Noch nicht ist zu spät: Wann kann Spanien eine Lockerung der Maßnahmen riskieren?
Regierung weckt Land aus Winterschlaf – Virologen warnen vor Gefahren – Ökonomen prognostizieren Wirtschaftseinbruch
Madrid – sk. Am 31. Dezember 2019 berichtet die chinesische Regierung von einer Lungenentzündung, die im Umkreis eines Fischmarkts von Wuhan im Süden des Landes um sich greift. Nur 100 Tage später liegen die Volkswirtschaften vieler Industrieländer lahm. Millionen Menschen tragen das Coronavirus in sich und mindestens 75.000 hat Covid-19 für immer die Luft zum Atmen genommen. Die Nationalstaaten stellen sich jeder für sich einer humanitären Katastrophe entgegen, die im konkreten wie im abstrakten Sinn keine Grenzen kennt.
Seit Ausrufung des Notstands am 14. März igeln sich auch die Spanier ein, nehmen ein Ausgehverbot auf sich, um Sars-CoV einzudämmen. Trotzdem rafft die Pandemie am 2. April, dem Tag mit den meisten Neuinfektionen, 950 Menschenleben dahin. Nur wenige, aber endlos erscheinende Tage später die Zäsur: Die Regierung Pedro Sánchez unternimmt den ersten Schritt hin zu einer Normalisierung
und lockert die Beschränkungen, mit denen am 30. März die Arbeit außer Haus auf sogenannte systemrelevante Tätigkeiten eingeschränkt und das Land in den viel zitierten Winterschlaf geschickt wurde. Nun können unter Auflagen Bauarbeiter und Angestellte in Industriegebieten wieder arbeiten, auch Kanzleien öffnen wieder und Hausangestellte können an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Geschäfte, Bars und Restaurants bleiben jedoch weiter geschlossen.
Risikoreiche Rückkehr zur Arbeit
Spanien kehrt zum Zustand des Notstands vom 14. bis 30. März zurück. Das Ende der zweiwöchigen Hibernation tritt nicht mit dem Ausklingen der sanitären Krise ein, sondern bestenfalls mit der ausklingenden Phase ihres Höhepunkts. Am 13. April und mit dem Stand von 517 Toten binnen 24 Stunden, 169.496 Infizierten und 64.724 Gesundgeschriebenen rangiert Spanien nach der USA und vor Italien auf Platz zwei der Coronavirus-Horror-Hitparade.
Der Schritt bleibt mit hohen Risiken verbunden, vor allem in Ballungsgebieten. Am Montag haben bis 8 Uhr morgens 32.546 Menschen die Metro in Madrid benutzt – 35 Prozent mehr als in der Woche zuvor und das in der Hauptstadt, wo das Virus brutal wütet. Es gleicht einem Drahtseilakt über unbekanntem Terrain. Und ob das gut geht, wird Spanien wegen der Inkubationszeit nicht vor kommendem Mittwoch bemerken. Da wird Sánchez das Parlament auch um eine dritte Verlängerung des Notstands oder „estado de alarma“vom 26. April bis 10. Mai ersuchen.
Alle Entscheidungen der Regierung beruhen einzig und allein auf dem Urteil von Experten, versichert Ministerpräsident Pedro Sánchez. Dennoch sagt er nie, welche das sind. Virologen halten den Schritt für verfrüht und hätten eine solche Entscheidung lieber auf der Grundlage massiver Tests geführt, um den Grad der Immunität in der