Zwischen Tradition und Trott
Wildes Vergnügen: Rebhuhn-Bällchen mit Pinienkernen und Hirschgulasch mit Zartbitterschokolade
mar. Das Jagen war über Jahrhunderte Privileg des Adels und Handwerk der Wilderer. Entsprechend überliefern sich Wildrezepte für carne de caza oder carne venado vor allem aus der Hofküche, die sich wiederum an den jeweiligen monarchischen Platzhirschen, also eher an Versaille als an Zarzuela orientierten. Oder die Rezepte sind – dezent gesagt – rudimentär. Denn während sich der Adel mit opulenten Kunstwerken exotischer Tiere verköstigte, wurde im Volk meist Suppe oder Gulasch gemacht, ab und an ein Wildschweinschinken. Der Wildhase, liebre, ist fast ausgestorben, das Karnickel, conejo, wilderte sich selbst aus, um als Paella-Zutat wiederverwendet zu werden.
Artenschutz und Schonzeit beschränken heute den Zugang zu frischem Wild auf wenige Monate, ethische Bedenken sowie in Lokalen oft auch der Preis drängen die Küchensparte an den Rand. Dabei ist Wildfleisch relativ fettarm, geschmacksintensiv und das biologischste Fleisch, dass sich denken lässt, denn die Tiere wachsen fast gänzlich ohne menschlichen Einfluss auf. Eine nachhaltige Bejagung ist Voraussetzung für Biodiversität und Erhalt des Gleichgewichtes in den Wäldern.
Zwiespältiges Vergnügen Jagd
Leider spielt dieser Aspekt nicht immer die Hauptrolle. Die Jagd ist – nicht nur in Spanien – vor allem auch ein Geschäft und nicht selten auch unkontrollierter Zeitvertreib des macho ibérico und seiner europäischen Kumpane – und somit ein Politikum. Es gibt Parteien im Land, die die Jagd als spanisches Kulturgut verteidigen, ohne das sich noch mehr Dörfer entvölkern würden. Diese Argumentation ist absurd, denn die Jagd ist erlaubt, die Landflucht ist dennoch latent. Und Ökotourismus und ein rein försterischer Jagdbetrieb funktionieren in anderen Ländern.
In den spanischen Supermärkten finden wir, zu noch bezahlbaren Preisen, meist ciervo, Hirsch, und jabalí, Wildschwein, bereits zu Gulaschfleisch gestückelt. Ganz selten wird uns einmal Rehrücken (solomillo de corza) angeboten. Wildgeflügel gibt es praktisch nicht, was uns als Rebhuhn, perdiz, Wildwachtel, cordoniz, oder Fasan, faisán, verkauft wird, sind fast immer gezüchtete Tiere. Und selbst bei Hirsch kann man sich nicht mehr sicher sein, ob er noch aus dem Wald oder schon aus „Freilandhaltung“kommt. Seit 20 Jahren werden bei Segovia Hirsche auf einer Farm gezüchtet.
Aufwerten statt übertünchen
Die häusliche Wildküche und die meisten Standard-Lokale beschränken sich leider auf den immer gleichen Trott. Meist ein Gulasch mit ordentlich Rotwein und kräftigen Kräutern dran, damit es ja nicht nach Wild schmeckt sowie einer Preiseloder Waldbeermarmelade als Beilage, um auch noch die Restnoten zu neutralisieren. Dabei ist es schon richtig, dass gerade derbes dunkles Wildfleisch nach süßlichem und säuerlichem Ausgleich ruft, doch sollte der durch Dosierung und Reduktion so angepasst werden, dass der Geschmack gehoben und nicht übertüncht wird.
Probieren Sie doch einmal Albóndigas aus grobem Wachteloder Rebhuhnfleisch mit gerösteten Pinienkernen, Rosinen und Wildspargel oder auch frischem Spinat im Gehackten, gebunden mit Mandelmehl mit einem Hauch Kreuzkümmelsaat (comino) und etwas Knoblauch. Dazu eine Reduktion aus Weintrauben mit Moscatel. Das ist einfach gemacht und eine geniale Tapa oder Vorspeise.
Für das klassische Hirschgulasch (estofado de ciervo) schneidet man das entsehnte Fleisch in rund vier bis fünf Zentimeter große Würfel, gerne unregelmäßig, also „wild“. Weitere Zutaten: Zwiebeln (cebolla), Karotten (zanahorias), Sellerie (Stange und Knolle, apio und apio nabo), Petersilienwurzel (perejil tuberoso oder raíz de perejil), Knoblauch, Olivenöl, Salz, Pfeffer, Rosmarin, Thymian, einen guten, kräftigen Rotwein, am besten aus der Rioja oder Castilla, eine halbe Tafel
Bitterschokolade (am besten 90-prozentige).
Zubereitung: Das Fleisch in etwas Öl kräftig von allen Seiten rund sechs bis sieben Minuten anbraten, dann das grob geschnittene Gemüse samt Knoblauch (ungeschält zerdrückt), Lorbeerblatt (laurel), Wacholderbeeren (enebro) und Kräutern (wird hinterher entfernt). Beginnt das Gemüse anzulegen, geben wir zwei zerriebene Tomaten (tomate rallado) hinzu und löschen mutig mit einer Viertel Flasche Rotwein (auf ein Kilo Fleisch), reduzieren auf die Hälfte ein, füllen mit Brühe auf (falls keine vorhanden, bitte lieber Wasser als Knorr nehmen). Nach etwa 1,5 bis zwei Stunden vom Feuer, die Fleischstücke herausnehmen, die Sauce abfiltern und nochmals einreduzieren. In einem Töpfchen etwas Puderzucker mit Butter vorsichtig angehen lassen, mit etwas Weinessig ablöschen, die Sauce aufgießen und die Schokolade zergangen einrühren und rühren und rühren sowie abschmecken bis zur passenden Bindung. Diese kann man durch Hineinreiben einer rohen Kartoffel oder Aufmixen eines Teils des abgeschöpften Gemüses passend manipulieren.
Als Beilage: Böhmische Knödel oder Thüringer Klöße, Eiernockerln (Spätzle, galuska) oder auch ein Kartoffelgratin. Ein Stück Brot und eine weitere Flasche Wein genügen aber auch und sind meist schneller zubereitet. Etwas Petersilie und geröstete Mandelsplitter über das Ganze, das peppt das Gericht auch optisch auf.