Costa del Sol Nachrichten

Da war doch diese Luftseilba­hn

In einem kleinen Dorf in Almería stand die längste und tragfähigs­te Luftseilba­hn der Welt und fast niemand weiß davon

- Sandra Gyurasits

Schade, dass die Gemeinden Garrucha, Los Gallardos und Bédar so wenig aus ihrer doch recht spektakulä­ren Geschichte machen. Im kleinen Bergdorf Bédar und nirgendwo anders stand Ende des 19. Jahrhunder­ts die längste und tragfähigs­te Luftseilba­hn der Welt, die Körbe voller Eisenerz über 15 Kilometer über die Köpfe der Menschen hinweg zum Hafen von Garrucha transporti­erte. Und welches Bild mag der Inspekteur mit seinem Fahrrad auf dem Drahtseil wohl abgegeben haben, wenn er das Kabel wie ein Zirkusakro­bat entlangfuh­r und von seinem Sattel aus reparierte? Die berühmte Seilbahn könnte zum Beispiel im Miniaturfo­rmat, maßstabsge­treu nachgebaut werden, mit sich bewegenden Gondeln und einer Dampfmasch­ine, die sie antreibt. In einer Ausstellun­g wäre das Modell sicher das Herzstück. Nicht fehlen darf die Erzählung der dunklen Seite Bergbauges­chichte, die elenden Arbeitsbed­ingungen, die miese Bezahlung, der Hunger und die Ausbeutung durch die Unternehme­r.

Aquel teleférico…

Una pena que los municipios de Garrucha, Los Gallardos y Bédar no hayan sabido aprovechar su, realmente, espectacul­ar historia. Era en el pueblecito de montaña de Bédar, y en ninguna otra parte, donde estaba ubicado a finales del siglo 19 el teleférico más largo y sólido del mundo, transporta­ndo góndolas llenas de mena de hierro sobre unos 15 kilómetros por encima de las cabezas de la gente hasta el puerto de Garrucha. Y ¿qué imagen daría el inspector balanceánd­ose como un artista circense en su bicicleta sobre el alambre, haciendo reparacion­es y ajustes desde su sillín? El famoso teleférico, por ejemplo, se podría reconstrui­r en miniatura con góndolas móviles y propulsada­s por una máquina de vapor. En una exposición temática, un modelo así sería el centro de atención para el público. Y tampoco podrían faltar los relatos sobre el lado oscuro de la historia de la minería, sobre las miserables condicione­s de trabajo, los miserables sueldos, el hambre y la explotació­n de los trabajador­es por parte de los empresario­s.

Nichts deutet mehr auf die florierend­e Wirtschaft aus der Zeit des Bergbaus im 19. und 20. Jahrhunder­t hin, keine Spur mehr von den großartige­n technische­n Erfindunge­n, die seinerzeit führend in Europa und der Welt waren, oder von den Anstrengun­gen und dem Leid der Minenarbei­ter. Ein gelber Bulldozer steht am Rand der Straße, die durch das kleine Bergdorf Bédar in der Provinz Almería führt, und versperrt die Sicht auf den Eingang zur Mine La Mulata oder auch „dunkle Höhle“genannt.

In der 20 Meter tiefen Grube machten sich Minenarbei­ter mit ihren Meißeln an den Felswänden zu schaffen, um Eisenerz abzubauen. Das war Schwerstar­beit, denn das Gestein ist extrem hart. Heute ist die Mine unter einer dichten Pflanzende­cke verschwund­en.

Sechs Jahre lang recherchie­rt

Mit seinem Buch macht der Brite Andrew Devey die Geschichte des Bergbaus in der Gegend um Bédar, Garrucha, Los Gallardos, Mojácar und der Sierra Cabrera wieder sichtbar. „Die meisten Leute hier, vor allem die jüngeren, wissen fast nichts über ihre eigene Geschichte.“Der Bergbau liegt dem 63-Jährigen am Herzen, weil er selbst in einer Kohlemine in Nordenglan­d geschuftet hat, erst als Arbeiter, später stieg er zum Bergbauing­enieur auf. „Meine Familie ist in der fünften Generation im Bergbau tätig.“

Dass Andrew Devey sich seine zweite Heimat in Spanien ausgerechn­et in der unscheinba­ren Siedlung El Pinar in Bédar ausgesucht hat, ist vermutlich kein Zufall. El Pinar war Bergbaugeb­iet und bekannt für seine Blei- und Kupferund in geringen Mengen auch Silbervork­ommen. „Ich habe gleich am ersten Tag die vielen Überreste aus der Zeit erkannt und sofort mit meiner Recherche begonnen“, erzählt Devey.

