Vor zweiter Welle
Coronavirus-Ausbrüche nehmen zu – Aragón und Katalonien im Fokus
Vier Wochen neue Normalität und schon soll die neue Unbeschwertheit zum Abschuss freistehen? Mit über 200 Infektionsherden steuert Spanien auf Werte wie Anfang März zu. Vergleichen kann man die Situation nur bedingt, zumal die Lage in den Krankenhäusern noch entspannt ist. Vorsicht ist dennoch geboten. Entscheidend dürfte sein, ob Katalonien und Aragón die Lage unter Kontrolle bringen und die Regierung
nach dem Erfolg beim EUGipfel sich wieder der Pandemie annimmt. Die Sorgen der Experten richten sich auf den Herbst, wenn Corona und Grippe zusammentreffen könnten.
Madrid – sk/mar. Vier Wochen neue Normalität und schon soll die neue Unbeschwertheit zum Abschuss freistehen? Das Gesundheitsministerium hat am Wochenende rund 4.600 neue Sars-CoV-2Infektionen verzeichnet. Mit über 200 Infektionsherden steuert Spanien auf ähnliche Werte wie Anfang März zu, kurz bevor alles zusammenbrach. Auch Werte, die ein Ausmaß der Infektionen widerspiegeln, das ohne Einschränkungen von Kontakten und Bewegungsfreiheit sicherlich schwer einzugrenzen ist. Der im März ausgerufene Notstand lag nicht nur in der Zahl der Ansteckungen begründet, sondern in der berechtigten Furcht vor einer Überlastung der Krankenhäuser. Davon kann bei 268-Covid-19-Patienten in einer Woche keine Rede mehr sein.
Einen zweiten Lockdown kann sich Spanien nicht leisten, weder gesundheitlich, noch wirtschaftlich, noch moralisch. Es spricht Bände, wie viele Leute aus Barcelona auf die Appelle der Politiker reagierten, das Haus nur für das Nötigste zu verlassen: Sie packten ihre Sachen und fuhren aufs Land oder an den Strand. Auch eine Schließung der Grenzen zu Frankreich ist derzeit kein Thema. Was dem Land aber fehlt, ist eine einheitliche Handlungsanweisung. Eine Regierung, die in der neuen Normalität die Fäden bei der Bekämpfung der Epidemie zumindest im Hintergrund in Händen behält.
Mit dem Argument, die Gesundheitspolitik fällt in die Hoheit der Regionen, macht es sich Madrid leicht. Was ist aus den legislativen Schritten geworden, die man einleiten wollte, um im Falle einer Pandemie agieren zu können? Etwa mit einem Notstand light, der eine zentrale Steuerung der Entwicklung ermöglicht, damit man punktuell, effizient und konsequent durchgreifen kann. Aragón scheint die Lage allein unter Kontrolle zu bringen, aber ob das gut war, Katalonien so schalten und walten zu lassen?
Die allgemeine Maskenpflicht gilt inzwischen in nahezu allen Regionen. Wer sich draußen oder drinnen in einem öffentlichen Raum aufhält, muss eine Atemschutzmaske tragen. Dieses Gebot gilt sowohl in Valencia als auch in Murcia und in Andalusien. Nichtsdestotrotz brechen regelmäßig immer wieder neue Infektionsherde aus, zuletzt in Gandía, in Santa Pola, auch in Torrevieja, in Atalayas in Murcia und auch in Andalusien, vorwiegend in den küstennahen Levantegebieten von Almería, Granada und Málaga. Derzeit spricht man in Andalusien von 20 aktiven Infektionsherden und genauso vielen in Valencia.
Viele Ausbrüche hängen mit dem Nachtleben zusammen. Das sieht man an der Ausbreitung des Virus unter der Bevölkerungsgruppe der 20- bis 40-Jährigen, die sich keine allzu großen Sorgen zu machen scheinen, Abstand zu halten, Berührungen zu vermeiden oder sich eine Maske aufzusetzen und die Hände zu desinfizieren.
Die Region Valencia hat sich am Ballermann-Stopp auf Mallorca
ein Beispiel genommen und dem Nachtleben im CoronavirusHotspot Gandía den Stecker gezogen. Im Urlaubsmagneten für spanische Familien dürfen keine Pubs und Diskotheken mehr öffnen. Gesundheitsministerin Ana Barceló wollte die Bevölkerung an all das erinnern, „was wir durchmachen mussten, und was das Personal in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen leisten musste. Uns steht noch ein langer Weg bis zu einem Impfstoff bevor. Ich appelliere an das Verantwortungsgefühl eines jeden Einzelnen.“
Appelle wecken das spanische Verantwortungsgefühl scheinbar nicht so gut wie Gebote. Der Nachbarkreis der Marina Alta fürchtet, dass die feierlustige Jugend Gandías die Anfahrt nach Dénia nicht scheut. Bürgermeister Vicent Grimalt erwägt daher, alle Nachtlokale in der Kreisstadt zu schließen. Dabei hat der Gesundheitsbezirk Marina Alta zuletzt keine Neuinfizierten verzeichnet.
Die Maßnahmen mögen Touristen in Sicherheit wiegen. Meldungen von Lokalschließungen können erst verständlich erscheinen, eine Häufung könnte aber auch die Angst vor einem Aufenthalt schüren. In der neuen Normalität muss man mit dem Virus leben – eine Gratwanderung.
Die Infektionen in den jungen Personengruppen sind schwer kontrollierbar. Der Anteil der asymptomatischen Virusträger liegt bei 70 Prozent. Viele verbreiten das Coronavirus unbewusst. „Wir stellen seit drei Wochen eine aufsteigende Tendenz bei den Neuinfektionen fest, in dieser Zeit haben sich die Infektionszahlen verdreifacht“, sagte María José Sierra, Co-Direktorin des Sanitären Notfallzentrums. Spanien bräuchte dreimal mehr Coronavirus-Agenten, um die Kontakte der Neuinfizierten verfolgen, die Ausbrüche erfassen und eingrenzen zu können. Passiert das nicht schnell und wird nicht konsequent genug getestet, münden Infektionsherde in eine allgemeine Ausbreitung. Einheitliche Reaktionen auf die stetig wachsenden Infektionen gibt es nicht. Betroffene Gebiete in Aragón kehrten in Phase zwei des Deeskalationsplans zurück. Die katalanische Landesregierung stellte einen Landkreis in Lérida teilweise unter Quarantäne und „bittet“die Menschen, zu Hause zu bleiben.
Appelle an Verantwortungsgefühl der Bürger statt Gesetze
Keine Quarantäne
Ähnlich sieht es in den beiden anderen Hotspots in Katalonien aus: Hospitalet de Llobregat und mehrere Bezirke von Barcelona. Man appellierte an die Vernunft der Menschen. Im Hochsommer. Eine häusliche Quarantäne für Menschen, die nicht Infizierte sind, fällt nicht in die Hoheit der Regionen. Gesundheitsminister Minister Salvador Illa machen die Situationen in Katalonien und Aragón Sorgen. „Die Bevölkerung muss die Vorsichtsmaßnahmen ausdehnen“. Also, auch er bittet nur.