Liebe Leser,
reiben Sie Ihre Hände mit Desinfektionsgel ein und ziehen Sie sich die Atemschutzmaske über, wir müssen ein letztes Mal in den
Notstand. Die Regierung hat das Notstandsdekret um zwei Wochen verlängert, dann kommen San Juan und der Sommer und es ist Schluss mit Deeskalation und Corona.
Zwölf Wochen lang haben wir uns bevormunden und uns sagen lassen, wann wir das
Haus verlassen dürfen, in welchem Supermarkt wir einkaufen sollen und wann und wie wir soziale Kontakte zu pflegen haben. So kam es uns jedenfalls vor – uns, die wir nicht zu den Infizierten, Kranken und Covid-19-Opfern zählen.
Wir gewinnen aber diese Schlacht gegen das Virus. Nicht mit unserer freiheitlichen Grundordnung, sondern mit der eisernen Hand des Notstandsdekrets. Unter seinem Diktat haben wir gespürt, was für ein Wohlstand unsere Freiheitsrechte eigentlich sind. Wie uns der Luxus fehlte, uns sorglos bewegen zu können, wie, wohin und mit wem wir wollen. Wir haben gesehen, dass wir damit nicht weit kommen, sobald die Dinge aus dem Ruder laufen. Es braucht ein kleines Virus und zwei Wochen, schon implodiert unser Gesundheitswesen. Schon fragen wir Demokraten uns, ob wir einem 70-jährigen Patienten einen Platz in der Intensivstation geben oder den unter 50 bevorzugen sollten.
Spanien hat die Corona-Krise mit Abstrichen bei den Grundrechten gemeistert. Nur so konnte die Ausbreitung des Virus eingedämmt werden. Eine Demokratie muss sich ihrer Bedrohungen erwehren können. Genug Atemschutzmasken, Tests, ja geschweige denn Desinfektionsgel konnte sie aber nicht bereitstellen. Wie schlecht wir doch aufgestellt sind, wie langsam wir reagieren mit unserer Demokratie, mit unserem Gesundheitsund Sozialsystem und unserer Industrie und Wirtschaft. Falls wir unseren Kindern und Enkeln das Fundament für eine freiheitliche Welt hinterlassen wollen, sollten wir uns Gedanken machen – seit gestern.
Wir haben auch gesehen, wie schwierig eine Pandemie zu managen ist. Die Politik musste sich in den Dienst der Wissenschaft stellen. Ein Komitee aus Experten regiert wie ein Schattenkabinett das Land. Manchmal hat das Schutzschild besser, manchmal schlechter funktioniert – aber trotz Willkür und Widersprüchen führte der schwierige Weg zum Ziel. Nun erleben wir das Gegenteil. Was für einen banalen Zirkus die politische Klasse oft aufführt, wenn ihr Thema, Handlung und Ziel fehlen, der Innenminister mit der Guardia Civil, manche Gemeinden mit den Stränden. Es sind aber alle gefordert, sich der „neuen Normalität“anzupassen. Auch die Politiker. Ihre Aufgabe ist, dass dieses Land angesichts neuer Herausforderungen handlungsfähig bleibt. Was im Herbst kommen kann, weiß ja jeder. Die Gesundheitsgesetze zu reformieren, wäre ein wichtiger Schritt, um auf demokratischer Basis die Bevölkerung im Fall einer Epidemie schützen zu können – andernfalls können wir gleich den Chef-Epidemiologen Fernando Simón zum Expertokraten Spaniens machen.