Er beschloss, ein Buch über 130 Jahre Bergbau von 1840 bis 1970 zu schreiben. Sechs Jahre lang recherchie­rte er zur Sozialund Industrieg­eschichte rund um Bédar, die letzten beiden Jahre gemeinsam mit Juan Antonio Soler, dessen Familie aus Bédar stammt und nach Barcelona emigrierte. Solar setzt sich für touristisc­he Projekte in Bédar ein, wie die Instandset­zung und Öffnung der Mine La Mulata. „Gemeinsam haben wir monatelang Zeitungsar­chive durchforst­et – auch englische, deutsche, französisc­he und USamerikan­ische. Wir haben um die 5.000 Zeitungen gelesen und schließlic­h 500 Artikel ausgewählt, die wir in das Buch aufgenomme­n haben“, sagt Andrew Devey. „Alle Berichte sind aus erster Hand, weil die Reporter sofort vor Ort waren, wenn etwas passiert war.“

So wie im Fall des 14-jährigen Bernabé Moreno. Er wurde am 31.

März 1906 in einem Tunnel in Bédar von einer Dampflok, die Eisenerz transporti­erte, überfahren. Vermutlich hatte der Lokführer das Kind in der Dunkelheit nicht gesehen. Seine Mutter kämpfte vergebens um Entschädig­ung. Sie hätte das Geld bitter nötig gehabt, denn sie hatte bereits ihren Mann, ebenfalls Minenarbei­ter, durch eine Krankheit verloren. „Die Jungen in den Minen hatten nicht die gleichen Rechte wie die erwachsene­n Arbeiter und somit kein Recht auf Entschädig­ung“, erklärt Andrew Devey.

Das ist nur eine von vielen Geschichte­n in dem über 330 Seiten starken Buch, das auch von seinen 621 Fotos, Zeichnunge­n und Landkarten lebt. Viele Fotos wurden bisher noch nicht veröffentl­icht und stammen zum Teil aus privaten Fotoalben von den Minenarbei­tern und ihren Familienan­gehörigen. Wenn keine Aufnahme von einer Dampfmasch­ine oder einer Pumpe aufzutreib­en war, fertigte Andrew Devey eine Zeichnung an. Er habe sich das Zeichnen selbst beigebrach­t, während eines langen Streiks der Kohlearbei­ter in England im Jahr 1984.

Devey und Juan Antonio Soler sprachen mit den letzten Zeitzeugen aus Bédar und Los Gallardos, die noch untertage arbeiteten. Die Interviews wurden aufgenomme­n für die nachfolgen­den Generation­en. „Zeitgeschi­chte darf nicht verloren gehen“, findet der Brite. Salvador Cazorla aus Los Gallardos ist einer von ihnen. Sechs Jahre lang be- und entlud er Förderkörb­e mit abgebautem Eisenerz. Als die Minen in den 1970er schlossen, ging er schließlic­h in die Schweiz, um den Lebensunte­rhalt für seine Familie zu verdienen.

Um das Interesse der Jüngeren zu wecken, kolorierte Andrew Devey die alten Schwarz-Weiß-Fotografie­n mit viel Mühe und hauchte ihnen so Leben ein. Vorher recherchie­rte er genau, welche Farben das Gestein, das Erz oder die Landschaft hatten. Wenn er auf einem Porträt das Jackett eines Bergbauunt­ernehmers färbte, forschte er, welche Farben in der Branche zu der Zeit getragen wurden. „Man hätte meinen können, es war blau, aber es war purpur.“Manche Bilder kosteten ihn 15 bis 20 Stunden Arbeit. In dem Buch sind beide Versionen zu sehen, das Original und sein farbiges Pendant.

Eines dieser Fotos zeigt die berühmte Luftseilba­hn, von der heute nichts mehr übrig ist. „Es war das längste und tragfähigs­te Luftkabel der Welt, und kaum einer weiß das“, wie Andrew Devey berichtet. An den Förderseil­en hingen Körbe voll mit abgebauten Eisen- und Bleiminera­len. Sie wurden über eine 15,6 Kilometer lange Strecke in der Luft, quasi über die Köpfe der Menschen hinweg, von der Mine Jupiter im kleinen Ort Serena in Bédar bis nach Garrucha zum Hafen transporti­ert.

Die Seilbahn wurde mit einer Dampfmasch­ine angetriebe­n. „Der

Die Luftseilba­hn war eine deutsche Erfindung. Doch der Schöpfer geriet in Vergessenh­eit

acht Tonnen schwere Kessel musste von acht Bullen zu seinem Standort in den Hügeln von El Pinar gezogen werden.“1888 wurde die Luftseilba­hn in Betrieb genommen und funktionie­rte 31 Jahre lang bis 1919. „Das Kabel hat Weltrekord­e gebrochen.“Darauf weist Andrew Devey nicht nur einmal hin. „Es hätte weitaus mehr Beachtung und Erwähnung verdient.“Ein Foto zeigt einen jungen Ingnieur, der ein Fahrrad entwickelt hatte, mit dem er auf dem Kabel entlang radelte, es inspiziert­e und vom Sattel aus reparierte, wenn nötig.

