Sorge im Gepäck
Neue Normalität an der Costa del Sol – Sars-Cov-2-Rückfälle in Spanien
Die neue Normalität nimmt in Spanien Gestalt an. Die Urlaubsorte an der Costa del Sol füllen sich täglich mehr. Der erste Schwung Touristen stammte vorwiegend aus der Region, reizte aber dennoch an einigen Stränden die wegen des Coronavirus eingeschränkten Kapazitäten aus. Die in Kraft getretene Reise- und die Bewegungsfreiheit in ganz Spanien dürfte sich erst ab kommendem Wochenende an der Küste so richtig bemerkbar machen. Vorsicht bleibt geboten, denn das Coronavirus ist nicht verschwunden. Die Epidemie hat in Agrarbetrieben, Schlachthöfen, Seniorenresidenzen und Gesundheitszentren zurückgeschlagen. Als sicheres Urlaubsland gilt Spanien dennoch.
Finestrat – sk. Die neue Normalität breitet sich seit Sonntag in Spanien aus. Die Urlaubsorte an der Costa del Sol, der Costa Cálida und der Costa Blanca und ihre Strände und Buchten füllen sich täglich mehr. Der erste Schwung Touristen vergangenes Wochenende stammte meistens noch aus der Region. So dehnten vor allem Valencianer an den Stränden Dénias oder Culleras das Gebot des Mindestabstands bis an die Toleranzgrenze aus und sorgten abends für Staus. Wochenendurlauber und Familien sah man auch an den Stränden von La Manga oder am Cabo de Palos, die Stadtregierung in Águilas berichtet von Residenten aus Almería und Granada, die ihre Zweitwohnungen im murcianianischen Badeort aufsuchten. Die in Kraft getretene Reisefreiheit und die Bewegungsfreiheit in ganz Spanien dürfte sich erst ab kommendem Wochenende an der Küste so richtig bemerkbar machen.
Die längste Nacht des Jahres brachte viele Spanier vom Dienstag auf Mittwoch erstmal auf den Boden der Tatsachen zurück. Der traditionelle Wellen-Hopser in der Brandung scheiterte in der SanJuan-Nacht, weil die Gemeinden die Strände wegen der Coronavirus-Gefahr gesperrt hatten. Nur wenige Rathäuser machten Ausnahmen, wie etwa Jávea, wo kleine Grüppchen zumindest zu Abend essen durften.
Am nächsten Morgen berichteten Radio und Zeitungen über Feuerwehreinsätze wegen zahlreicher Lagerfeuer, die nicht an den Stränden, sondern anderswo gezündet wurden. Ein Intelligenzbolzen in Katalonien laut Berichten der Feuerwehr angeblich sogar im eigenen Haus. Ferner berichteten Meteorologen, dass die längste Nacht des Jahres faktisch bereits am 21. Juni stattfand und damit also mit dem Eintritt in die neue Normalität zusammenfiel. Ein harter Schlag für eine so magische Nacht wie San Juan, vor allem in Alicante.
Und das Coronavirus? Es ist natürlich nicht verschwunden. Die aktuell 36 und bisher zwölf kontrollierten Ausbrüche fanden meist im Umfeld der Feld- und Zeitarbeiter, der Lebensmittelindustrie sowie der Gesundheitszentren und Seniorenresidenzen statt. Sorgen machen sich Experten um eine weitere Gruppe, nämlich die der Jugendlichen von 15 bis 25 Jahren. Von denen stecken noch rund 40.000 im Prüfungsstress für die Aufnahme in die Hochschule. Mit dem Ende der Prüfungen um den 10. Juli kommt meist Feierlaune auf. Auf Präventionsmaßnahmen gegen das Coronavirus wie der Mindestabstand oder das Tragen von Atemschutzmasken achten viele in ihrem jugendlichen Leichtsinn dann nicht mehr so genau. Von jungen Menschen könnte mit die größte Gefahr für einen zweiten Ausbruch der Corona-Epidemie Ende Juli ausgehen, befürchten Experten.
