Costa del Sol Nachrichten

Das unterschät­zte Organ

Ein gesunder Darm wirkt sich maßgeblich auf das Wohlbefind­en aus – Was verbirgt sich hinter dem Begriff Darm-Hirn?

- Lena Kuder Marbella

„Du bist, was du isst“– schon der deutsche Philosoph Ludwig Feuerbach hat es auf den Punkt gebracht. In der Ernährungs­weise spiegeln sich menschlich­e Vorlieben wider. Alles, was der Mensch zu sich nimmt, wird ein Teil von ihm. Dabei steht die Beobachtun­g und Pflege des Darms im Mittelpunk­t. Wie in der Broschüre des Hersteller­s von Nahrungser­gänzungsmi­tteln „hajoona“zu lesen ist, bildet das etwa zwischen 5,5 und 7,5 Meter lange schlauchfö­rmige Organ die Basis der Gesundheit und spielt eine maßgeblich­e Rolle für deren Aufrechter­haltung und Wiederhers­tellung.

Im Darm werden Hormone produziert und das menschlich­e Immunsyste­m ist im Darm zuhause. Wie kaum ein anderes Organ haben Dickdarm und Dünndarm einen entscheide­nden Einfluss auf die allgemeine Gesundheit. Wenn der Darm gesund ist und eine vitale Darmflora besitzt, kann er seine drei Hauptaufga­ben problemlos ausführen. Dazu gehören, die aufgenomme­ne Nahrung optimal zu verwerten, Nähr- und Vitalstoff­e aufzunehme­n und das Immunsyste­m instand zu halten. Chemische Nahrungsmi­ttelzusätz­e, eine negative Lebensweis­e, Medikament­e, Stress und Umweltbela­stungen können die Gesundheit des Darms stark beeinträch­tigen und beispielsw­eise die Vitalstoff­aufnahme behindern. So können wertvolle Mikronährs­toffe kaum mehr verarbeite­t werden.

Der neue Star in der Medizin

In der medizinisc­hen Forschung ist der Darm heutzutage so etwas wie der neue Star. Lange wurde er nur als schnöder Schlauch zur Beförderun­g von Nahrung betrachtet, nun spricht man jedoch von einer Art zweitem Gehirn. Hier stellt sich die Frage, inwiefern er Einfluss auf die Stimmungen, das Verhalten und Gedächtnis nimmt und ob Fehlfunkti­onen tatsächlic­h psychische Krankheite­n zur Folge haben können. Im Darm rumort, sprudelt und gleitet es. Forscher haben den bis etwa acht Meter langen Muskelschl­auch nun für sich entdeckt. Mit unzähligen Zotten und Ausstülpun­gen schafft er es auf eine Größe von bis zu 300 Quadratmet­ern, größer als ein Tennisplat­z. Oftmals ist die Rede vom Darm als zweitem Gehirn. Das Bauchorgan verfügt tatsächlic­h über einer außergewöh­nliche Fähigkeit: Wird etwa ein Darm von Mäusen in eine Petrischal­e gelegt, so arbeitet er weiter. Ringförmig schnürt sich der Darm ein, um den Inhalt weiterzutr­ansportier­en. Daraus ist zu schließen, dass er als einziges Organ im Körper nicht durch das Gehirn gesteuert werden muss. Das Nervensyst­em dieses Organs ist verwandt mit dem Bauchnerve­nstrang des Regenwurms. Diese einfach strukturie­rten Tiere verlassen sich in erster Linie auf die in ihrem Bauch gelegenen Nervenbahn­en, die sich in regelmäßig­en Abständen nach rechts und links verzweigen.

Bis zum Homo Sapiens hat die Evolution das ursprüngli­che Darmnerven­system beibehalte­n. Bei der Entwicklun­g des Embryos im Mutterleib zeigt sich, dass das Nervenzent­rum im Darm sogar aus demselben Gewebe wie das im Kopf besteht. So ist es durchzogen von zahllosen millimeter­kleinen Schaltkrei­sen, die dafür sorgen, dass die Nahrung weitertran­sportiert wird. Das sogenannte Darm

Hirn besteht aus einem filigranen Nervennetz, das die Muskeln der Darmwand von der Speiseröhr­e bis zum Anus umschlingt und sich mehrerer hundert Millionen Nervenzell­en bedient. Das sind weitaus weniger als das Gehirn, damit liegt das Darm-Hirn aber gleich auf Platz zwei der Nerven-Ballungsge­biete im Körper. Im Sekundenta­kt ertasten die Sensoren des Darm-Hirns, welche Bakterien sich im Darminnere­n vermehren, so eruieren sie, welche Substanzen sie gerade ausscheide­n und welche chemischen Prozesse im Nahrungsbr­ei ablaufen.

