Liebe Leser,
wir leben nun seit fast einem halben Jahr mit dem Coronavirus. Trotzdem scheinen wir nichts über Sars-CoV-2 zu wissen. Was wir tagtäglich über das Biest erfahren, vergessen wir oft gleich wieder oder schlagen es in den
Wind. Wie sonst kann man sich die Szenen am Ballermann oder bei Aufstiegsfeten von
Sportvereinen erklären? Wir schalten auf
Durchzug, weil wir es aufgegeben haben, jeder Neuigkeit hinterher zu rennen, ohne auch nur die Chance zu bekommen, sie zu verarbeiten. Also schlucken wir fast alles, was wir über Corona vorgesetzt bekommen. Das ist falsch und gefährlich.
Nun wissen wir, dass die Weltgesundheitsorganisation und die spanische Regierung uns im März über den Sinn und Zweck der Atemschutzmasken belogen hat, als sie sagten, dass nur medizinisches Personal diesen Schutz benötigt. Das sei ihnen verziehen. Kaum jemand hat wohl vergessen, unter welchen Bedingungen die Ärzte und Pfleger zu Hochzeiten der Pandemie arbeiteten und wie knapp die Ressourcen bemessen waren. Nun kennen wir grob die Übertragungswege des Coronavirus und tragen die Schutzmasken, wenn wir uns anderen Menschen nähern. Eine sinnvolle Schutzmaßnahme, wenn die Atemschutzmaske sachgerecht benutzt und zusätzlich auf Hygienemaßnahmen und Mindestabstand geachtet wird. Am Sinn der allgemeinen Maskenpflicht melde ich Zweifel an. Eine Bevölkerung bei hochsommerlichen Temperaturen, sei es nun in Murcia oder Andalusien, dazu zu verdonnern, immer und überall im öffentlichen Raum mit einer Atemschutzmaske herumzulaufen, erscheint mir – gelinde gesagt – eine Zumutung und Bevormundung.
Während der Krise hat mir der valencianische Ministerpräsident Ximo Puig imponiert. Nie vermittelte er den Eindruck, überhastet zu handeln. Auch wenn er, obwohl er sich mehr Zeit als andere nahm, mit seinen Einschätzungen auch mal daneben lag. Nie schien er diese Souveränität einem blinden Aktionismus opfern zu wollen. Diesen nämlich vermitteln die jüngsten Entscheidungen zur allgemeinen Maskenpflicht auf den Balearen, in Murcia, in Andalusien. Dort, wo man nur vereinzelt Ausbrüche verzeichnet, muss die Bevölkerung wegen des Aktionismus ihrer Politiker, einem touristischen Kalkül und vielleicht dem unverantwortlichen Verhalten einiger überall in der Öffentlichkeit mit einer Maske herumlaufen. Die andalusische Landesregierung gibt unumwunden zu, dass es sich dabei auch um eine Art pädagogische Maßnahme handelt, damit die Bürger die Corona-Pandemie weiterhin ernst nehmen. Offensichtlich hält nicht nur das Volk seine Politiker bisweilen für minderbemittelt, sondern auch die Politiker das Volk. Wir setzen uns die Atemschutzmaske vor unsere Nase und vor unseren Mund und man spricht uns jede Entscheidung darüber ab, die Notwendigkeit in der jeweiligen Situation selbst einzuschätzen. Diese Maßnahme auch noch mit einem Appell an das Verantwortungsbewusstsein der Bürger zu verkaufen, grenzt an Volksverdummung.