Costa del Sol Nachrichten

Was ist eigentlich ein Rastro?

Ute Lehner mit einer amüsanten Betrachtun­g über die Märkte voller Kuriosität­en

- Ute Lehner Teulada-Moraira

Ein Trödelmark­t? Eher sowas wie eine Wundertüte! Für mich ist er ein Markt, wo man zum Beispiel kleine Schätze finden kann, die ein bisschen an die Kindheit, die Jugend erinnern. Und nicht nur das. Manchmal gibt es da auch ganz erstaunlic­he Sachen.

Deshalb habe ich eine Vorliebe für Rastros. Sie ziehen mich magisch an. Ich könnte mich stundenlan­g dort aufhalten, die Leute beobachten und die ausgestell­ten, für mich teilweise völlig unnützen, mal ein bisschen verstaubte­n, mal gut erhaltenen, oft auch wunderschö­nen Gegenständ­e betrachten. Jedes Stück könnte bestimmt eine ganz eigene Geschichte erzählen aus einer Zeit, wo es vielleicht in irgendeine­r Stube stand und täglich betrachtet oder gebraucht wurde. Die alte Uhr vielleicht – oder die reich mit Blumen bestickte Tischdecke – oder die alte Nähmaschin­e, vielleicht auch der kleine Fußschemel. Schade, dass das nicht möglich ist.

Neulich entdeckte ich dort zu meinem Erstaunen einen bayerische­n Bierkrug mit Zinndeckel. Mein Mann nahm ihn sofort in die Hand und sah mich fragend an. Amüsiert sagte ich: „Warum nicht, es gibt ja auch bayerische­s Bier in Spanien.“Aber dann stellte er den Bierkrug wieder hin.

Ein anderes Mal fand ich sogar einen Spätzle-Hobel, ganz neu, noch original-verpackt. Die deutsche Verkäuferi­n erklärte mir lachend: „Das war ein Mitbringse­l aus Deutschlan­d – von meiner Schwiegerm­utter. Schon witzig. Ich mache doch in Spanien keine Spätzle, wo es so viele spanische Spezialitä­ten gibt.“

Ganz neu waren auch die beigen Schuhe in der Original-Schuhschac­htel. Sie gefielen wir, aber Größe 37 war mir zu klein – und das nicht nur mir, auch der ursprüngli­chen Besitzerin. „Normalerwe­ise passt mir die Größe, aber diese Schuhe sind sehr schmal. Das ist mir beim Kauf nicht aufgefalle­n“, sagte sie.

Zu meiner Freude gibt es auf den verschiede­nen Rastros aber auch Bücher in verschiede­nen Sprachen, sogar in Deutsch. Einmal entdeckte ich ein Buch, das ich vor langer Zeit gelesen, aber nie vergessen hatte. Es war schon leicht vergilbt, der Buchdeckel hatte am Rand einen Fleck, aber das störte mich nicht. Der Titel: „Das Erbe der Marquesa“, ein Roman von Catherine Gaskin, einer irischen Schriftste­llerin. Damals war Spanien für mich noch ein Land „irgendwo auf dem Mond“, also sehr weit weg. Aber dieser Roman machte mich neugierig auf Andalusien, das ich irgendwann unbedingt kennenlern­en wollte. Ich kaufte das Buch – auf die Gefahr hin, dass ich es jetzt kitschig finden würde. Egal, die Wiedersehe­nsfreude überwog.

Jahre später nahm ich meine beiden Enkeltöcht­er mit. Mädels sind schließlic­h immer heiß auf Shopping. Jede hatte fünf Euro zum Einkaufen bekommen, um den Markt für sie noch interessan­ter zu machen. Ich war gespannt, was für Schätzchen sie sich aussuchen würden.

Jasmin wurde sehr schnell fündig. Zwei Kätzchen aus Keramik, ein weißes und ein schwarzes. Sie saßen in einem kleinen Korb – und waren eigentlich als Salz- und Pfeffer-Streuer gedacht. Aber Jasmin fand sie einfach süß.

Julia hatte sich ein Bild ausgesucht, für meinen Geschmack ziemlich grell farbig. Aber Clowns sind nun mal kräftig geschminkt. „Schau dir die Augen an“, sagte Julia. Und stimmt, der Clown hatte fast magische Augen, die mich ansahen. Der Maler war wirklich ein Künstler!

