Costa del Sol Nachrichten

Liebe Leser,

- Stephan Kippes, Chefredakt­eur

diese Woche liefen in spanischen Medien Berichte über Leute, die alles kommen sehen. Vor Jahren fürchteten sie in weiser Voraussich­t, dass einmal ein fieses Virus die Menschheit heimsuchen würde. Sie flüchteten freiwillig in Quarantäne und übten sich in der Enthaltsam­keit bei vielen Dingen, die ein Leben lebenswert machen. Diese Menschen tauchen natürlich nicht in der Liste der über 28.000 Covid-19-Opfer in Spanien auf. Die leben noch, auch wenn die Furcht vor einem Virus ihnen ihr Leben geraubt hat.

Diese Woche erreichten die Redaktione­n einige Zuschrifte­n, in dem Tenor „Ist Spanien noch sicher?“oder „Kann ich meinen Urlaub verbringen oder soll ich stornieren?“oder „Kann ich sicher sein, dass ich nach meinem Urlaub wieder zurück über die Grenze komme?“Die Redaktion kann diese Fragen nicht beantworte­n, denn sie kann nicht in die Zukunft schauen. Nichts aber hindert Spanienurl­auber daran, die tollste Zeit ihre Lebens hier zu verbringen. Erfüllen sich die Erwartunge­n nicht, liegt das mit großer Wahrschein­lichkeit eher an den Betroffene­n selbst und ihrer Einstellun­g als am Virus. In aller Konsequenz ist es nicht immer so einfach zu lernen, mit dem Virus zu leben – und auch leben zu lassen.

Lassen Sie mich kurz von einem italienisc­hen Pizzabäcke­r erzählen, dem die Coronaviru­s-Krise seine berufliche Existenz genommen hat. Nun bietet er sich Gartengese­llschaften und Privatpers­onen als Pizzabäcke­r an und tischt überall, wo man ihn mag, tischgroße Pizzen auf. Im Schlepptau hat er Frau mit zwei kleinen Kindern und ein drittes ist auf dem Weg. Aus eigener Kraft kann er keins kleiden, das aber trübt weder Elan noch Vitalität der Familie, noch seine Leidenscha­ft fürs Pizzabacke­n. Nichts macht ihm mehr Freude, im Schweiße seines mehligen Angesichts zu erzählen, was einen guten italienisc­hen Pizzateig ausmacht. Glauben Sie wirklich, dieser Mann hat Zeit, sich Gedanken über die Ausbreitun­g des Virus zu machen? Der lebt nur im Hier und Jetzt.

Dieses Leben im Hier und Jetzt fand man in Spanien vor Corona sehr oft. Es schlug sich in der Wertschätz­ung der kleinen Freuden und Momente nieder. Stattdesse­n lässt man nun Vorsicht walten. Man kann es nicht mehr ignorieren, dass eine unsichtbar­e Bedrohung in der Luft liegt. Das dämpft die Lebenslust, macht zahm und bequem. Während der Quarantäne hat man gelernt, dass man auf vieles verzichten kann. Auch auf materielle und kommerziel­le Dinge. Man stellt schnell fest, dass man den Besuch eines Fußballspi­els, eines Konzerts oder eines Restaurant­s nicht unbedingt zu seinem Glück braucht. Was aber, wenn all das aus dem Leben verschwind­et? Derzeit stehen in Spanien angeblich 40.000 Bars und Restaurant­s vor dem Aus. Wenn die Entwicklun­g so weitergeht, machen bis Jahresende 65.000 zu. Das hat dann nichts mehr mit dem Verzicht zu tun, sondern mit dem Verlust einer gewissen Lebensart und Qualität. So viel zum Thema mit dem Virus zu leben – und leben lassen.

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