Der König unter den Viren?
Von Impfung bis Ibuprofen – Die wichtigsten medizinischen Fakten über das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2
Schon seit vielen Jahrzehnten sind Coronaviren bekannt. Die Erreger mit der charakteristischen kronenartigen Form – deshalb auch der Name Corona – die beispielsweise auch für eine normale Erkältung verantwortlich sein können, wurden lange Zeit als leicht übertragbare, aber in der Regel mild verlaufende Infektionen wahrgenommen.
Wie alle Viren mutieren Coronaviren ständig, wobei diese Mutationen des Genpools nur in den seltensten Fällen zu einer neuen Krankheit führen. Ein solcher Vorgang scheint aber in Wuhan stattgefunden zu haben, was den Erreger Sars-CoV-2 zur Folge hatte, der sich von Asien nach Europa und sogar bis auf den amerikanischen Kontinent ausgebreitet hat.
Schon lange sind ähnliche Viren bei Fledermäusen nachgewiesen. Diese gelten unter Virologen als das Wirttier schlechthin, wenn es um Virusinfektionen geht. Nur in seltenen Fällen werden jedoch Infekte vom Tier auf den Menschen übertragen. Genau das ist aber wohl im chinesischen Wuhan passiert. Auf einem Wildtiermarkt der landwirtschaftlich geprägten Region traten das Virus und die Lungenkrankheit Covid-19 erstmalig gehäuft bei Menschen auf und verbreiteten sich daraufhin in ganz China und der Welt.
Zelle „unwirtlich“machen
Damit ein Virus einem lebendigen Organismus schadet, ist ein Rezeptor vonnöten, der an einer menschlichen oder tierischen Zelle andocken kann, bildlich gesprochen ist er also der Schlüssel zur Zelle. Danach dringt das Virus in die Zelle ein, setzt sich im Erbgut des menschlichen oder tierischen Wirts fest und verändert dieses, um sich selbst zu vermehren. Zur Vermehrung nutzen Viren die Zellteilung des Wirtes. Dessen Organismus wird immer schwächer, je zahlreicher die viralen Zellen im Verhältnis zu den gesunden werden. In vielen Fällen unterbindet das menschliche Immunsystem diesen Vorgang. Deswegen sind ältere Menschen oder chronisch Kranke, deren Abwehrsystem nicht so resistent ist, anfälliger für virale Infekte als gesunde Menschen.
Um ein Medikament herzustellen, muss demnach entweder der Rezeptor oder aber die Zellteilung der viral infizierten Zelle unterdrückt werden. Mediziner beziehen dafür vor allem Forschungen über den Vorgänger des aktuellen Infekts, das Sars-Coronavirus, ein, was Anfang der 2000er Jahre in einigen asiatischen und arabischen Ländern Epidemien auslöste. Auch wenn es sich bei Sars-CoV und Sars-CoV-2 um zwei verschiedene Erreger handelt, weisen sie einige Gemeinsamkeiten auf: So sind die Proteinstrukturen der beiden Viren zu über 75 Prozent identisch. Erst in der vergangenen Woche war es einem Forscherteam der biomedizinischen Abteilung der Universität von Valencia gelungen, das genaue Genom des Erregers zu entschlüsseln. Rezeptor ist für beide Sars-Viren das Enzym ACE 2. Die englischsprachige Medizinzeitschrift „The Lancet Respiratory Medicine“hat daraufhin die These aufgestellt, dass entzündungshemmende Schmerzmittel wie zum Beispiel Ibuprofen die Produktion dieses Enzyms ankurbeln, wodurch in kurzer Zeit noch mehr Zellen infiziert werden. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat diese Vermutung zunächst gestützt, mittlerweile aber zurückgenommen. Das deutsche Gesundheitsministerium bewertet den Beitrag der Mediziner als „spekulativ“und rät lediglich Älteren und Menschen mit Herzschwäche zur Vorsicht
mit Ibuprofen – allerdings nicht nur im Hinblick auf das Coronavirus, sondern allgemein. Nur bei sehr hohem Fieber über 39,5 Grad sollen diese Personen entzündungshemmende Schmerzmittel einnehmen.
Bei geringerem Fieber sei Paracetamol ausreichend und auch verträglicher.
Spanier Vorreiter in Forschung
Ein konkretes Mittel gegen das Virus Sars-CoV-2 und die Lungenkrankheit Covid-19 gibt es aktuell allerdings noch nicht. Weit vorne in der Forschung sind Virologen der Universidad Autónoma in Madrid. Das Zentrum gehört zu den fortschrittlichsten Virologieinstituten in ganz Europa und hält Proben alter Viren – darunter auch das Sars-Coronavirus. Sie haben eine virenhemmende Chemikalie zunächst an einer Probe eines ungefährlicheren Coronavirus getestet.
„In den Versuchen haben wir gesehen, dass der Wirkstoff Plitidepsin die Vervielfältigung eines menschlichen Coronavirus deutlich hemmt, aber wir haben es bis jetzt noch nicht mit einem für den Menschen tödlichen Erreger ausprobiert“, erklärt Chefvirologe Luis Enjuanes. Schon bald soll das Medikament am alten Sars getestet werden, um zu prüfen, ob es in Zukunft auch als Wirkstoff gegen das neue Coronavirus dienen kann.
Doch eine Medizin auf den Markt zu bringen, dauert: „Erst einmal brauchen wir die Erlaubnis von der Behörde für Biosicherheit, mit Sars-CoV-2 im Labor zu forschen. Im zweiten Schritt gibt es dann vorklinische Versuche mit Tieren und in einer dritten Etappe werden dann klinische Studien an Menschen durchgeführt, um die Wirkung nachzuweisen“, erklärt der Naturwissenschaftler. Eine zeitnahe Medikation gegen den neuen Erreger ist also eher unwahrscheinlich.
Ebenso zeitaufwendig wäre die Freigabe eines Impfstoffs. Kaum jemand ist in der Entwicklung von Antikörpern so weit wie der amerikanische Pharmahersteller Moderna Therapeutics unter der technischen Leitung des Madrilenen Juan Andrés. In zwölf bis 18 Monaten könnte sein Team soweit sein, einen wirksamen Impfstoff auf den Markt zu bringen. „Wir führen erste Versuche mit gesunden Freiwilligen durch“, so der Mediziner, „hoffentlich ist das erfolgreich, damit ich bald meine Familie in Spanien in die Arme schließen kann.“