Unter „Hausarrest“: Homeoffice boomt in Zeiten des Coronavirus
Wiederentdeckung des Homeoffice als Alternative in Zeiten des Coronavirus
Madrid – sk. Flexible Arbeitszeiten, Telearbeit oder Homeoffice standen in Spanien bisher nicht hoch im Kurs. Das hat sich mit dem Coronavirus und seiner hohen Ansteckungsgefahr geändert. Die Arbeit von zu Hause aus rückt ins Blickfeld vieler Firmen angesichts des Risikos von Infektionen in der Belegschaft.
Weit verbreitet sind die Erfahrungen diesbezüglich aber nicht, nur 4,3 Prozent aller Angestellten haben vor dem Ausbruch der Coronakrise von zu Hause aus gearbeitet, meldet das Nationale Statistikinstitut (INE), 7,5 Prozent immerhin sporadisch. Kein Vergleich zum Norden Europas. Aus der Not heraus übernehmen große Firmen in Spanien nun die Vorreiterrolle.
Nach Hause geschickt
Das Consulting-Unternehmen EY und Indra, der Kommunikationsriese Telefónica, die Banken Bankia und BBVA oder der Einzelhandelskonzern El Corte Inglés stehen am Anfang einer Liste von Firmen, die einen Teil ihrer Angestellten nach Hause schickt. Und sie wächst täglich, auch im Einklang mit dem Rat der Gesundheitsexperten.
Als der erste Angestellte von EY sich infizierte, reagierte das Unternehmen umgehend, aktivierte sein Präventionsprotokoll und schickte über 3.000 Mitarbeiter in Madrid bis auf Weiteres an den heimischen PC. Vodafone versetzte sogar bei einer Übung für den Notfall die komplette Belegschaft ins Homeoffice, um zu prüfen, ob die Dienstleistungen auch aus der Distanz überhaupt aufrecht zu halten sind. Und es funktionierte, wohl auch deshalb, weil in dem Konzern ohnehin viele Angestellte einen von fünf Arbeitstagen zu Hause arbeiten.
Normalerweise basiert das Homeoffice auf Freiwilligkeit. Die hält sich bekanntlich in Grenzen, da die Kultur der Anwesenheit am Arbeitsplatz in Spanien tief verwurzelt, die Arbeitszeit lang, die Produktivität aber nach Angaben von Eurostat im EU-Vergleich gering ist. Die aktuelle Krise könnte die Gewohnheiten etwas ändern, zumal das Prinzip der Freiwilligkeit sich nun relativiert, da das Risiko beziehungsweise die Gefährdung am Arbeitsplatz auch eine Rolle spielen. „Die Firma hat die Pflicht, die Gesundheit ihrer Angestellten zu schützen“, sagt David
Díaz, Spezialist für Arbeitsrecht beim Consultingunternehmer Baker McKenzie. Da liegt die Telearbeit nahe, allerdings springen darauf große Firmen an, kleinere Unternehmen haben bisweilen technologische Schwierigkeiten, und
Kleinere Firmen mit technologischen Schwierigkeiten
für einige Sektoren wie etwa den Einzelhandel eignet sich die Arbeit von zu Hause schlichtweg nicht.
Gewerkschaften wie die UGT kreiden den Firmen an, ihre Belegschaft nicht für die Telearbeit zu rüsten, obwohl 91,4 Prozent aller Haushalte über eine Internetverbindung verfügen, 81 Prozent einen Computer besitzen, und Spanien sich rühmt, die beste Internetverbindung Europas zu haben. „Man kann nicht einfach plötzlich und ohne Planung von einem Modell auf das andere wechseln, das muss progressiv geschehen“, erklärte José Varela von der Gewerkschaft UGT.
Fest steht, die Leistungsfähigkeit eines Angestellten steht in Zusammenhang mit seiner Zufriedenheit und diese wiederum mit der Wahlmöglichkeit. Bei einer europäischen Umfrage zum Thema führten Spanier Schwierigkeiten an wie Unterbrechungen durch Familienmitglieder, Konzentrationsprobleme, die Notwendigkeit, sich um Kinder zu kümmern sowie Haltungsschäden aufgrund des Fehlens von adäquatem Mobiliar.