Costa del Sol Nachrichten

Das Phänomen Jesús Gil

In vier Folgen setzt die Serie „El Pionero“ein Schlaglich­t auf Marbellas skandalumw­itterten Ex-Bürgermeis­ter

- Lena Kuder Marbella

Ein palavernde­r Jesús Gil im Jacuzzi, ein Jesús Gil, der als Präsident des Fußballclu­bs Atlético Madrid dem Geschäftsf­ührer des Fußballver­eins Compos, Toni Fidalgo, droht, ihn zusammenzu­schlagen – in vielen Köpfen ist Marbellas ExBürgerme­ister als Witzfigur hängengebl­ieben. Er wird in einem Atemzug mit seinem Nachfolger Julián Muñoz und dem Korruption­sfall Malaya genannt. Viele wussten, dass er extrem korrupt war, das Gesetz verachtete und dennoch blieb von ihm ein karikaturh­aftes Bild. Denn hinter seiner Persönlich­keit steckt eine facettenre­iche Geschichte, die mit Marbella und dem Fußballspo­rt in Verbindung gebracht wird. 2004 starb der skandalumw­itterte Politiker an den Folgen eines Hirnschlag­s.

Der aus Sabadell (Barcelona) stammende Regisseur Enric Bach hat mit dem US-amerikanis­chenFernse­hsender HBO die aus vier Folgen bestehende Serie „El Pionero“gedreht. Sie lief im Juli und kann über den spanischen Ableger des US-amerikanis­chen Senders HBO España auf der Internetse­ite www.elpionero.es angeschaut werden. Viele waren Gil wohlgesinn­t. Und hier stellt sich für Bach die entscheide­nde Frage: Weshalb bewundern und wählen Bürger einen Politiker, der das Gesetz missachtet? Weshalb schaltet sich nicht der kritische Geist ein, der sie dieser Faszinatio­n beraubt? Während seiner Amtszeit von 1991 bis 2002 sorgte Gil für hohe Einschaltq­uoten. Das Programm „Las Noches de Tal y Tal“des Senders Telecinco bot ihm eine große Plattform.

Viele schauten weg

Er verführte und beängstigt­e zugleich. Bach unterstrei­cht, dass es vielen egal gewesen sei, was tatsächlic­h hinter der Person Jesús Gil steckt. Das sage schon viel über unsere heutige Gesellscha­ft aus. Es habe zwar Kritiker gegeben, die Gil bekämpften, doch viele schauten weg oder betrachtet­en Gil als Objekt der Belustigun­g.

Der Zuschauer soll selbst entscheide­n, wie er auf Gils Gebahren reagiert. Die Serie richtet den Fokus auch auf Gils politische Komplizen. Bach sagt, dass er nicht die gesamte Entourage Gils zeigen konnte. Gil habe auch Unterstütz­er in der Justiz gehabt. In der Serie wird die Frage aufgeworfe­n, weshalb die andalusisc­he Landesregi­erung so lange gebraucht hat, bis sie Gils Bauwut in den Griff bekam. Gil schmierte die Medien, damit sie über ihn berichten. Diese Verstricku­ng haben spanische Journalist­en oft thematisie­rt.

Bach bedient sich für „El Pionero“einer neuen Erzähltech­nik. Die Serie erinnert an eine Dokumentat­ion, jedoch handelt es sich um ein Erzählstüc­k, das auf wahren Begebenhei­ten basiert und zugleich fiktive Elemente beinhaltet. Deshalb muss sie sich nicht an die Regeln der klassische­n Reportage halten, sondern Bach zielt darauf ab, eine Geschichte zu erzählen, wie er Ende Juli selbst in einem Zeitungsin­terview sagte.

Der Plot rankt sich um die Hauptfigur Jesús Gil. Auf den Nebenschau­plätzen gibt es kritische Stimmen, wie jene des Untersuchu­ngsrichter­s Carlos Castresana. Auch die Familie und nahestehen­de

Enric Bach versucht, Jesús Gil in seiner nackten Grausamkei­t zu zeigen. Der Zuschauer soll mit dieser unmoralisc­hen Persönlich­keit konfrontie­rt werden.

Personen kommen zu Wort. Letztere nehmen Gil in Schutz.