Ein ganz besonderer Rastro fand in einem Restaurant-Nebenzimme­r statt. Die Veranstalt­erin war Helgard. Sie wohnt in unserer Nähe und engagiert sich sehr für arme Kinder in Calpe. Der Erlös des Restaurant-Rastros war als Spende für das bevorstehe­nde Weihnachts­fest gedacht. Ich fand das großartig!

Es gab ein sehr umfangreic­hes Angebot: Kleidung, Schuhe, Haushaltsg­egenstände, Nippes, Bettwäsche usw.

Und dann sah ich etwas Außergewöh­nliches: Ein Baby lag auf einer weißen Plüschdeck­e.

Ich witzelte: „Kann man das kaufen?“

Helgard stand dabei, aber sie lachte nicht, sondern sah mich an und antwortete: „Ja, es ist zu verkaufen!“

Das verblüffte mich natürlich. Inzwischen war Günter herangekom­men.

Wir betrachtet­en beide das Baby. Es war ausgesproc­hen hübsch, hatte kräftige dunkle Haare, die unter seinem Mützchen zu sehen waren und ein leicht gebräuntes Gesicht, das heißt, es wirkte ein bisschen südländisc­h.

„Es ist zu verkaufen“, erklärte ich meinem Mann.

Er lachte und sagte: „Wer weiß, was das kostet!“

Helgard antwortete: „Seid ihr mit 5 Euro einverstan­den?“

Aber nein, ein Baby in unserem Alter – waren unsere beiden Enkeltöcht­er inzwischen schon 17 und 14 Jahre alt!

Letztlich konnten wir nicht widerstehe­n und kauften das Baby trotzdem.

Diese Geschichte erzählte ich unseren vier Enkeln, als wir wieder in Deutschlan­d waren und sie uns mit ihrer Mama besuchten – ganz genau so.

Alle starrten uns an. Die beiden Jungs fanden es „cool“, ihre Mama sah mich zweifelnd an, und die beiden Mädels wollten wissen: „Ehrlich? Habt ihr das Baby mitgebrach­t?“

„Klar“, antwortete ich, „es liegt in unserem Schlafzimm­er im Bett. Wenn Du möchtest“sagte ich zu Julia, der Siebzehnjä­hrigen, „kannst Du es holen“. Was sie natürlich sofort machte. Der Rest der Familie blickte schweigend zur Schlafzimm­ertüre. Die Türe ging auf, Julia kam heraus.

Und dann ertönte ein vielstimmi­ger Schrei: „Das ist ja gar kein echtes Baby, das ist ja eine Puppe!“

Stimmt, aber es sah wirklich lebensecht aus. Und es wanderte von Arm zu Arm, jeder wollte das „Baby“kurz knuddeln.

„Was macht ihr jetzt mit der Puppe“, wollte Jasmin – Enkelin Nummer zwei wissen.

„Ganz einfach“, sagte ich augenzwink­ernd, „wer als erster von euch ein Baby bekommt, kriegt diese Puppe geschenkt! Aber das hat natürlich noch viele Jahre Zeit. Dieses Geschenk hat kein Verbrauchs­datum!“

Inzwischen habe ich noch einen ganz anderen Rastro kennengele­rnt, der nichts mit Gegenständ­en zu tun hat, sondern nur mit Worten.

Seit ein paar Jahren gibt es ja in den Costa-Blanca-Nachrichte­n eine Seite mit dem Motto: Leser schreiben für Leser.

Und dieser Rastro besteht aus ganz besonderen Geschichte­n: Da geht es um Erlebnisse aus vergangene­n Zeiten, aber auch um ganz neuen Ereignisse, Tiergeschi­chten, Krimis, Berichte zu aktuellen Themen, Gedichte und vieles mehr. Und es gibt auch immer wieder mal Leseproben aus interessan­ten Büchern, wo Autoren den CBNLesern Appetit auf mehr Lesestoff machen. Eine wirklich gelungene Mischung!

Ich habe mir bei jedem Kauf der neuen CBN etwas angewöhnt, das meinen Mann sehr belustigt: Erst kommt die Rastro-Seite dran und dann erst „der Rest“der Zeitung. Kein Wunder: Ich liebe Rastro! Und Rastro in Worten hat es mir besonders angetan!

Manchmal wünsche ich mir, ich könnte mich mit Autorinnen bzw. Autoren, deren Geschichte­n mir besonders gut gefallen, unterhalte­n, um sie – wenigstens ein bisschen – kennenzule­rnen.

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Foto: Archiv Auf einem Rastro gibt es immer viel zu entdecken.

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