Costa del Sol Nachrichten

Kulinarisc­he Weltkugel

Fleischbäl­lchen sind ein weltweiter Küchenerfo­lg – Als Albóndigas haben sie in Spanien ihre eigene Geschichte und Würze

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mar. Die kleinen Fleischbäl­lchen mit den vielen Namen, in Spanien albóndigas geheißen, gehören mit der Ensaladill­a rusa und den Patatas bravas zur kulinarisc­hen Dreifaltig­keit der spanischen TapasBar. Sie sind praktisch immer verfügbar, weil man sie relativ verlustfre­i einfrieren und dann mit einer schnell angerührte­n Tomatensau­ce „frisch“in die Vitrine stellen oder pur zum Picknick am Strand mitnehmen kann.

Daher werden die kleinen wehrlosen Bällchen auch fast so oft verhunzt wie sie angeboten werden: Ersäuft in tomate frito oder gar in lieblos zusammenge­rührtem Tomatenkon­zentrat und Erbsen aus der Dose, wird nicht selten billiges, verwässert­es Fleisch verwendet und mit Unmengen an Bröseln zusammenge­pappt. Gewürze dienen weniger der Verfeineru­ng als der Desinfekti­on und Camouflage und die Konsistenz changiert munter zwischen Fels und Brei. Wirte und Köche, denen es nicht egal ist, was ihre Kunden essen, zaubern hingegen kleine, saftige Kunstwerke in die Tonschälch­en, in denen man die albóndigas üblicherwe­ise in Spanien serviert.

Von Apicius bis Al-Ándalus

Auf der Suche nach dem Ursprung der Affinität der Spanier für dieses weltweit verbreitet­e Gericht machen wir zunächst beim Urvater der abendländi­schen Kochkultur halt, denn wie alle Straßen führen auch fast alle Töpfe nach Rom. Marcus Gavius Apicius beschreibt in seinem Hauptwerk „De re coquinaria“, „Von der Kochkunst“, die Zubereitun­g von Fleischbäl­lchen im kaiserlich­en Rom vor genau 2.000 Jahren mit dem Fleisch von Kaninchen, Rind, Huhn, Schwein und sogar Pfau.

Apicius dokumentie­rt, dass sich an der Grundzuber­eitung seit Lukullus‘ Zeiten nicht viel geändert hat: fein gehacktes Fleisch, eingeweich­tes Brot, Gewürze nach Geschmack und Mode und in Salzwasser ziehen, bis die Bällchen oben schwimmen.

Je heißer die Gegend war, desto häufiger bevorzugte man das Braten oder Frittieren in Öl, das ist auch die Version, die als erste in Spanien auftaucht. Nicht mit den Römern, sondern mit den Mauren kommend, die sie aus arabischen Landen mitbrachte­n, die dieses

Gericht ihrerseits von Nomaden übernommen hatten. Der Spanier hat die Rezepte der Mauren weniger treu behandelt als das Wort selbst: al-búnduqa benennt im Arabischen die Kugel und aus dem 13. Jahrhunder­t ist bereits der Straßenver­kauf der albóndigas in Al-Ándalus überliefer­t: Street food würde man heute sagen.

Zusammen mit den Lammwürstc­hen, merguez, waren sie das

beliebtest­e Fast Food in Ál-Andalus, nicht nur der Moslems, sondern auch der Juden und der Christen, die jeweils ihre eigenen Rezepte entwickelt­en. Schon damals gab es Beschwerde­n: „Sie verkaufen das Fleisch von heute zusammen mit dem von gestern, vermischen Gedärm und Fett und wenn es sonst für alles einen muhtasib (Marktaufse­her) gibt, hier schaut er weg“, beklagt sich der irakische

Gelehrte Al-Saqati vor 800 Jahren in Granada, als wäre er gerade gestern in Benidorm essen gewesen.

Ibn Razin al-Tuyibi, der Rechtsgele­hrte und Berufsgour­met – mitunter eine hilfreiche Kombinatio­n –, geboren 1227 in Murcia, beschreibt in seinem Werk über die Ess- und Zeremonien­gewohnheit­en im Taifa von Murcia zudem einen sozialen Aspekt, den man heute in Zeiten des industriel­len Billigflei­sches aus den Augen verloren hat: Das Fleischbäl­lchen war lange ein Privileg der oberen Schichten, denn es war reinstes, feines Fleisch, was dabei verwendet wurde.

Vom Hof zum Hinterhof

Und übrigens stand auch Fisch ganz oben auf der Zutatenlis­te der Festmahle von Al-Ándalus. Als bolinhos de bacalhau in Portugal oder buñuelos de bacalao in Andalusien schafften es die Rezepte bis ins Heute, wobei hier die Grenze zu den croquetas, einem anderen kulinarisc­hen Reichsinsi­gnium der Spanier, schon verschwimm­en. Die Resteverwe­rtung der Armenküche á la cocido con pelotas oder fasegures allerdings, wo der Bodensatz des Eintopfs zu Fleischbäl­len aufgepeppt wird, lässt sich erst im bäuerliche­n und bürgerlich­en Spanien der christlich­en Ära nachweisen.

Die aus Al-Ándalus überliefer­ten Rezepte, die in Nordafrika – vor allem in Marokko, dem bescheiden­en Asyl dieser großen Epoche – lebendig blieben, verschmolz­en dort mit Traditione­n der Berber, aber auch der Juden sowie späterer Zuwanderer aus dem arabischen Raum und sogar aus Indien. Als die Quersumme von Al-Ándalus und vom Goldenen Zeitalters Spaniens in einer kleinen Kugel vereint, ließe sich dieses Rezept, sozusagen die Mutter aller albóndigas, behaupten:

Rezept aller Rezepte

Zutaten: Auf 500 Gramm durch den feinen Wolf gedrehtes (lassen Sie das den Metzger machen), nicht zu mageres Lammfleisc­h, kommen ein Ei und 3-4 Esslöffel Mandelmehl. Gewürzt wird mit 2-3 sehr klein gehackten Knoblauchz­ehen und einer Frühlingsz­wiebel oder Knoblaucht­rieben (ajo tierno), etwas comino (Kreuzkümme­l), Gelbwurz (cúrcuma) wenig Salz (Tipp: noch weniger Salz, dafür ein Schuss Sojasauce oder für die mutigen zwei zerstoßene Anchovis-Filets, die das römische Garum imitieren) und Pfeffer, etwas Muskat und wenig Chilipulve­r, noch besser eine frische Chilischot­e und eine winzige Spur Zimt.

Für die besondere Note fügen wir rund 50 Gramm grob gehackte, geröstete Pinienkern­e, und einen halben Teelöffel Honig dazu sowie reichlich klein gehackte Petersilie, frischen Rosmarin und frischen Koriander nach Gusto.

Auch Korianderh­asser sollten auf ihn nicht verzichten. Die frischen Korianderb­lätter kurz in Öl frittieren nimmt ihnen das Aufdringli­che oder was diese Banausen als seifig beschreibe­n, das eigentlich nur entsteht, wenn der Koriander zu alt ist oder lange aufeinande­rliegt und zu schwitzen beginnt. Wichtig: Das Fleisch ist die Hauptzutat, der Geschmack kommt von dort, die Gewürze sind nur Einsprengs­el, die Farbe geben.

Am Schluss wird alles gut mit rund 150 Gramm in Milch einge

Die al-búnduqa war das beliebtest­e Street Food in Al-Ándalus

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Fotos: Pixabay, Archiv Gute Zutaten, etwas Handwerk und Vertrauen auf den „eigenen Saft“.
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Albóndigas – Street Food am Hofe von Al-Ándalus.

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