Wo ist Oma?
Von sehr eng zum Kontaktverbot: Spaniens Großeltern leiden unter Trennung von Enkeln
Strenges Kontaktverbot: Großeltern leiden unter der Abwesenheit ihrer Enkel
Alicante/Sant Joan – ann. Ihren 75. Geburtstag hat Esther Catalá Brotons am 17. März alleine gefeiert. Naja, ein paar Garnelen waren da, auf ihrem Teller. Es war der seltsamste Geburtstag in ihrem ganzen Leben, sagt sie. Seit Beginn der Ausgangssperre wegen Covid-19 verbringt sie jeden Tag allein in ihrer Wohnung in Alicante. Doch sie will sich nicht beschweren. „In meiner Familie sind alle gesund“, meint sie erleichtert. Doch wenn man sie fragt, was sie am meisten vermisst, bricht ihre Stimme. „Meine Kinder und Enkel“, sagt sie unter Tränen. Wenn das alles vorbei sei, würde sie als Erstes in den Bus steigen und zu ihrer Familie fahren.
Die Tage verbringt sie derzeit mit Gymnastik – „obwohl ich noch nie Sport gemacht habe“–, Kochen, Spazierengehen in der Wohnung, Ausmisten – „ich habe schon unglaublich viel weggeworfen“– und dem allabendlichen Applaus für das medizinische Personal um 20 Uhr, dem sich in ihrem Wohnblock ein paar Lieder anschließen. „Wir schicken der Präsidentin unserer Eigentümergemeinschaft jeden Tag Liederwünsche per Whatsapp und die werden dann über Lautsprecher erfüllt und wir singen mit“, erzählt sie lachend. Beschäftigt sei sie sehr wohl, doch auch einsam.
So wie Esther Catalá geht es vielen Großeltern derzeit in Spanien. Die Familienbande sind eng, wesentlich enger als in Nordeuropa, wo es normal ist, Kinder und Enkel, die oft weiter weg wohnen, mehrere Wochen nicht zu sehen. Dies ist auch für Gesundheitsexperten einer der Gründe, warum die Coronavirus-Pandemie Spanien und auch Italien viel stärker getroffen hat als andere Länder: die große Nähe zwischen den Generationen. Häufig müssen vor allem die Omas auf die Enkel aufpassen, weil beide Eltern bis spät arbeiten müssen oder in den langen Sommerferien eine Betreuung für den Nachwuchs benötigen. Und: Fast ein Drittel der 25- bis 34-jährigen Spanier lebt noch bei den Eltern. Auch in diesem Alter ist der Kontakt also viel enger als in Nordeuropa, wo die meisten schon mit Anfang 20 das Zuhause verlassen.
Benita Guillén López (65) ist zwar daran gewöhnt, alleine zu leben. „Aber ich treffe mich normalerweise oft mit Freundinnen, besuche meine Töchter und meine Enkel, auf die ich auch oft aufpasse“, erzählt die 65-jährige Witwe aus Sant Joan. Deshalb sei die Ausgangssperre für sie eine harte Probe. Beim Gedanken an ihre vier Enkelkinder muss auch sie weinen. „Ich vermisse sie so sehr, ihre Umarmungen, ihre Küsschen“, sagt sie traurig, „ich habe ja hier niemanden, der mich mal umarmt. Auch wenn sie mir sonst die Wohnung dreckig machen und ich mich oft um sie kümmern muss, das ist mir egal, sie bringen Leben in mein Leben.“Jetzt sehe sie ihre Familie nur über Videoanrufe.
Ohne Zweifel trifft die Pandemie die Großeltern-Generation am härtesten. Nicht nur, weil sie per se zur Risikogruppe gehört. Auch, weil sie mit am meisten unter der Ausgangssperre leidet. Herzzerreißende Geschichten sind in den
Medien zu lesen: Von der Oma, die nur durch das Autofenster einen kurzen Blick auf ihr neugeborenes Enkelkind werfen kann – auf den Arm nehmen, schmusen, absolut nicht drin.
Dazu Schicksale, die sich derzeit täglich zu Hunderten in Spanien ereignen: dass Oma oder Opa sterben, und man sich nicht von ihnen verabschieden konnte. Die Pandemie mag vorübergehen, doch die herbeigesehnte Normalität wird es für viele nicht geben.
Große Nähe von Generationen wohl für hohe Infektionsrate in Spanien mitverantwortlich
Die spanische Vereinigung der Kindermedizin (AEP) hat die Initiative #Abuelémonos gestartet und animiert Kinder und Jugendliche, ihren Großeltern Videonachrichten zu schicken, um ihre Zuneigung zu zeigen.