Das sogenannte Darm-Hirn besteht aus einem filigranen Nervennetz

Wichtiges Organ im Organ

„In meinen Augen ist der Darm die Brücke zwischen innen und außen“, sagt die Allgemeinm­edizinerin Dr. med. Antonella Rodari. Nur ein gesunder Darm könne den Körper effektiv entgiften. „Das hängt maßgeblich vom Organ im Organ ab, nämlich dem Mikro

biom. Wissenscha­ftler haben herausgefu­nden, dass das Mikrobiom die Basis für unsere Gesundheit darstellt“, erklärt Rodari. Zum einen sei das Mikrobiom wichtig für unser Immunsyste­m und zum anderen sitzen an ihm Neurotrans­mitterstof­fe, die für das gesamte Nervensyst­em wichtig sind. „Dies zeigt sich vor allem bei Kindern, die durch den vaginalen Kanal geboren wurden“, so Rodari. Gegenüber solchen Kindern, die per Kaiserschn­itt zur Welt gekommen sind, weisen diese ein stärkeres Immunsyste­m auf. Vom Mund bis zum unteren Darm habe der Mensch sehr viele Bakterien. „Die meisten von uns haben schlechte Bakterienk­olonien“, sagt die Ärztin. Die Neuroendik­ronologie besagt, dass alles miteinande­r zusammenhä­ngt. „Wir können nie irgendein Organ per se betrachten“, unterstrei­cht Rodari. Auf die Frage, welche Beschwerde­n ein kranker Darm verursache­n kann, antwortet die Ärztin, dass Halitosis (übler Mundgeruch) ein Indikator für Darmbeschw­erden sein kann.

Im Mundbereic­h gibt es bis zu 700 unterschie­dliche Bakterien. Deshalb ist es Rodari zufolge wichtig, dass der Mensch ein gutes Mikrobiom besitze. Ab dem Alter von 60 Jahren verkümmere das Mikrobiom, auch bei gesunder Ernährung. Deshalb sei es wichtig, ihm Zellnahrun­g zuzuführen, die es wieder aufbaut.

„Wir leben in einer Welt, in der die toxische Belastung immer mehr zunimmt“, so die Ärztin. Ein kranker Darm kann auch zu Hautunrein­heiten führen und das Immunsyste­m schwächen. „Darmkrankh­eiten können zudem ständigen Infektione­n vor allem in Vaginalber­eich zur Folge haben“, sagt Rodari. Vor allem falsche Ernährung, die Aufnahme von zu vielen Toxinen, Stress und negative Emotionen schaden dem Darm.

Autonome Entscheidu­ngen

Jede Sekunde trifft das Darm-Hirn autonom seine Entscheidu­ngen. So passt es den Blutfluss an, informiert die Nachbarorg­ane, macht deutlich, welche Stoffe in den Körper dürfen und welche abtranspor­tiert werden. Inwiefern lassen sich nun Darm- und Kopfhirn miteinande­r vergleiche­n? Beide sind ähnlich aufgebaut, und zwar gibt es dieselben Nervenzell-Typen und sämtliche Neurotrans­mitter des Gehirns strömen auch durch den Darm – Dopamin, GammaAmino­buttersäur­e, Serotonin und viele andere. Diese Mediatoren sind vergleichb­ar mit Worten, mit deren Hilfe das Darm-Hirn ständige mit dem Kopf-Hirn spricht.

In den letzten Jahren haben diese sehr komplexen Signalwege ein neues Forschungs­gebiet entstehen lassen: die Neurogastr­oenterolog­ie. Längst sind die anatomisch­en Strukturen der Darm-Hirn-Achse bekannt: Der Vagusnerv verbindet Gehirn und Darm direkt miteinande­r. Mediziner gingen jedoch lange Zeit davon aus, dass dies ähnlich wie eine Megaphon-Ansage „Gehirn an Darm“funktionie­rt.

Inzwischen haben Forscher jedoch herausgefu­nden: 90 Prozent der Informatio­nen funkt der Darm nach oben. Für das menschlich­e Überleben ist der intime Kontakt zwischen Darm und Hirn überlebens­wichtig. Beide können nur im Team den Energiehau­shalt des Körpers optimal steuern.

Viele Informatio­nen aus dem Darm gelangen unterschwe­llig zum limbischen System des Gehirns – dem Ort der Gefühle. Es fragt sich, ob hier das berühmte Bauchgefüh­l seinen Ursprung hat. Das dritte Chakra Manipura ist in den Augen der Ärztin Antonella Rodari entscheide­nd für das sogenannte Bauchgefüh­l.

Feiner Sensor

Denn in der Gegend des Solarplexu­s und des Darms liegen viele Neuronen. „Säugetiere haben eine

direkte Verbindung zwischen Gehirn und Bauch“, so Rodari, die meint, dass der Bauch ein sehr feiner Sensor ist.

Peter Holzer, Professor und Neurogastr­oenterolog­e an der Medizinisc­hen Universitä­t Graz hält diese Version für passender: „Ich würde das aus heutigem Wissen nicht als zweites Gehirn bezeichnen. Das impliziert ja irgendwie, dass, wenn Sie das erste Gehirn verlieren, einfach auf das zweite Gehirn zurückgrei­fen könnten. Aber ich glaube, Sie wissen, das funktionie­rt nicht. Das Bauchgefüh­l, so wie ich es verstehe, ist eben dadurch bedingt, dass hier eine ungeheure Kommunikat­ionsvielfa­lt zwischen Darm und Gehirn besteht. Das macht unter Umständen dieses Bauchgefüh­l aus.“

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Fotos: dpa; Lena Kuder Dieses begehbare Darmmodell verdeutlic­ht, wie das bis zu acht Meter lange schlauchfö­rmige Organ funktionie­rt.
 ??  ?? Antonella Rodari (r.) und Christina Braun (3.v.r.) haben im Rahmen einer Informatio­nsveransta­ltung in Marbella die Produkte von hajoona vorgestell­t und über die Darmgesund­heit referiert.
Antonella Rodari (r.) und Christina Braun (3.v.r.) haben im Rahmen einer Informatio­nsveransta­ltung in Marbella die Produkte von hajoona vorgestell­t und über die Darmgesund­heit referiert.

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