Neues Szenario
Herbst und Schulanfang stellen Spanien in Corona-Zeiten vor harte Proben
Spanien muss sich im Herbst neuen Herausforderungen bei der Eindämmung der Corona-Pandemie stellen. Mit Bangen blickt das Land auf den Schulanfang, der ab Montag alle Präventionsmaßnahmen
auf eine harte Probe stellt. Auch viele Eltern nehmen nach dem Sommerurlaub ihre Arbeit wieder auf. Die Mobilität steigt. Und das tun auch die CoronaNeuinfektionen. Spanien hat es nicht geschafft, das Fortschreiten des Virus abzubremsen. Nun richten sich die Hoffnungen auf einen Impfstoff, mit dem Gesundheitsminister Salvador Illa nicht vor Dezember rechnet.
Madrid – sk/mar. Die Stimmung mutet wie die Ruhe vor dem Sturm an. Viele Urlauber sind abgereist, die Einwohner der Küste kommen in Bewegung – der Schulanfang und die Rückkehr zur Arbeit stehen an, die Grippezeit nähert sich und die Fortschritte der Wissenschaft eröffnen mit Blick auf den Herbst ein neues Szenario im Coronavirus-geplagten Land.
Die Pandemie gibt keine Ruhe. Neuinfektionen steigen wie seit Beginn des Notstands nicht mehr. Man muss wieder von Covid-Opfern sprechen, allein an der Costa Blanca starben der Landesregierung Valencia zufolge von Dienstag auf Mittwoch vier Coronavirus-Infizierte, in Spanien 58. Die Region Valencia musste 902 Neuinfektionen verbuchen, die Provinz Alicante 237. Die Fallzahlen vom Dienstag bescheinigen auch der Provinz Málaga einen astronomischen Anstieg um 176 auf 308 Neuinfizierte im Vergleich zum Vortag, und auch die Region Andalusien nähert sich mit 955 Infizierten der Marke 1.000 – an einem Tag.
Landesweit steigen die Infektionen auf 2.731 pro Tag, aber trotz ihrer Höhe lösen sie nicht mehr dieselbe Besorgnis aus wie wesentlich niedrigere Stände noch vor einigen Wochen. „Die aktuelle Lage ist mit der von März überhaupt nicht zu vergleichen“, sagte Ministerpräsident Pedro Sánchez. Und es bahnt sich auch Gutes an. Am Freitag konnte Gesundheitsminister Salvador Illa seine erste frohe Botschaft seit Ausbruch der Pandemie verkünden. Die spanische Zulassungsstelle Aemps hat die erste klinische Studie für einen Impfstoff gegen Covid-19 genehmigt.
590 gesunde Freiwillige – davon 190 in Spanien – in der Mehrheit zwischen 18 und 55 Jahren sowie eine besonders beobachtete Gruppe ab 65 Jahren, werden in der zweiten von drei Phasen in Deutschland, Belgien und Spanien auf das Präparat der belgischen Firma Janssen getestet. Vorteile bei der Belieferung mit einem möglichen zugelassenen Impfstoff bringt die Teilnahme an der Studie Spanien zwar nicht, aber ein Impfstoff gegen den Erreger Sars-CoV-2 rückt eben näher. „Man macht alles möglich, ohne die Medikamentensicherheit zu opfern. Wenn ich heute eine Prognose wagen sollte, würde ich sagen, dass wir im Dezember damit anfangen können, die Risikogruppen zu impfen“, sagt Gesundheitsminister Illa.
Nun setzt ein viermonatiger Countdown ein. Der Minister will zudem die Grippe-Impfkampagne vorziehen und eine Durchimpfung von 75 Prozent der Menschen über 65 Jahren und des medizinischen Personal erreichen sowie 60 Prozent bei Schwangeren und Personen mit Vorerkrankungen. Es soll vermieden werden, dass Grippe und Covid-19 Menschen gleichzeitig oder kurz hintereinander schwächen und gefährden.
