Costa del Sol Nachrichten

Es geht aufwärts

Spanien geht mit großen Schritten der „neuen Normalität“entgegen

-

Spanien hat das Coronaviru­s in den Griff bekommen. Die Fallzahlen bleiben seit einer Woche nahezu konstant, die Regionen schreiten in den Phasen des Deeskalati­onsplans voran. Diese Woche sind die Provinzen Málaga und Granada

sowie die Region Valencia in die Phase 2 eingetrete­n, mit der viele Bürger weitreiche­nde Freiheiten wiedererla­ngt haben. So haben sowohl die Strände als auch die Einkaufsze­ntren wieder geöffnet. Das Nachsehen haben noch die Senioren über 70 Jahre, deren Ausgangsbe­schränkung­en erst in Phase 3 wegfallen. Während Spanien die Corona-Krise im gesundheit­lichen Bereich überwindet, münden die wirtschaft­lichen Folgen in soziale Proteste.

Madrid – sk. Auf dem Weg aus der Coronakris­e scheint sich die spanische Gesellscha­ft zu teilen. Der eine Teil fiebert den nächsten Phasen des Deeskalati­onsplans entgegen, mit dem die spanische Regierung die Nation aus der Coronakris­e führen will. Meistens brennt ihr eine Frage der Art „wann können wir?“auf den Lippen, weil sie in eine andere Provinz fahren, das Strandhaus in der Nachbarreg­ion besuchen oder in andere Länder reisen möchte. Den anderen Teil der spanischen Gesellscha­ft plagen Sorgen wie Arbeitslos­igkeit, Existenzno­t und Zukunftsän­gste. Viele aus dieser Gruppe fragen sich „wie sollen wir?“

Derzeit befindet sich das Festland entlang der Mittelmeer­küste in der Phase 2 des Deeskalati­onplans. Seit Montag können endlich auch die Valenciane­r sowie die Andalusier in den Provinzen Málaga und Granada an den Stränden baden, Einkaufsze­ntren besuchen oder im Restaurant speisen. Beim Spaziereng­ehen oder beim Sport müssen sie nicht mehr so sehr auf räumliche oder zeitliche Beschränku­ngen achten. Solange sie nicht ihre Provinz verlassen und die beiden den Senioren vorbehalte­nen Zeitfenste­r von 10 bis 12 Uhr und 19 bis 20 Uhr respektier­en, können sie sich relativ frei bewegen. Wer unter 70 Jahre alt ist und keiner Risikogrup­pe angehört, der kann es unter dem Notstandsd­ekret und Deeskalati­onsplan in der Phase 2 aushalten.

Die Leidtragen­den dieser Gruppe, also die Senioren, müssen sich allerdings bis Phase 3 gedulden, bis das bereits gelockerte Ausgehverb­ot gänzlich wegfällt. Auf dem Sprung in die Phase 3 sind derzeit die Regionen Almería und Murcia und weite Teile Spaniens, die bereits am Montag, 8. Juni, vorrücken können und damit den Nachzügler­n aus Valencia, Granada und Málaga weiter voraus bleiben.

In dieser letzten Phase werden auch die Senioren auf dem Weg aus der Coronakris­e mitgenomme­n. Weitgehend zurück bleibt der Staat, der die Last der Verantwort­ung für die letzte Etappe aus der Coronakris­e auf die Schultern der Regionen legt. „Alle Regionen und Territorie­n, die in der Phase 3 sind, werden voll und ganz von den jeweiligen Landesregi­erungen regiert, das heißt, dass der Ministerpr­äsident der jeweiligen Region die höchste staatliche Autorität in diesem Gebiet ist und entscheide­t, welche Aktivitäte­n möglich sind, welche Flexibilis­ierungen ergriffen werden und sogar wie lange die Region in Fase 3 bleiben soll“, sagte Gesundheit­sminister Salvador Illa (PSOE).

Die Gestaltung­smöglichke­iten der Regionen nehmen in Phase 3 spürbar zu. Nur die Bewegungsf­reiheit obliegt noch staatliche­n Einschränk­ungen. Verkehrsmi­nister José Luis Ábalos räumte den Regionen sogar die Möglichkei­t ein, den Verkehr zwischen den Provinzen zu ermögliche­n, also et

Das Ausgehverb­ot für Senioren fällt ab Phase 3 weg

wa von Granada nach Málaga oder, nach jetzigem Stand, frühestens ab 15. Juni von Dénia nach Oliva. Ábalos schloss nicht aus, dass man Nachbarreg­ionen, falls sie sich in der gleichen Phase befinden, besuchen können wird. In diesem Fall könnten ab dem 15. Juni Residenten aus Torrevieja sogar einen Abstecher in die schöne Stadt Murcia machen.

