Schmackhafte Mörderfrucht
Die Aubergine fand über Spanien ihren Weg nach Europa, diente als Fleischersatz und ist im Kommen
mar. Sie hat einen langen Weg hinter sich und auf dem ergaben sich einige Missverständnisse. Die Aubergine, auch Eierfrucht, Melanzane, wissenschaftlich: Solanum melongena, ist heute eines der Synonyme der Mittelmeerküche. Doch sie stammt aus Südostasien, wo sie bereits vor fast 4.000 Jahren angebaut worden sein soll, wie forensische Spuren bei Ausgrabungen in Birma und China ergaben. Ihr heutiger Name stammt aus dem Persischen, die Araber übernahmen ihn als bâdhinjân, im europäischen Sprachraum tauchte sie erstmals im Katalanischen als alberginia auf, immer ist die Übersetzung Eierfrucht.
Das ist ein Hinweis. Denn interessanterweise wird die keulenartige Frucht des eigentlich subtropischen Strauchgewächses in keinem der klassischen Gastronomie-Texte des Altertums, weder in Griechenland, noch in Rom erwähnt. Ihren Weg nach Europa fand sie über Al-Ándalus. Die Mauren brachten sie über Nordafrika mit auf die iberische Halbinsel, wo sie ebenso Fuß fasste wie alsbald in Italien. Allerdings mit Hindernissen. Während die Mauren sie nachgewiesenermaßen ab dem zehnten Jahrhundert als universell einsetzbares Gemüse nutzten, ist von dem Chronisten Alonso Herrera in seinem Werk „Agricultura General“1513 keine gute Meinung überliefert. Die Frucht würde Krankheiten verursachen wie schwere Melancholie, ja mehr noch: „Sie wurde von den Mauren von Afrika auf unsere Halbinsel eingeführt, um uns Christen damit umzubringen.“Die Araber konnten über so viel Unwissenheit nur müde lächeln, die Christen hatten offenbar nur keine Ahnung, wie man die Aubergine zubereitet.
Interreligiöser Fleischersatz
Tatsächlich ist es so, dass sie roh gegessen nicht nur bitter schmeckt, sondern sogar leicht toxisch wirkt, ja sogar Nikotin enthält, bis zu 100 Milligramm auf das Kilo. In syrischen, ägyptischen und irakischen Aufzeichnungen hingegen finden sich schon Jahrhunderte vor dem christlichen Urteil viele Rezepte und Anwendungen, hätten die Reconquistatoren die ihnen zugefallenen Bücher doch besser gelesen als geächtet oder verbrannt. Der Schriftgelehrte Ibn Razin Al-Tugibi, geboren in Murcia 1227, schuf die erste schriftliche europäische Überlieferung der Aubergine, er adelt sie als die „pflanzliche Königin der islamisch-arabischen Kochkunst“.
Die Sefardí, also die jüdischen Spanier, hatten weniger Berührungsängste mit dem jungen Gemüse und ihre Frauen rühmten sich „fünfzig verschiedene Arten der Zubereitung zu kennen, bevor wir heiraten“. Zwar ist überliefert, dass die liberaleren spanischen Moslems sowohl Wein tranken als zuweilen auch Schweinefleisch aßen, in allen drei Religionen diente die Aubergine jedoch auch als Fleischersatz, in Zeiten der Not, des Verbots oder des Fastens.
Heute noch bekannt ist die „Morcilla de guerra“, die KriegsBlutwurst, die erfindungsreich im
Spanischen Bürgerkrieg Not linderte und Textur und Geschmack von Fleisch simulierte. Doch auch sie ist keine christliche Erfindung, denn ihr eigentliches Rezept mit Safran, Kreuzkümmel, Muskat und auch Orégano ist genuin arabisch, lediglich anstelle der postkolumbischen Paprika nutzte man Sumach. Das Rezept feiert heute unter Veganern eine regelrechte Renaissance. Die Aubergine hat in Spanien von Oktober bis April Saison, leider dominieren auch auf Märkten immer mehr die genormten Treibhausfrüchte. Die Standardvarietät ist die keulenförmige mit dunkler lila Haut, innen weiß bis gelblich, doch auch grüne, knallgelbe sogar weiße Varianten gibt es.