Die Eindämmung der Pandemie
und die Maßnahmen gegen ihre Ausbreitung liegen in den Händen der Regionen und in der Verantwortung der Bürger. Die Regierung denkt nicht mehr an einen spanienweiten Notstand, wohl aber machen Regionen auf lokaler Ebene von notstandsähnlichen Regelungen regen Gebrauch. Nicht nur kleine Dörfer wie Benigànim in der Region Valencia werden abgeriegelt, sondern die Region Kastilien und León beschneidet in großen Städten wie Salamanca oder Valladolid die Bewegungsfreiheit der Bürger und schickt sie am Donnerstag, 3. September, in die Phase 1 des Deeskalationsplans zurück. Restaurants dürfen Gäste dort nur im Außenbereich servieren. Die örtlichen Quarantänen dürften nun eher zu- als abnehmen.
Zwischen Diada und Grippe
Die Regierung entzieht sich an einigen Fronten der Verantwortung, dafür tun sich ihr zahlreiche andere auf. Der Schulanfang kommende Woche stellt eine große Feuerprobe dar. Wenige Tage später, am Freitag, 11. September, hat die Corona-Krisenregion Katalonien bei der Diada hunderttausende Separatisten auf den Straßen stehen. Beide Ereignisse fallen zwar in die Kompetenzen der Regionen, die Konsequenzen für Fehlschläge dürfte aber die Regierung ausbaden müssen. Vor allem, wenn die Ansteckungskurve steil nach oben steigt oder die Krankenhäuser unter Druck geraten.
Des Weiteren muss Madrid eine gesetzliche Regelung für das Homeoffice finden. Ministerpräsident Sánchez braucht einen neuen Haushalt, der Brüssel von der zweckmäßigen Verwendung der Coronahilfsgelder überzeugt. Dann wird Spanien im Herbst das Ausmaß der wirtschaftlichen Schäden zu spüren bekommen, die Corona, Lockdown und Reisewarnungen dem Land zugefügt haben.
Einen Vorgeschmack lieferten Zahlen über den Rückgang ausländischer Touristen und die Arbeitslosenzahlen vom Mittwoch. Allein am 31. August verloren 200.000 Angestellte ihren Job. Die Arbeitslosenzahlen stiegen um 30.000 auf insgesamt 3,8 Millionen. Hinzu kommen über 800.000 Angestellte in Kurzarbeit. Derzeit zahlen 18,6 Millionen Erwerbstätige Beiträge in die Seguridad Social ein, etwas über 82.500 weniger als am Monatsanfang. Schlechte Zahlen, aber besser, als viele erwartet hatten.
Seit Ausbruch der Pandemie und bis 1. September hat Spanien 470.973 Coronavirus-Infizierte verzeichnet. Allein am Dienstag 2.731. Die Zahl der Neuinfektionen binnen einer Woche in Spanien liegt umgerechnet auf 100.000 Einwohner derzeit bei 105,05. Die Bundesrepublik Deutschland verhängt ab 50 eine Reisewarnung. Diesen Wert unterschreitet nur noch Asturien (24,93). Andalusien (55,61), Valencia (63,11) und Murcia (80,53) liegen darüber, Madrid schießt mit 235,15 den Vogel ab.
Vergangene Woche mussten 1.761 Menschen und damit 450 mehr als in der Woche zuvor stationär wegen Covid-19 in Spaniens Krankenhäusern behandelt werden, 132 davon auf Intensivstationen. Die Krankenhäuser von Andalusien mit 289 neuen Fällen, die in Valencia mit 156 und die in Murcia mit 96 neuen Fällen stehen noch nicht unter Druck – Covid-19-Patienten nehmen weniger als fünf Prozent der Krankenbetten in Anspruch. Insgesamt müssen in Spanien 6.807 solcher Patienten stationär und 823 davon auf Intensivstationen behandelt werden.