Vernichtendes Fazit: Spanien bekämpft Exklusion und Elend nicht genug
Staat bekämpft soziale Exklusion und Elend nicht genug – Reiches Land lässt Schutzlose im Stich
Madrid – ck. Der Australier Philip Alston unterrichtet Internationales Recht in New York und reist als unabhängiger UNO-Berater für extreme Armut und Menschenrechte seit 2014 durch die Welt. Am Freitag zog er in Madrid ein vernichtendes Fazit über seine Beobachtungen in sechs Regionen.
Das hohe Niveau extremer Armut entspricht nicht dem wirtschaftlichen Status Spaniens. „Es ist das viertreichste Land der EU. Es könnte es sich erlauben, viel zu tun und es besser zu machen, aber Spanien hat entschieden, das nicht zu tun“, urteilt Alston. Der Staat überlässt diejenigen sich selbst, die ihn am meisten brauchen. 26,1 Prozent der Erwachsenen und 29,5 Prozent der Kinder leben am Rande der Armut oder sozialen Ausgrenzung. Die Arbeitslosigkeit ist doppelt so hoch wie im EUSchnitt.
„Eine Regierung nach der anderen hat bewusst entschieden, die Steuersätze zu senken und den Unternehmen zu helfen, die hohe Steuerhinterziehung nicht stark zu verfolgen und die Sozialhilfen niedrig zu halten“. Der 70-Jährige hat viel Entmutigendes gesehen. Die Bekämpfung der Folgen der Wirtschaftskrise habe den wohlhabenden Schichten geholfen, das Elend aber nicht gelindert. In Huelva kalkuliert er die Erträge aus der Landwirtschaft 2018-2019 auf 533 Millionen Euro, aber die Erntehelfer „leben wie Tiere“. Sie hätten Geld für würdige Unterkünfte, aber niemand will sie. Ähnlich geht es den Gitanos. In der Madrider Elendssiedlung Cañada Real kämpft die Stiftung Secretariado Gitano seit 40 Jahren für Verbesserungen, ohne großen Erfolg. 46 Prozent leben in extremer Armut. Minderjährige Immigranten sind ein weiteres Kollektiv, das kaum Hilfe erfährt. Mütter mit Kindern, die herumziehen, und ein Schulsystem, das nicht hilft, macht die Situation nicht leichter.
Spanien ist eines der EU-Länder mit den geringsten Sozialhilfen. Die Bürokratie, um Stütze zu beantragen, erinnert an das 19. Jahrhundert und schließt viele Menschen aus. Renten zur Wiedereingliederung von 400 Euro sind beispielsweise in Madrid „absolut unzureichend“ und die Zahl der Empfänger wurde noch dazu halbiert. „Die bürokratische Obsession“verletzt Universalrechte, so Alston.
Das Rentensystem rettet viele alte Menschen vor der Misere
Den Wohnungsmarkt und die Mieten bezeichnet er als Desaster. Sozialwohnungen machen 2,5 Prozent aus. Zum Vergleich nennt er die 30 Prozent in den Niederlanden. Am Beispiel Bilbaos zeigt sich der Teufelskreis: Ohne Wohnung gibt es keine Anmeldung im Einwohnerverzeichnis und ohne die keinen Zugang zum Gesundheitswesen oder zu ökonomischer Unterstützung. Die im Baskenland garantierte Minirente (RGI) rettet nicht vor der Straße. Staatliche, regionale und kommunale Behörden würden nichts gegen das Elend unternehmen. So beklagten die meisten Betroffenen, dass sie sich von den Behörden allein gelassen fühlen. Positives sieht der UNO-Beobachter aber auch: „Das Gesundheitswesen ist ein Juwel, und das Rentensystem rettet viele alte Menschen vor der Misere.“
Die neue Koalitionsregierung betonte, sich der Notlage bewusst zu sein. Sie wolle für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen.