Fabriken dicht
Japanischer Hersteller schließt Werk in Barcelona – Für Spaniens Autoindustrie steht viel auf dem Spiel
Herber Schlag für Spaniens Industriesektor: Automobilhersteller Nissan kündigt die Schließung seines Werks in Barcelona an. Rund 3.000 Mitarbeiter verlieren ihren Job. Zudem gibt der US-amerikanische Aluminiumkonzern Alcoa die Entlassung von über 500 Angestellten in Galicien bekannt.
Madrid/Barcelona – tl. Seit der japanische Automobilhersteller Nissan seinen Abschied aus Barcelona angekündigt hat, ist die Regierung aufgeschreckt. Zumal weitere Nachrichten aus der Fahrzeugbranche ebenfalls für Unruhe sorgen. Befindet sich doch die Autoindustrie weltweit in einer Absatzkrise und einem TechnologieZwiespalt mit dem sich anbahnenden Ende des Verbrennungsmotors. Es steht viel auf dem Spiel.
Mit einem zehnprozentigen Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) und knapp 230.000 Arbeitsplätzen ist die Fahrzeugindustrie nach dem Tourismus der zweitwichtigste Wirtschaftszweig. Zwei Krisenschwerpunkte dieser Größenordnung zeitgleich wären für die Regierung eine Katastrophe.
Spanien ist nach Deutschland der zweitgrößte Fahrzeughersteller in Europa. Auch wenn Nissan jetzt wegfällt. Renault produziert in Valladolid und Palencia, Seat in Martorell bei Barcelona und Volkswagen in Pamplona. Die PSA-Gruppe unterhält Fabriken in Vigo, Madrid und Zaragoza. Iveco baut Lastwagen in Madrid und Valladolid, Mercedes produziert im baskischen Vitoria. Und Ford betreibt eine wichtige Produktionsstätte in Valencia.
Die Ankündigung von Nissan, sein Werk in der Freihandelszone in Barcelona zu schließen und damit 3.000 Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, erfolgt indes weniger aus dem Grund, dass die Produktionsstätte unrentabel geworden wäre. Vielmehr handelt es sich angesichts der aktuellen Lage um eine strategische Entscheidung der Herstellerallianz aus Nissan, Mitsubishi und Renault. Der Markt in Europa soll den Franzosen überlassen werden. Die anderen beiden Hersteller wollen sich auf die Märkte in Asien und Amerika konzentrieren. Dass von
Renault kriselt erheblich und plant Entlassungen in Frankreich
der Schließung in Barcelona auch rund 20.000 indirekte Arbeitsplätze betroffen sind, verschlimmert die Lage zusätzlich.
Doch Renault kriselt erheblich und ist nicht erst mit der CoronaKrise wirtschaftlich unter Druck geraten. Gerade erst erhielt der Hersteller einen Fünf-MilliardenStaatskredit, um seine Liquiditätsprobleme zu lösen. Trotz der Regierungshilfe plant Renault aber 4.600 Entlassungen in Frankreich und 10.000 in anderen Standorten weltweit. Spanien ist nach Frankreich zweitwichtigster Produktionsstandort für Renault. In guten
Zeiten verließen 500.000 Fahrzeuge jährlich die Bänder. Insgesamt beschäftigt Renault in Spanien 11.000 Mitarbeiter. Zwar verkündete Renault-Chefin Clotilde Delos: „Wir reduzieren unsere Produktionskapazität in Spanien nicht.“Der Fall Nissan zeigt aber, was solche Aussagen aus den Chefetagen der Autoindustrie wert sind. Es offenbart sich das Problem der Autoindustrie: Bedeutende Entscheidungen werden eben in Wolfsburg, Paris oder Boulogne-Billancour getroffen, nicht in Spanien.
Der Generalsekretär für Industrie und mittelständische Betriebe, Raúl Blanco hatte Nissan vorgerechnet, dass es billiger käme, zu investieren als zu schließen. Die Produktionsstätten zu demontieren werde Nissan gut 1,2 Milliarden Euro kosten. An Abfindungen für die zu entlassenden Mitarbeiter seien rund 600 Millionen Euro fällig.
Derweil arbeitet die Regierung längst an Plänen, um der Autoindustrie zu helfen. Wie Finanzministerin und Regierungssprecherin María Jesús Montero informierte, gehe es dabei um „eine spezifische Strategie, die den zukünftigen Herausforderungen des Sektors und den Grundsätzen des Verbrauchs Rechnung tragen“. Details werde man in Bälde bekanntgeben. Die Fahrzeugbranche, so Montero weiter, „wird unsere Priorität genießen“.
Europa sollte das genauso sehen und seine Politik entsprechend ausrichten.
Die Dachverbände der Hersteller, Händler und Zulieferer erinnerten an ihren im April präsentierten Plan zur Belebung der Nachfrage. 400 Millionen Euro werden dafür gewünscht. Ohne Bedingungen will die Regierung den Plan aber nicht durchwinken. Schon jetzt in der Corona-Krise steht man der Autobranche bei. Für 3,2 Milliarden Euro an Liquiditätshilfen bürgt das Staatliche Kreditinstitut (ICO). 40.000 Beschäftigte befinden sich zudem in Kurzarbeit.
100 Jahre Automobilgeschichte
Mit der Schließung der Nissan-Fabrik geht eine 100-jährige Automobil-Geschichte zu Ende. 1920 expandierte der US-Hersteller Ford nach Europa und gründete in Cádiz die Ford Motor Company. Bereits drei Jahre später siedelte das Unternehmen nach Barcelona über und änderte 1929 seinen Namen in Ford Motor Ibérica. 1954 erfolgte die Verstaatlichung und Umbenennung in Motor Ibérica. 1967 wurde eine neue Fabrik in der Freihandelszone eröffnet. 13 Jahr später übernahm Nissan erste Anteile an der Firma, was später dann in eine vollständige Übernahme mündete. Fortan hieß das Unternehmen Nissan Motor Ibérica.