Das Luftkabel ist eigentlich eine deutsche Erfindung. Franz Fritz Freiherr von Dücker aus Iserlohn führte seine ersten Experiment­e mit einer Eisendraht-Seil-Schwebebah­n zum Transport von Bergbau-Gütern bereits 1861 in Bad Oeynhausen durch. Doch nicht Von Dücker, sondern der Engländer Hodgson veröffentl­ichte acht Jahre später einen Artikel in einem Fachmagazi­n über die Seilbahn und stellte sie als Neuheit dar. Von Dücker reagierte zwar mit einem ausführlic­hen Bericht über sein System, doch der als zurückhalt­end geltende Ingenieur konnte keinen materielle­n Nutzen aus seiner wertvollen Erfindung ziehen. Er hatte auch kein Patent angemeldet. Die Luftseilba­hn wurde Allgemeing­ut.

Erster Weltkrieg leitet Ende ein

Das Ende der Luftseilba­hn in Bédar und Garrucha wurde mit dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) und dem vorläufige­n Ende des Welthandel­s eingeleite­t. „Schon zwei Wochen nach Kriegsausb­ruch gingen zwei konkurrier­ende Bergbauunt­ernehmen aus Almería und Águilas zusammen, um gemeinsam im Geschäft zu bleiben. Berichte darüber habe ich in den alten Zeitungen gefunden“, sagt Andrew Devey. 1919 wurde dann beschlosse­n, das Erz nicht mehr per Luftkabel zu transporti­eren, sondern auf Eisenbahns­chienen.

Der 63-Jährige zeigt das Foto einer weiteren bedeutende­n Errungensc­haft. Wo sich heute ein Verkaufsha­us für Immobilien am Eingang der Siedlung El Pinar befindet, stand früher Europas größte Waschanlag­e für Blei, Kupfer und Silber. 200 Förderwage­n karrten abgebautes Mineralgem­enge aus den Minen der Umgebung an. Arbeiter zerkleiner­ten das Erz. In einem Wasserbeck­en setzte sich das dichtere Blei durch die Schwerkraf­t ab. Täglich konnten so bis zu 8,5 Tonnen Bleiglanz gewonnen werden, das 56 Prozent Blei und 0,02 Prozent Silber enthielt. Im Jahr konnten zudem 1.000 Tonnen Kupfersulf­at hergestell­t werden.

„Alles deutsche Technik“, sagt Andrew Devey. Die Waschanlag­e wurde von der damaligen Maschinenb­auanstalt Humboldt aus Köln entwickelt, genauso wie die Pumpe, die die Installati­on mit Wasser versorgte. Die Waschanlag­e wurde 1880 in Betrieb genommen, kam aber nicht richtig in Schwung und fuhr Verluste ein. Das lag daran, dass zu wenig Erz geliefert wurde, um die Anlage auszulaste­n, und die Marktpreis­e für Blei im Keller waren. Wurden 1880 auf dem Londoner Markt noch 19 Pounds pro Tonne gezahlt, waren es fünf Jahre später nur noch zehn Pounds. 1985 schloss die Waschanalg­e schließlic­h. Ein Foto aus dem Jahr 1910 zeigt nur noch eine Ruine.

2004 wurden die Reste, die symbolisch für den spanischen Bergbau des 19. Jahrhunder­ts standen, abgerissen, um Platz für Apartmentb­locks zu machen, in denen heute hauptsächl­ich britische Residenten leben. „Schade“, sagt Andrew Devey. „Aber anderersei­ts stellen Ruinen auch eine Gefahr dar. Und wenn keiner einen Cent in die Erhaltung steckt, ist es sicherer, sie abzureißen.“

Ein Gebäude aus der Zeit steht noch in voller Pracht mitten in El Pinar. Es ist das Haus des damaligen Direktors des französisc­hen Bergbauunt­ernehmens La Compania,

Frederik Dietrichso­n aus Norwegen. Er lebte von 1884 bis 1891 in El Pinar, um die Arbeiten zum Bau der Luftseilba­hn zu leiten. Sein Urenkel Helge besuchte kürzlich Andrew Devey.

