Von Adlerfisch und Tigermilch
Festmahl für Puristen – Ceviche: Ein Klassiker der peruanischen Küche wird in Europa heimisch
mar. Moden kommen und gehen. Das ist ja ihr Zweck. Doch der Ceviche hat das Potential zu bleiben. Dabei ist das Gericht aus pikantsäuerlich mariniertem Fisch eigentlich längst ein Klassiker. Allerdings im fernen Peru, wo er sozusagen das Steckenpferd einer Küche ist, die in den letzten Jahren immer größere Wertschätzung in Europa erfährt. Freilich ist da auch wieder einiges an Hype dabei, der von beflissenen Vermarktern angetrieben wird, die uns die Andenund Regenwaldküche mit ihren Körnern, Wurzeln und Säften verkaufen, als würden wir ohne diese „Superfoods“morgen ausgelaugt verenden.
Ceviche aber ist ein gesundes Geschmackserlebnis ohne SchnickSchnack, ein Hochamt für den Puristen, das allerdings etwas Grundwissen und einige handwerkliche Kniffe braucht, um sicher und schmackhaft zu werden und nicht als ordinärer Fischsalat zu enden.
Dosierte Scharfmacher
„Scharf, frisch und lecker“sei der Ceviche und „in Peru ganz allgemein eine eigene Kultur“befinden unisono und von Berufs wegen Antonella Ruggiero Sansone und Omar Malpartida. Die eine ist Generaldirektorin der Ibero-amerikanischen Gastronomieakademie, der andere mit seinen Lokalen Luma und Astrolabius in Madrid und Maymanta auf Ibiza eine Kapazität der peruanischen Küche in Spanien. Doch „leider machen wir (aber auch die Wirte der Cevicherías) oft viel falsch“, so der Küchenchef, als er dem Internet-Blog „Wörterbuch der Gastronomie“, diccionariodegastronomia.com, „den perfekten Ceviche“diktiert.
Es fange schon damit an, dass viele den Fisch zu lange im Zitronen- oder Limettensaft marinieren. Er gart dann durch, was den feinen Fischgeschmack tötet, also die Essenz des Gerichtes.
Auch übertreiben es viele mit der Schärfe. Ein ordentlicher Bums muss schon rein, sonst wird es kein Ceviche, aber die in Peru dafür verwandten Chilisorten, die man in Europa kaum findet, werden hier häufig einfach durch irgendetwas ersetzt, das meist nur die Zunge abtötet. Wir haben lange probiert und befinden die langen roten Chilischoten als am besten geeignet. In die kann man ruhig mal reinbeißen, denn die Schärfe variiert ständig. Durch wegschneiden der weißen Adern und Kerne kann man den Brenngrad ganz gut regulieren.
Dann die Gretchenfrage. Welchen Fisch nimmt man für den Ceviche? Peru bedient sich aus dem Pazifik vorzugsweise beim mero, einem Zackenbarsch, oder einer etwas dickeren Seezunge, lenguado. In Europa eignet sich der fettärmere pescado blanco am besten, allen voran der vielfach übersehene corvina, Adlerfisch. Er ist mit bis zu zwei Metern einfach zu groß um supermarktfischthekentauglich zu sein, aber äußerst schmackhaft. Daher bleiben die meisten bei der Dorade oder dem Wolfsbarsch (lubina) hängen, auch wenn der fast immer aus Mastanlagen stammt. Außerdem ist Fisch aus dem Atlantik jenem aus dem Mittelmeer vorzuziehen, da sein Fleisch bissfester und durch das langsamere Wachstum auch geschmackvoller ist. Im Zweifel ist Wildfang der laufenden Saison vorzuziehen.
Tigermilch gegen große Kater
In einigen Straßen Limas wird der Ceviche im Moment der Bestellung aus einer Art Hot-Dog-Wagen, also Cold-Fish-Wagen zubereitet und es gibt Cevicherías so eng gesät wie Döner-Buden in Berlin Kreuzberg. Jede hat sich spezialisiert, hat ihr Hausrezept oder preist den einzig authentischen Ceviche an. Auch der ceviche chifa mit chinesischen Produkten oder der ceviche nikkei – also japanisch gestylt – sind in Peru Mode, das bekanntlich über eine sehr große japanische Gemeinde verfügt. Die Gourmets und Hippster in Europa haben Cevicherías mittlerweile in jede größere und halbwegs weltoffene Stadt getragen.
