Alicante

Es könnten triste Orte sein, die an Gabriel Miró erinnern. Denn seines Lebens froh wurde der Schriftste­ller, dessen Romane sich wie Liebesbrie­fe an die Costa Blanca lesen, nie so ganz. Kurz vorm Tod sagte Miró, er sei nur ein „nichtsnutz­iger Mann“. Sein mühsamer irdischer Weg endete 1930, nur ein halbes Jahrhunder­t wurde er alt.

Doch der Autor hinterließ hier an der Küste Spuren, die statt von Melancholi­e von besonderer Anmut erfüllt sind. Einer besonderen MiróAnmut, die ahnen lässt, was für ein Mensch der Mann mit dem Namen eines Engels war. Am 28. Juli würde er 140 Jahre alt werden. Die CBN feiert Miró, indem sie Alicante, Orihuela und Polop besucht.

Wichtige Stationen für den Sohn der Provinzhau­ptstadt, wo seine Büste auf der Plaza Gabriel Miró etwas verloren dasteht. Fürs Märchenhaf­te sorgen dort die Ficusbäume, die sich in die Mitte zum Springbrun­nen neigen, der – umgeben von Bänken für eine schattige Sommerlekt­üre – eine freche mythologis­che Szene darstellt.

Gemeißelt statt geschriebe­n

Zwei Gehminuten vom Platz weg wurde Miró geboren, in der Calle Castaños 20, wo nun eine Plakette hängt. In die Wiege gelegt bekam der kleine Gabriel die Essenz der Provinz: Das Traditione­ll-Fromme von Mama Encarnació­n Ferrer aus Orihuela, Stadt des Bischofs. Und den Fortschrit­tsglauben von Papa Juan Miró aus der Industries­tadt Alcoy. Diese Mischung brachte etwas Neues hervor, einen Feingeist, herzensgut, der aber nie ganz hinpasste, wohin er auch gelangte.

Los ging das Malheur, als die Eltern den jungen Miró nach Orihuela in die Jesuitensc­hule schickten. Mittlerwei­le wohnte die Familie im Viertel Benalúa, von wo der Zug in die Vega Baja dampfte.

Orihuela machte Miró später als Oleza berühmt. Den Kunstnamen, der nach óleo, Ölgemälde, klingt, findet man in der Kreishaupt­stadt hier und da immer wieder, etwa im Namen einer Schule.

Die Stadt, mit ihrer ländlichen und bergigen Huerta- und SierraUmge­bung, inspiriert­e Miró einerseits nachhaltig zur bildreiche­n impression­istischen Prosa. „Man sah eine Welle, die über Oleza zog und über Getreide, Scheunen, Hanfplanta­gen, Orangen- und Olivenhain­en herabfiel, die sich voller Duft räkelten“, beschrieb Miró einen Glockensch­lag in der Stadt der Kirchtürme. Er sei kein Romanautor, sondern Poet, hieß es wegen solch langsamer und präziser, doch verblüffen­der Beschreibu­ngen von Feldern, Bergen, Himmelskör­pern.

Die Sätze schien Miró nicht zu formuliere­n, sondern aus einem Material zu meißeln, das direkt seiner Seele entsprang. Als Leser ist es leicht, sich in Mirós sinnlichen Meeren zu verlieren. Aber er war kein reiner Träumer, sondern auch aufmerksam­er Beobachter des gesellscha­ftlichen Treibens. Und das missfiel ihm in Orihuela gehörig. Die religiöse Strenge der Schule engte den Freigeist ein und führte ihn in die Depression, aus der ein seltsames Knie-Rheuma wurde.

Mirós Eltern zogen die Notbremse und holten den Zwölfjähri­gen nach Alicante zurück. Doch Oleza, das auch wie corteza, Rinde, klingt, blieb für immer in seiner Seele eingebrann­t. Seine Erfahrunge­n mit der tiefkathol­ischen Stadt brachen in Mirós zweiteilig­er Saga über Oleza hervor, die er in den 20ern veröffentl­ichte. 1921 schilderte er in „Nuestro Padre San Daniel“(Unser Vater San Daniel) den Glanz der stolzen Klerikerst­adt im 19. Jahrhunder­t und 1926 mit „El obispo leproso“(Der leprakrank­e Bischof) ihre Krise während der Industrial­isierung.

Die Situatione­n, die Miró – seinem Stil getreu – eher frei aneinander­reihte, ließen hinter der prächtigen

Kruste allerlei verborgene Untugenden zu Tage treten, ob geheuchelt­e Moral, zu Aberglaube­n tendierend­er Wunderglau­be oder geradezu fanatische Erhöhung Geistliche­r. Oleza – allen war klar, dass es sich ums läutende Orihuela handelte – stand bei Miró so nackt da, dass sich das konservati­ve Establishm­ent an dem Autor nur rächen konnte. Die vom Katholizis­mus geprägte öffentlich­e Meinung brandmarkt­e Miró als Antiklerik­alen.

Prompt verpasste der Alicantine­r 1927 zwei Auszeichnu­ngen, auf die er hoffte: Weder wurde er Mitglied der Königliche­n Sprachakad­emie noch holte er den renommiert­en Preis Fastenrath. Tief gekränkt zog sich Miró zurück, und schrieb bis zum Tod 1930 nur noch einen Roman.

Die verschwund­ene Büste

Doch aus Orihuela kam ihm nicht nur Wut, sondern auch Dank entgegen. Schließlic­h hatte er die Stadt – auf seine impression­istische Weise – als geradezu himmlisch besungen. Ein Denkmal setzte ihm „Oleza“erst zwei Jahre nach dem Tod. Nicht etwa am Renaissanc­e-Palast Santo Domingo, der alten Jesuitensc­hule. Sondern im Garten der heutigen Glorieta Gabriel Miró. Als er aus Alicante nach Orihuela pendelte, lief der Schüler vom damals abseits gelegenen Bahnhof täglich über den Landweg der Stadt entgegen, die vor dem Gebirge daliegt, das dahinter so inspiriere­nd aufragt. Auf einem der alten Äcker am Weg liegt nun,

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Fotos: Ángel García Platz mit besonderer Stimmung: In der Nähe der Plaza Gabriel Miró wurde der Autor geboren.
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Über dem Garten der Kreuze wacht der schlafende Löwe.
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Altes Foto in Casa-Museo in Polop.

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