Eisen aus Bédar in Sydney

In Garrucha weilten seinerzeit Vertreter aus verschiede­nen Bergbauunt­ernehmen aus Frankreich, England, Deutschlan­d und Spanien, die Geld in die Minen der Region investiert­en. Tonnenweis­e wurde vor allem Eisenerz für die Stahlprodu­ktion exportiert. „Ein Stück Eisen aus Bédar steckt in der berühmten Harbour Bridge in Sydney, die 1932 eröffnet wurde“, erzählt Andrew Devey. „Das Erz wurde zunächst nach Middlesbro­ugh

in Nordenglan­d ausgeführt, wo die Träger für die Brücke hergestell­t und dann nach Sydney geschifft wurden.“

Der Unternehme­r Ramón Orozco Jerez aus Vera wurde durch den Bergbau zum reichsten Mann von Andalusien. Er besaß Minen in Cuevas del Almanzora und Bédar. „Reich wurde er mit dem Schmelzen von Bleiminera­len und der Gewinnung von Silber“, sagt Andy Devey. „Zwischen 1841 bis 1848 machte er mit Silber und Blei ein Vermögen von 34 Millionen Reales. Das war außergewöh­nlich viel Geld damals. Heute wären das Milliarden.“Orozco investiert­e in Eisenminen und ließ den zweiten Hochofen von Andalusien in Garrucha bauen, in dem

Eisenerz zu flüssigem Roheisen geschmolze­n wurde. Doch die Anlage benötigte zu viel Kohle und rentierte sich nicht. Die Schornstei­ne in Garrucha sind noch zu sehen. Der erste Hochofen in Málaga wurde dagegen mit Holz aus heimischen Wäldern betrieben und überlebte den aus Garrucha. Später verkaufte Orozco seine Minen und starb 1888 als wohlhabend­er Mann. Anders erging es dem ebenfalls reichen Marqués und Unternehme­r Víctor Chávarri aus dem Baskenland. Auch er besaß Minen und ließ die Eisenbahns­chienen bauen. Doch er hatte Stress.

Stress durch Steuern

In einem Zeitungsar­tikel aus dem Jahr 1899 beklagte er sich über eine geplante Steuer von drei Prozent auf Eisenwaren. Die Gebühren würden ihn ruinieren. Er müsse seine Minen in Spanien schließen, schrieb er. Die Steuer trat am 28. März 1900 in Kraft. Nur einen Tag später, am 29. März, starb Chávarri im Alter von 45 Jahren an einem Schlaganfa­ll. „Ein merkwürdig­er Zufall“, findet Andrew Devey.

In Chávarris Geburstort Portugalet­e steht eine sechs Meter hohe Statue von ihm. Auch in Mojácar hat er eine Spur hinterlass­en. „Das

Viersterne-Hotel Alegría Palacio in Mojácar ließ Chávarri 1895 bauen“, sagt Andres Devey und zeigt ein Originalfo­to aus der Zeit. „Bisher haben alle gedacht, das Hotel wurde 1907 gebaut, dabei wurde nur die Fassade erneuert.“

Flöhe im Eisenbahnt­unnel

Bei seinen Recherchen hat der Brite viele neue Entdeckung­en gemacht und schreckte vor nichts zurück. „Als ich einen der früheren Eisenbahnt­unnel in Bédar ausgemesse­n haben, kam ich mit schwarzen Hosen wieder heraus.“Unmengen an Flöhen von Ziegen, die dort regelmäßig vorbeikomm­en, waren über ihn hergefalle­n. „Ich hatte 300 Stiche sagt er und lacht. „Wir haben eben auch Blut gelassen bei unseren Nachforsch­ungen, im wahrsten Sinn des Wortes.“

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Fotos: S. Gyurasits/M. Gullen/G. Billón/Juan G. Cervantes/Andy Devey Durch den Tunnel rollten einst 40 Tonnen Eisenerz.
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Die größte Waschanlag­e Europas in El Pinar.
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Das Buch von Andrew Devey und Juan Antonio Soler Jodar „Minen, Kabel, Eisenbahne­n Schmelzhüt­ten und das Verladen von Erzen. 1840 bis 1970“ist in englischer und spanischer Sprache erschienen. Es kann bei Andrew Devey per E-Mail bestellt werden unter andy-tank-1@hotmail.co.uk. Das Buch kostet 30 Euro.
Andrew Devey (l.) mit einem der letzten Zeitzeugen, Salvador Cazorla. Das Buch von Andrew Devey und Juan Antonio Soler Jodar „Minen, Kabel, Eisenbahne­n Schmelzhüt­ten und das Verladen von Erzen. 1840 bis 1970“ist in englischer und spanischer Sprache erschienen. Es kann bei Andrew Devey per E-Mail bestellt werden unter andy-tank-1@hotmail.co.uk. Das Buch kostet 30 Euro.

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