Costa del Sol Nachrichten

Liebe Leser,

- Stephan Kippes, Chefredakt­eur

sind Sie eine Nullnummer geblieben oder haben Sie es auch in die Phase 1 geschafft? Wie dem auch sei, gönnen Sie sich einen Moment der Zufriedenh­eit, etwas Stolz steht Ihnen gut zu Gesicht. Sie haben auf Ihre Rechte verzichtet und der Allgemeinh­eit geholfen, eine schwere Krise zu überwinden. Wahrschein­lich will bei Ihnen kein Gefühl der Euphorie aufkommen, Sie haben auch um sich herum wenig davon gemerkt. Komisch, so viel gedämpfte Stimmung nach so vielen Tagen Quarantäne. Ja, es gibt zu viele Menschen, die nicht mitfeiern können, zu viel, das auf der Strecke blieb.

Tja, Herr Präsident, über den spanischen Weg kommen wir nicht aus der Corona-Krise. Wir gehen alle gemeinsam rein, aber wir kommen leider nicht alle gemeinsam raus – und leider auch nicht so schnell. Sicher, die Corona-Zahlen gehen täglich zurück, aber diese Pandemie macht nur der nächsten Seuche Platz. Derzeit stehen 101.942 Leute bei den Hilfsorgan­isationen in Madrid für Essen Schlange. Noch fällt es leicht, eine Madrider Regierung in die ultrakonse­rvative Ecke zu stellen und ihren Regierungs­partnern ein neoliberal­es Stigma anzuheften – selbst wenn jede Woche in der Phase 0 an die 1.000 Firmen sterben sollten, steht das in keinem Verhältnis zu den Tragödien in den Krankenhäu­sern und der hohen Ansteckung­sgefahr. Ist doch so – oder? Und wenn das Elend zunimmt und im Herbst Corona nebst der Troika in den Startlöche­rn stehen, messen wir der Gesundheit immer noch einen höheren Wert als der Wirtschaft bei – oder? Niemand schaut in den Statistike­n nach, wessen Gesundheit geschützt und wer dem sozialen Elend ausgeliefe­rt wird – oder?

Schwer wird es uns fallen, Opfer für andere zu bringen, wenn auch die Existenz der eigenen Familie in Gefahr ist. Tragen wir einen Lockdown mit, wenn es für die Hypothek und die Schule unserer Kinder nicht mehr reicht? Dämlich, die Gesundheit über die Wirtschaft zu stellen oder die Wirtschaft über die Gesundheit. Als ob es für einen Menschen gesund wäre, sich für Essen anstellen zu müssen – bei der Ansteckung­sgefahr.

Niemand bleibt zurück, hat der Präsident gesagt, aber alle sind mit Verlaub nicht nur die Leute über 60. Alle sind wirklich alle – die über 60, aber auch der Kellner an der Küste, der den Sommer braucht, um über den Winter zu kommen. Es gibt keinen Grund zur Freude, wenn eine Quarantäne­pflicht für Einreisend­e aus dem Ausland eingeführt wird. Das mag eine notwendige Schutzmaßn­ahme sein, weil die Ausgehsper­re gelockert wird und die Regierung verhindern will, dass das Virus eingeschle­ppt wird und sich erneut ausbreitet. Kein Grund aber, „Bravo“zu rufen und hämisch zu meinen, jetzt sind der Sommer und der Tourismus endgültig gelaufen und die persönlich­e Sicherheit garantiert. Wer so denkt, hat nur sich und das Heute im Kopf und verschwend­et keinen Gedanken an das Morgen. Es muss ein Leben nach Corona geben – und zwar diesen Sommer. Sonst bleiben zu viele zurück, Herr Präsident.

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