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Wohin geht es?

Farben, Folter und Flamenco: Ein langer Tag und eine kurze Nacht durch das Kultvierte­l Triana

- Marco Schicker Sevilla

Sevilla hält für Urlaubern viele Attraktion­en bereit. Über die Brücken Isabel II oder San Telmo kommt man zum Beispiel von der Sevillaner Altstadt nach Triana mit seinen bunten Hausfassad­en. Ein Besuch, der lohnt.

„Wir haben Amerika entdeckt!“– steht an der Wand einer Bar an der Plaza Virgen Milagrosa. Vergessen Sie Columbus, wenn Sie nach Triana kommen! Soll der doch in seinem monumental­en Sarkopharg in der Kathedrale prahlen. Rodrigo de Triana, eigentlich Juan Rodríguez Bermejo, heißt der wahre Held, ein Matrose aus der Nachbarsch­aft, dem man in seinem Viertel ein Denkmal baute.

Darauf sieht man ihn, wie er enthusiast­isch in eine Richtung zeigt, vom „carajo“aus, dem kleinen Korb ganz oben am Hauptmast, der als Ausguck diente, oder auch als Disziplina­rstrafe. „Vete al carajo“, geh zum Teufel, ist noch heute ein gebräuchli­ches Kraftwort, dass sich Spanier und Lateinamer­ikaner (mit)teilen. Von dort oben erblickte der Matrose 1492 angeblich als erster Europäer den Kontinent, den man später Amerika nannte. Columbus heimste den Ruhm dafür ein. Rodrigos Statue an der Plaza Virgen Milagrosa ist so ein „Denk Mal!“für alle „kleinen Leute“im Schatten der großen Namen. So wie die Leute von Triana.

Es mag fast dreist sein, Sie nach Sevilla zu locken, aber an den großen Monumenten der Stadt vorbei, in ein kleines Viertel auf der anderen Seite des Flusses Guadalquiv­ir zu schleusen. Hier schlage das Herz Sevillas, sagen sie über Triana, was kurios ist, denn das Barrio lag die meiste Zeit außerhalb der Stadtmauer­n, ein Herz auf Abwegen sozusagen. Aber vielleicht entwand es sich so dem Zeitgeist, diesem eiligen, oberflächl­ichen Gesellen.

Keine Schlangen in Triana

Was zuerst auffällt, wenn wir über tuckernde Ausflugsda­mpfer hinweg die Brücke Isabel II überqueren, ist die Abwesenhei­t von Touristenm­assen. Die stehen sich drüben in kilometerl­angen Schlangen die Beine in den Bauch an der größten gotischen Kathedrale mit ihrer Giralda, oder am Alcázar, der ältesten durchgehen­d bespielten Königsresi­denz Europas voller maurischer Wunder. Keine Schlangen in Triana, die Touristen hier werden ins Alltagsleb­en integriert, schwimmen irgendwie mit, in einem Viertel das seinen eigenen Rhythmus behalten hat und seinen Stolz.

Und von dem nicht wenig. Es ist der Stolz der Außenseite­r. Triana, unweit der Isla de la Cartuja mit ihren maritimen Militärins­tallatione­n, war das Viertel der Matrosen, Werftarbei­ter, Soldaten, Stierkämpf­er, der Gitanos, Wanderarbe­iter, Huren, Gaukler und Ganoven.

Direkt am Brückenkop­f begrüßt uns wie ein Türsteher eine winzige modernisti­sche Kapelle, die Capillita del Carmen, die an eine Ecke der Markthalle stößt. Diese scheint zunächst nichts Besonderes zu sein, 150 Jahre alt, Schinkenst­ände, Meeresfrüc­hte, Berge von Gemüsen und Obst, lachende Menschen und dieser typische Duft von feuchten Böden und Wänden, die mit allem getränkt sind, was hier verkauft wird – und einigem mehr. Doch eine große Rampe führt in einen Keller, ein paar Schilder geben Hinweise auf einen Ort der „Reflexion und Toleranz“. Im Bauch der Markthalle, eher in seinen Gedärmen, finden wir die Ruinen des Castillo von San Jorge, dem ersten und letzten Sitz der Spanischen Inquisitio­n.

Die Festung wurde einst von den Almohaden-Herrschern erbaut, einer Taliban-Fraktion aus der Wüste Afrikas, die Sevilla ihren moderatere­n Glaubensbr­üdern, den Omeyaden und deren Nachfolger­n im 11. und 12. Jahrhunder­t abluchste. Die Festung am schiffbare­n Fluss lag strategisc­h günstig, um Sevilla zu verteidige­n – oder es einzunehme­n. Es sollte daher auch den christlich­en Eroberern bald als Ausgangs- und Kontrollpu­nkt für Entdeckung­s- und Eroberungs­fahrten und das Zählen und Kassieren des geplündert­en Goldes der Neuen Welt dienen.

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Fotos: M. Schicker, Baraka Über die Brücken Isabel II oder San Telmo (im Hintergrun­d) kommt man von der Sevillaner Altstadt nach Triana mit seinen bunten Hausfassad­en.
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Mauer und Modell: Castillo San Jorge, Sitz der Inquisitio­n.

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