Wohin geht es?
Farben, Folter und Flamenco: Ein langer Tag und eine kurze Nacht durch das Kultviertel Triana
Sevilla hält für Urlaubern viele Attraktionen bereit. Über die Brücken Isabel II oder San Telmo kommt man zum Beispiel von der Sevillaner Altstadt nach Triana mit seinen bunten Hausfassaden. Ein Besuch, der lohnt.
„Wir haben Amerika entdeckt!“– steht an der Wand einer Bar an der Plaza Virgen Milagrosa. Vergessen Sie Columbus, wenn Sie nach Triana kommen! Soll der doch in seinem monumentalen Sarkopharg in der Kathedrale prahlen. Rodrigo de Triana, eigentlich Juan Rodríguez Bermejo, heißt der wahre Held, ein Matrose aus der Nachbarschaft, dem man in seinem Viertel ein Denkmal baute.
Darauf sieht man ihn, wie er enthusiastisch in eine Richtung zeigt, vom „carajo“aus, dem kleinen Korb ganz oben am Hauptmast, der als Ausguck diente, oder auch als Disziplinarstrafe. „Vete al carajo“, geh zum Teufel, ist noch heute ein gebräuchliches Kraftwort, dass sich Spanier und Lateinamerikaner (mit)teilen. Von dort oben erblickte der Matrose 1492 angeblich als erster Europäer den Kontinent, den man später Amerika nannte. Columbus heimste den Ruhm dafür ein. Rodrigos Statue an der Plaza Virgen Milagrosa ist so ein „Denk Mal!“für alle „kleinen Leute“im Schatten der großen Namen. So wie die Leute von Triana.
Es mag fast dreist sein, Sie nach Sevilla zu locken, aber an den großen Monumenten der Stadt vorbei, in ein kleines Viertel auf der anderen Seite des Flusses Guadalquivir zu schleusen. Hier schlage das Herz Sevillas, sagen sie über Triana, was kurios ist, denn das Barrio lag die meiste Zeit außerhalb der Stadtmauern, ein Herz auf Abwegen sozusagen. Aber vielleicht entwand es sich so dem Zeitgeist, diesem eiligen, oberflächlichen Gesellen.
Keine Schlangen in Triana
Was zuerst auffällt, wenn wir über tuckernde Ausflugsdampfer hinweg die Brücke Isabel II überqueren, ist die Abwesenheit von Touristenmassen. Die stehen sich drüben in kilometerlangen Schlangen die Beine in den Bauch an der größten gotischen Kathedrale mit ihrer Giralda, oder am Alcázar, der ältesten durchgehend bespielten Königsresidenz Europas voller maurischer Wunder. Keine Schlangen in Triana, die Touristen hier werden ins Alltagsleben integriert, schwimmen irgendwie mit, in einem Viertel das seinen eigenen Rhythmus behalten hat und seinen Stolz.
Und von dem nicht wenig. Es ist der Stolz der Außenseiter. Triana, unweit der Isla de la Cartuja mit ihren maritimen Militärinstallationen, war das Viertel der Matrosen, Werftarbeiter, Soldaten, Stierkämpfer, der Gitanos, Wanderarbeiter, Huren, Gaukler und Ganoven.
Direkt am Brückenkopf begrüßt uns wie ein Türsteher eine winzige modernistische Kapelle, die Capillita del Carmen, die an eine Ecke der Markthalle stößt. Diese scheint zunächst nichts Besonderes zu sein, 150 Jahre alt, Schinkenstände, Meeresfrüchte, Berge von Gemüsen und Obst, lachende Menschen und dieser typische Duft von feuchten Böden und Wänden, die mit allem getränkt sind, was hier verkauft wird – und einigem mehr. Doch eine große Rampe führt in einen Keller, ein paar Schilder geben Hinweise auf einen Ort der „Reflexion und Toleranz“. Im Bauch der Markthalle, eher in seinen Gedärmen, finden wir die Ruinen des Castillo von San Jorge, dem ersten und letzten Sitz der Spanischen Inquisition.
Die Festung wurde einst von den Almohaden-Herrschern erbaut, einer Taliban-Fraktion aus der Wüste Afrikas, die Sevilla ihren moderateren Glaubensbrüdern, den Omeyaden und deren Nachfolgern im 11. und 12. Jahrhundert abluchste. Die Festung am schiffbaren Fluss lag strategisch günstig, um Sevilla zu verteidigen – oder es einzunehmen. Es sollte daher auch den christlichen Eroberern bald als Ausgangs- und Kontrollpunkt für Entdeckungs- und Eroberungsfahrten und das Zählen und Kassieren des geplünderten Goldes der Neuen Welt dienen.