Derweil pochen touristische Gebiete wie etwa die Costa del Sol darauf, sich kurz- und mittelfristig als sichere Urlaubsziele zu präsentieren und auf Digitalisierung zu setzen. Das soll gewissermaßen das Logo „Málaga, safe for you“suggerieren, das an Hygieneund Covid-19-Präventionspläne geknüpft ist.
San-Juan-Feste verlagern sich vom Strand in Peripherie
Sichere Urlaubsziele
Bürgermeister Francisco de la Torre hat wegen des Tourismus das Ziel Ansteckungsrate Null herausgegeben. „Málaga steht sehr gut da, besser als die Balearen, aber wir werden die Null erreichen“, sagte er. Málaga etwa setzt neben dem Strand- und Sonnentourismus auf Messen und auf eine Ankurbelung des Bausektors. Landesregierung, Provinz und Stadt schmieden an Plänen, um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen.
Die vollen Strände, bunten Sonnenschirme und das unbeschwerte Treiben können nicht darüber hinwegtäuschen, dass offiziellen Erhebungen zufolge fast 290 Malagueños an Covid-19 star
ben und über 2.850 daran erkrankten. Derzeit sind 190.000 Personen arbeitslos gemeldet, 50.000 mehr als vor einem Jahr. Über 7.000 Firmen weniger als im Mai 2019 sind jetzt in der Provinz aktiv, in der 27.000 Menschen während des Notstands die Hilfe des katholischen Hilfswerks Cáritas in Anspruch nehmen mussten, fast die Hälfte davon zum ersten Mal. Die Hilfsorganisation Oxfam warnte am Dienstag, dass die Pandemie 700.000 Spanier zusätzlich in die Armut treiben könnte, von der dann fast elf Millionen oder 23,1 Prozent der Bevölkerung betroffen sein könnten. Keine andere Region wird bald so von Armut und sozialen Ungleichheit betroffen sein wie Andalusien, so Oxfam.
Brennpunkt Fleischfabrik
Die soziale Not erhöht auch die Anfälligkeit für das Virus. Die Ausbrüche in Huesca siedeln die Gesundheitsbehörden im Umfeld der Abbruchsiedlungen der Agrarindustrie an, wo bis zu zehn Wanderarbeiter in Behausungen gepfercht werden, in denen keine drei leben sollten. Der jüngste Fall in Murcia mit 16 Infizierten in Fleischfabriken der Hauptstadt der Region sowie Cartagena hängen mit drei bolivianischen Einwanderern zusammen, wegen denen sich inzwischen 60 Menschen, die mit ihnen Kontakt hatten, in Quarantäne befinden.
Am Mittwoch meldete die Gewerkschaft CC.OO. einen weiteren Ausbruch in einer Fleischwarenfabrik in Rafelbunyol in Valencia mit sechs Infizierten. Dort verarbeiten 530 Angestellte Hühner- und Kaninchenfleisch. Das kommt der Region Valencia keineswegs gelegen, da sie sich mit niedrigen Zahlen als Urlaubsziel profilieren möchte und in der vergangenen Woche nur 39 neue Covid-19-Fälle in ihren 542 Orten zu vermelden hatte. Den Ausbruch in Rafelbunyol hatte das Gesundheitsministerium bei Redaktionsschluss noch gar nicht erfasst.
An der Costa Blanca hat man seit 21. Juni nur in Alicante, Novelda, Alcoy, El Campello, Benidorm, Elda und Elche neue Fälle erfasst, in Torrevieja verstarb in der vergangenen Woche ein Patient an Covid-19.