Für den peruanischen Meisterkoch Omar Malpartida ist die Balance des Saftes das Wichtigste am
Ceviche. Jene Essenz, die entsteht, wenn die Zitrusfrucht auf das pikante Element – das Meerwasser im Fisch – sowie auf Salz, Zwiebelsaft, andere Gewürze und – unverzichtbar – frischen Koriander trifft und sie sich vermischen, um ein eigenes Produkt
zu werden. Es hat sogar einen Namen: leche de tigre, Tigermilch. Dabei ist es eigentlich das perfekte Gegenmittel gegen große Kater. Experten streiten, ob Olivenöl oder ein paar Löffel Fischbrühe dazu gehören, in manchen Lokalen wird der Saft auch noch aufgemotzt, cremig gerührt und separat als Aperitiv serviert. Für Puristen sind das unnötige Kinkerlitzchen.
In Peru geschieht die Zubereitung in gut einer Minute und man lässt den Ceviche auch nicht lange ziehen, sondern isst ihn gleich. Hier sollte man allerdings bedenken, dass Pazifik-Fische meist eine durchlässigere Textur haben und Tiere aus dem kälteren Atlantik durchaus ein paar Minuten mehr Marinierzeit vertragen können. Länger als 20 Minuten sollten es aber nicht sein. Auch die Frage, ob man Maiskörner mit hinein gibt, extra serviert oder weglässt, weil der in Europa gebräuchliche Zuckermais in Peru nicht einmal als Viehfutter durchginge, sollte sich jeder selbst beantworten.
Wie Ceviche zubereiten lässt sich übrigens nicht nur Fisch, geläufig sind auch Garnelen, Muscheln, Pulpo und Calmar, ja sogar Hühnerfilet ist möglich. Doch es geht nichts über das Original. Und noch einen abschließenden Tipp hat Omar Malpartida. Was trinkt man zum Ceviche? Einen trockenen Weißwein, einen Rosé? „Für mich und 99,9 Prozent der Peruaner darf es ein schönes kaltes Bier sein.“Schon das ist ein gewichtiger Grund, warum sich Ceviche dauerhaft in Europa halten sollte.
Zutaten
Für vier Personen: 4 Fischfilets, am besten vom Adlerfisch (corvina), 1 Zitrone (limón), 4 Limetten (lima), 2 rote Zwiebeln (cebolla morada), etwas frischer Ingwer (jengibre), einige Zweige Koriander (cilantro fresco), roter Chili (chile rojo), junger Knoblauch (ajo tierno), Pfeffer, Salz, Olivenöl.
Zubereitung
Scharf, frisch und lecker: Ceviche ist in Peru eine eigene Kultur
Die Fischfilets zunächst über Nacht einfrieren, um Keime und Parasiten, die – zumal im spanischen Sommer – leider eine reale Gefahr sind, in Schach zu halten. Dann im Kühlschrank langsam auftauen und sofort verarbeiten. Am besten die Schüssel, in der man den Ceviche anrichtet, ebenfalls kühlen.
Das gereinigte Fischfilet in circa 2x1x1 Zentimeter große Stückchen schneiden. Eine Variante: die noch halb gefrorenen Filets wie ein Carpaccio schaben, die Marinade dann aber gesondert anrühren und beim Servieren darübergeben.
Zwiebeln in hauchfeine Halbringe schneiden, den Chili und den jungen Knoblauch in nicht zu kleine Ringe schnipseln, Kerne und Adern entfernen.
Den Ingwer klein schneiden, mit Salz und Pfeffer zerstoßen und mit Olivenöl und Zitronen- sowie Limettensaft gut vermischen. Die Marinade unterheben und zum Schluss den Koriander untermischen.
Den Ceviche zehn bis 20 Minuten im Kühlschrank ziehen lassen. Vor dem Servieren den entstanden Saft abfangen und mit etwas Öl schaumig aufmixen und oben auf den Ceviche geben.
Mit getoastetem Baguette mit geriebener Tomate (tomate rallado) und – natürlich – einem kühlen Bier servieren.