Mirós himmlische Küste
Zum 140. Geburtstag eines traurigen Engels, der Alicante Liebesbriefe schrieb und Plätze voller Anmut zurückließ
Es könnten triste Orte sein, die an Gabriel Miró erinnern. Denn seines Lebens froh wurde der Schriftsteller, dessen Romane sich wie Liebesbriefe an die Costa Blanca lesen, nie so ganz. Kurz vorm Tod sagte Miró, er sei nur ein „nichtsnutziger Mann“. Sein mühsamer irdischer Weg endete 1930, nur ein halbes Jahrhundert wurde er alt.
Doch der Autor hinterließ hier an der Küste Spuren, die statt von Melancholie von besonderer Anmut erfüllt sind. Einer besonderen MiróAnmut, die ahnen lässt, was für ein Mensch der Mann mit dem Namen eines Engels war. Am 28. Juli würde er 140 Jahre alt werden. Die CBN feiert Miró, indem sie Alicante, Orihuela und Polop besucht.
Wichtige Stationen für den Sohn der Provinzhauptstadt, wo seine Büste auf der Plaza Gabriel Miró etwas verloren dasteht. Fürs Märchenhafte sorgen dort die Ficusbäume, die sich in die Mitte zum Springbrunnen neigen, der – umgeben von Bänken für eine schattige Sommerlektüre – eine freche mythologische Szene darstellt.
Gemeißelt statt geschrieben
Zwei Gehminuten vom Platz weg wurde Miró geboren, in der Calle Castaños 20, wo nun eine Plakette hängt. In die Wiege gelegt bekam der kleine Gabriel die Essenz der Provinz: Das Traditionell-Fromme von Mama Encarnación Ferrer aus Orihuela, Stadt des Bischofs. Und den Fortschrittsglauben von Papa Juan Miró aus der Industriestadt Alcoy. Diese Mischung brachte etwas Neues hervor, einen Feingeist, herzensgut, der aber nie ganz hinpasste, wohin er auch gelangte.
Los ging das Malheur, als die Eltern den jungen Miró nach Orihuela in die Jesuitenschule schickten. Mittlerweile wohnte die Familie im Viertel Benalúa, von wo der Zug in die Vega Baja dampfte.
Orihuela machte Miró später als Oleza berühmt. Den Kunstnamen, der nach óleo, Ölgemälde, klingt, findet man in der Kreishauptstadt hier und da immer wieder, etwa im Namen einer Schule.
Die Stadt, mit ihrer ländlichen und bergigen Huerta- und SierraUmgebung, inspirierte Miró einerseits nachhaltig zur bildreichen impressionistischen Prosa. „Man sah eine Welle, die über Oleza zog und über Getreide, Scheunen, Hanfplantagen, Orangen- und Olivenhainen herabfiel, die sich voller Duft räkelten“, beschrieb Miró einen Glockenschlag in der Stadt der Kirchtürme. Er sei kein Romanautor, sondern Poet, hieß es wegen solch langsamer und präziser, doch verblüffender Beschreibungen von Feldern, Bergen, Himmelskörpern.
Die Sätze schien Miró nicht zu formulieren, sondern aus einem Material zu meißeln, das direkt seiner Seele entsprang. Als Leser ist es leicht, sich in Mirós sinnlichen Meeren zu verlieren. Aber er war kein reiner Träumer, sondern auch aufmerksamer Beobachter des gesellschaftlichen Treibens. Und das missfiel ihm in Orihuela gehörig. Die religiöse Strenge der Schule engte den Freigeist ein und führte ihn in die Depression, aus der ein seltsames Knie-Rheuma wurde.
Mirós Eltern zogen die Notbremse und holten den Zwölfjährigen nach Alicante zurück. Doch Oleza, das auch wie corteza, Rinde, klingt, blieb für immer in seiner Seele eingebrannt. Seine Erfahrungen mit der tiefkatholischen Stadt brachen in Mirós zweiteiliger Saga über Oleza hervor, die er in den 20ern veröffentlichte. 1921 schilderte er in „Nuestro Padre San Daniel“(Unser Vater San Daniel) den Glanz der stolzen Klerikerstadt im 19. Jahrhundert und 1926 mit „El obispo leproso“(Der leprakranke Bischof) ihre Krise während der Industrialisierung.
Die Situationen, die Miró – seinem Stil getreu – eher frei aneinanderreihte, ließen hinter der prächtigen
Kruste allerlei verborgene Untugenden zu Tage treten, ob geheuchelte Moral, zu Aberglauben tendierender Wunderglaube oder geradezu fanatische Erhöhung Geistlicher. Oleza – allen war klar, dass es sich ums läutende Orihuela handelte – stand bei Miró so nackt da, dass sich das konservative Establishment an dem Autor nur rächen konnte. Die vom Katholizismus geprägte öffentliche Meinung brandmarkte Miró als Antiklerikalen.
Prompt verpasste der Alicantiner 1927 zwei Auszeichnungen, auf die er hoffte: Weder wurde er Mitglied der Königlichen Sprachakademie noch holte er den renommierten Preis Fastenrath. Tief gekränkt zog sich Miró zurück, und schrieb bis zum Tod 1930 nur noch einen Roman.
Die verschwundene Büste
Doch aus Orihuela kam ihm nicht nur Wut, sondern auch Dank entgegen. Schließlich hatte er die Stadt – auf seine impressionistische Weise – als geradezu himmlisch besungen. Ein Denkmal setzte ihm „Oleza“erst zwei Jahre nach dem Tod. Nicht etwa am Renaissance-Palast Santo Domingo, der alten Jesuitenschule. Sondern im Garten der heutigen Glorieta Gabriel Miró. Als er aus Alicante nach Orihuela pendelte, lief der Schüler vom damals abseits gelegenen Bahnhof täglich über den Landweg der Stadt entgegen, die vor dem Gebirge daliegt, das dahinter so inspirierend aufragt. Auf einem der alten Äcker am Weg liegt nun,