Madrid sieht derweil weder „kurz- noch mittelfristig“einen Grund, die Zügel in die Hand zu nehmen und abermals ein Notstandsdekret zu verhängen. Selbst die harschen Rückschläge in der Region Aragón, wo wegen eines Ausbruchs unter derzeit bereits 89 Feldarbeitern vier Landkreise wieder aus der neuen Normalität zurück in die Phase 2 des Deeskalationplans gestuft worden, ändern an der Haltung nichts. Man verfüge über die Mittel, die Ausbrüche lokal zu begrenzen und zu kontrollieren. „Die Evolution des Virus verläuft wie vorgesehen“, sagte Regierungssprecherin María Jesús Montero im Anschluss an die Kabinettssitzung vom Dienstag.
Unweit von Huesca, dem Zentrum des größten Ausbruchs, hat die Pandemie 18 Bewohner einer Seniorenresidenz in der katalanischen Lérida erfasst. Dort machten die Gesundheitsexperten bisher die Beobachtung, dass das Coronavirus nicht mehr ganz so grausam wütet wie im März. „Wir wissen nicht, ob die Trockenheit oder die Temperatur uns zugute kommen und das Virus sich weniger verbreitet oder nicht mehr so aggressiv verhält. Wir wissen auch nicht, ob es einen Einfluss auf die Wucht des Virus hat, dass wir die Schutzanzüge besser nutzen, die Gesellschaft den Mindestabstand einhält und eine Maske trägt. Falls es aber wieder losgehen sollte, wird die Situation eine ganz andere sein, auch, weil wir viel früher wissen, dass das Virus zirkuliert und beim geringsten Symptom testen können“, sagte Antoni Trilla, Virologe von Universität Barcelona. Mathematiker haben inzwischen herausgefunden, dass Händewaschen, Sicherheitsabstand und Atemschutzmasken das Ansteckungsrisiko um 50 Prozent reduzieren können.
Relativ hoch dürfte dieses Risiko vergangenes Wochenende an einigen Stränden der Costa Blanca gewesen sein. Sonnenschirm reihte sich an Sonnenschirm. Zeitungen berichteten von einer „systematischen Verletzung des Mindestabstands“. Unter der Woche bot sich dann bereits ein anderes Bild. So viele Touristen sind am ersten Wochenende dann doch gar nicht gekommen, vielmehr handelte es sich um eine erste Welle von Kurzurlaubern, die über die Strände hereinbrach. Trotzdem beschränkt Dénia den Zugang zur Cova Tallada. Nur nach Anmeldung und mit Maske darf die Höhle besucht werden. Jávea will gegen das Parkchaos in den Buchten einschreiten und die Granadella, Portitxol und Ambolo für Privatfahrzeuge sperren. Calp kündigte den Einsatz von Sicherheitspersonal an belebten Stränden wie der Playa de la Fossa an. Überall bemühen sich die Städte, den Urlaubern ein Gefühl von Sicherheit und Ordnung zu vermitteln.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat bei seinem Besuch in Valencia am Dienstag Spanien als sicheres Reiseziel ausgewiesen. Als eines der Kriterien für ein sicheres Ziel führte er die Bereitschaft Spaniens auf, bei einer Rate von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern zu intervenieren.
Maas hält Spanien für sicher
Derzeit verzeichnet das spanische Gesundheitsministerium 3,8 Fälle in dieser Erhebungskategorie, was sich in insgesamt 1.787 mittels PCR-Test erfassten Neuansteckungen in den vergangenen sieben Tagen im ganzen Land niederschlägt.
Den jüngsten Zahlen zufolge zählte das Gesundheitsministerium 246.752 Sars-Cov-2-Infizierte. Demnach verstarben bis 23. Juni 28.325 Menschen an Covid-19 und 150.376 konnten inzwischen gesundgeschrieben werden. Andalusien verzeichnete derweil 0,71 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner und 60 insgesamt binnen sieben Tagen. Derzeit gibt es dort 12.895 erfasste Covid-19-Fälle, Fälle und 1.426 Todesopfer.
Zeitungen berichteten von „systematischer Verletzung des Mindestabstands“