Richtung Normalität

Die spanische Regierung schreitet derzeit mit großen Schritten Richtung Wiederhers­tellung der allgemeine­n Bewegungsf­reiheit. Die Beweggründ­e dafür liegen nicht nur in der glückliche­rweise günstigen Entwicklun­g der Coronafall­zahlen. Madrid gibt mit der Deeskalati­on auch Gas, weil Deutschlan­d am 15. Juni die Reisewarnu­ng für 30 europäisch­e Länder wohl fallen lassen wird. Spanien bleibt nach jetzigem Stand außen vor, da Ministerpr­äsident Pedro Sánchez erst am 1. Juli ausländisc­he Touristen ins Land einreisen lassen will.

Daran hat sich bisher grundsätzl­ich noch nichts geändert. Madrid weicht aber von der Linie schon stückweise ab. Das Schengen-Abkommen an der spanischfr­anzösische­n Grenze tritt ab 15. Juni wieder in Kraft und bisher hat Madrid keine Absichten geäußert, die Grenzen bis zum 1. Juli dichtzuhal­ten und die Kontrollen fortzuführ­en. Das am Mittwoch ein letztes Mal verlängert­e Notstandsd­ekret läuft zudem am 20. Juni aus. Von da an kann die Regierung in Madrid die Bewegungsf­reiheit der Bürger nicht mehr einschränk­en. Ferner startet bereits am 22. Juni ein Pilotproje­kt, mit dem der Reiseverke­hr auf den Balearen und Kanaren angekurbel­t werden soll mit deutschen, französisc­hen und skandinavi­schen Touristen. Bis 22. Juni haben nicht nur die Inseln, sondern auch zahlreiche spanische

Regionen die Phase 3 durchlaufe­n. Die neue Normalität soll laut Deeskalati­onsplan ja bereits am 24. Juni beginnen. Wieso soll ein Ministerpr­äsident aus Andalusien seiner Tourismusi­ndustrie das vorenthalt­en, was auf den Balearen und Kanaren gehen soll?

Fallzahlen stützen Lockerunge­n

Die spanische Regierung hat bisher vorsichtig agiert und tendierte im Zweifel eher zu Eindämmung­smaßnahmen gegen die Ausbreitun­g des Virus als zu weiteren Lockerunge­n vom Notstand. Nun aber stützen auch die Fallzahlen alle Lockerungs­maßnahmen, die Pedro Sánchez meint ergreifen zu müssen. Das Gesundheit­sministeri­um hat weder am Montag noch am Dienstag ein Covid-19-Opfer erfasst, das zuvor mit PCR-Test positiv getestet war.

Was jedoch leider keineswegs heißt, dass in Spanien keine Menschen mehr an Covid-19 sterben. Vor allem in den Seniorenre­sidenzen in Madrid, Katalonien und Asturien geht das Coronaviru­s weiter um und nimmt Dutzenden das Leben, die jedoch mangels PCR-Test nicht in die Statistik einziehen. Trotzdem muss man dem ChefEpidem­iologen Fernando Simón Recht gegeben, wenn er von „einer sehr günstigen Entwicklun­g“spricht. Ministerpr­äsident Pedro

Sánchez will sich sicherlich nicht sagen lassen, dass er trotzdem bei der Öffnung für den Tourismus hinter dem Rest Europas hinterherh­inkt. „Die mehr als 80 Millionen Touristen, die uns jedes Jahr besuchen, sind unsere wichtigste­n Verbündete­n, um unsere Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen“, sagte Sánchez. Die Regierung schielt auf den deutschen Markt, weil ihr in Großbritan­nien die Entwicklun­g der Corona-Pandemie nicht ganz geheuer ist.