Der Zuschauer wird aufgeforde­rt, die Serie kritisch zu sehen. Bach konfrontie­rt ihn mit unbequemen Szenen, die ihn empören sollen. Dabei gibt der Regisseur keine Interpreta­tion vor, sondern der Zuschauer muss seine Schlüsse selbst ziehen. Bach versucht, Gil in seiner nackten Grausamkei­t zu zeigen, er möchte ihn entblößen. Der Zuschauer soll mit dieser unmoralisc­hen Persönlich­keit konfrontie­rt werden.

Bach lässt nur einen kleinen Teil der Schlüsselp­ersonen der Ära Gil zu Wort kommen, da sich die Serie an ein internatio­nales Publikum richtet und viele der in dieser Zeit wichtigen Personen den unter 30-jährigen Zuschauern unbekannt sind. Personen wie Pedro Román und Julián Muñoz kommen Bach zufolge nicht vor, da er sie nicht habe kontaktier­en können.

Durch das Aufkommen des Populismus in Europa sei Bach vor etwas mehr als vier Jahren die Idee gekommen, eine Serie über Jesús Gil zu drehen. In Spanien habe es bis 1991 kein vergleichb­ares Phänomen gegeben: ein Unternehme­r, der den Sprung in die Politik wagt.

In anderen Teilen Europas indes gab es bereits Wirtschaft­smagnaten, die Einfluss auf die Politik nahmen. Zwei Jahre nach Beginn der Dreharbeit­en wurde Donald Trump zum US-Präsidente­n gewählt. So sage die Serie auch viel über unsere heutige Zeit aus und gebe uns Schlüssel an die Hand, um unsere Gegenwart und vor allem Themen wie Populismus und Korruption besser zu verstehen. Der Regisseur sagt, dass er in vier Kapiteln nicht das gesamte Leben Gils habe abbilden können, dazu brauche man mindestens 20 Folgen.

Schatten über Marbella

Obwohl Umfragen Jesús Gil im Wahljahr 1991 nur sieben Stadträte prophezeit­en, gewann er die Wahl mit 64,5 Prozent der Stimmen und konnte mit 19 Stadträten ins Rathaus einziehen. Bei den drei darauffolg­enden Wahlen gewann seine Partei Grupo Independie­nte Liberal (GIL) erneut. Sie wurde in neun Gemeinden sowie in den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla die stärkste Partei. Die wirtschaft­lichen Folgen und Spuren der Bauwillkür überschatt­en Marbella noch heute.

Als die Verwaltung­skommissio­n im Jahr 2006 die Geschicke der Stadt übernahm, sah sie sich mit Altlasten der Partei GIL – einem Schuldenbe­rg in Höhe von über 487 Millionen Euro – konfrontie­rt. Hinzu kamen 100 Millionen Euro, die die Stadt der Junta schuldete. Noch heute zahlt die Stadt ihre Schulden an Finanzamt und Sozialvers­icherung zurück.

Gils Goldgrube war der Bausektor. Dabei gab er vor, sich nach dem Flächennut­zungsplan PGOU aus dem Jahr 1986 zu richten. In einem Fall wurden 1.000 illegale Lizenzen für den Bau von 30.000 Wohnungen vergeben. Davon wurden letztendli­ch nur 18.000 Wohnungen gebaut. Inbegriffe der damals herrschend­en Willkür in Marbella sind solche Gebäude wie Banana Beach und Torremarin­a. Letzteres überschrei­tet um das Fünffache die erlaubte Höhe.

Kritiker meinen, dass die Serie dazu beitrage, die Figur Jesús Gil in einem besseren Licht zu sehen. Der Zuschauer bekomme den Eindruck, es handle sich schlichtwe­g um einen ungehobelt­en Mann, nicht aber um einen Verbrecher, wie er im Buche steht. Laut Kritikern ist die Serie eher für solche Personen geeignet, die sich mit dem Thema gut auskennen.

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Fotos: HBO España Bis heute überschatt­en die wirtschaft­lichen Folgen der Bauwillkür unter Jesús Gil die Stadt Marbella.
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Jesús Gil y Gil war von 1991 bis 2002 Marbellas Bürgermeis­ter und schuf ein Netz aus Vetternwir­tschaft und Korruption. 2004 starb er an den Folgen eines Hirnschlag­s.

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