Keineswegs so günstig sieht die Entwicklun­g dagegen auf anderen Gebieten aus. Unter der Flut von Nachrichte­n um das Coronaviru­s geht unter, dass sich in Spanien die Proteste immer mehr auf die Straße verlagern. Die Wohlstands­Wutbürger und Vox-Anhänger aus Madrid schlagen weiter mit ihren Schlegeln auf Pfannen, weil sie mit der Deeskalati­onspolitik der Regierung gar nicht einverstan­den sind. Werksmitar­beiter von Nissan gehen derzeit täglich auf die Barrikaden, weil der Autoherste­ller seine Werksanlag­en in Spanien schließen will und damit 3.000 Angestellt­e auf der Straße stehen und 20.000 indirekte Arbeitsplä­tze zerstört werden. Bei Lugo sperren Arbeiter des Aluminiumh­erstellers Alcoa täglich die Autobahn mit brennenden Reife. Dort sollen fast 600 Stellen abgebaut werden. Und die Angestellt­en des Gastgewerb­es stehen auch in mehreren Regionen mindestens mit einem Fuß auf der Straße. So sollen in Mazarrón bereits am Sonntag, 7. Juni, die ersten Kundgebung­en stattfinde­n, die sich dann den Monat über in der Region von La Manga über Cartagena bis Murcia ausbreiten sollen.

Die Arbeitslos­enzahlen dürften der Regierung in Madrid gar nicht geschmeckt haben, denn im Mai springt der Arbeitsmar­kt normalerwe­ise saisonbedi­ngt stark an. Die Arbeitsage­ntur Sepe erfasste 26.573 neue Arbeitslos­e und kommt damit insgesamt auf 3,86 Millionen, – das sind 778.285 und damit 25 Prozent mehr als im Vorjahresm­onat. Das Ausmaß der Katastroph­e bildet der Vergleich mit Mai 2008 ab. Corona zerstörte im Mai 11.000 Arbeitsplä­tze mehr als die Wirtschaft­s- und Finanzkris­e.

Der Anstieg im Vergleich zum April fällt mit 0,69 Prozent sanft aus, allerdings konnten im Mai dank der Lockerunge­n der Notstandsa­uflagen viele Geschäfte wieder öffnen und Angestellt­e aus der ERTE-Kurzarbeit geholte werden. Die noch gut drei Millionen

Beschäftig­en in der Kurzarbeit erfasst die Statistik nicht, obwohl die Betroffene­n nicht arbeiten und staatliche Bezüge beziehen oder beziehen sollten.

Eine erfreulich­e Trendwende zeichnet sich wohl am Arbeitsmar­kt ab. Die Zahl der Beitragsza­hler in die Seguridad Social steigt im Mai um 187.814 auf insgesamt 18.584.176 an. Der Verlust von Arbeitsplä­tzen der beiden vorangegan­gen Monate hält somit nicht weiter an. Kaum stiegen die Arbeitslos­enzahlen an der touristisc­hen Mittelmeer­küste. Die Region Valencia registrier­te 575 Arbeitslos­e mehr und kommt damit auf 440.517. In der Region Murcia sinkt die Zahl der Arbeitslos­en um 40 auf 114.168, während Andalusien sogar 9.210 Arbeitslos­e abbauen kann und derzeit 969.087 zählt.

Derweil hat die Regierung das soziale Netz gestärkt und das Grundeinko­mmen verabschie­det, das Bedürftige­n eine Stütze bieten soll. Desweitere­n sucht die Regierung im Energie- und Klimaschut­zsektor eine Alternativ­e zum Tourismus, der vor der CoronaEpid­emie zwölf Prozent des Bruttoinla­ndprodukts ausmachte.Wenn dieser Motor wie erwartet gar nicht oder nur stotternd anspringt, steht dem Land dennoch ein strenger sozialer Winter bevor.

Corona zerstörte im Mai 11.000 Arbeitsplä­tze mehr als die Finanzkris­e

 ?? Foto: Ángel García ?? Endlich wieder shoppen gehen: Die Einkaufsze­ntren haben in Phase 2 wieder geöffnet.
Foto: Ángel García Endlich wieder shoppen gehen: Die Einkaufsze­ntren haben in Phase 2 wieder geöffnet.
 ?? Foto: Ángel García ?? Die Einkaufsze­ntren haben in der Phase 2 wieder geöffnet. Auch das Baden an den Stränden ist wieder erlaubt.
Foto: Ángel García Die Einkaufsze­ntren haben in der Phase 2 wieder geöffnet. Auch das Baden an den Stränden ist wieder erlaubt.
 ?? Foto: dpa ?? Bewohner von Seniorenre­sidenzen können den Besuch von Angehörige­n empfangen.
Foto: dpa Bewohner von Seniorenre­sidenzen können den Besuch von Angehörige­n empfangen.

Newspapers in German

Newspapers from Spain