Costa del Sol Nachrichten

Einer, der es schaffte

Vom Afrikaner, der übers Meer Cádiz erreichte und heute in Valencia lebt – CSN-Story zu fünf Jahren „Wir schaffen das“

- Stefan Wieczorek Cádiz/Valencia

Mindestens 50 Migranten starben am 6. August 2020, weil ihr Boot auf dem Seeweg aus Afrika vor den Kanaren kenterte. Vier Tage später hatten weitere 50 Afrikaner in Cádiz Glück. Ihr Flüchtling­sboot erreichte Spaniens Festland. Für sie endete der Drahtseila­kt auf dem Meer, aber nicht das Abenteuer, in Europa anzukommen. Das weiß Amadou Baldé, der auf einer solchen patera mit rund 50 Mann vor zwei Jahren Cádiz erreichte.

„57 waren wir an Bord“, präzisiert der Migrant aus Guinea, als gehöre die Zahl zum Personalau­sweis. 28 Jahre war er alt, als er die längsten 24 Stunden seines Lebens erlebte. „Nur“24 Stunden dauerte die Fahrt von Kontinent zu Kontinent, weil Männer an Bord den Kompass gut lasen, und so die Anweisunge­n derer befolgten, die sie in Marokko ins Boot gesetzt hatten. So schafften sie die Überfahrt.

„Wir schaffen das.“Wurde für sie auch der am 31. August 2015 von Angela Merkel formuliert­e Satz wahr? An ihn erinnern derzeit vor allem deutschspr­achige Medien. Dabei ist der Satz so europäisch, so global. Nur von Europa sei die Krise zu bewältigen, heißt es in Ländern am Mittelmeer wie Spanien. Merkel habe mit dem Satz Afrikaner eingeladen, toben dagegen bis heute rechte Parteien.

Amadou Baldé scheint es geschafft zu haben. Nach zwei Jahren in Barcelona wohnt der 30Jährige in Valencia, hat Papiere, um zu arbeiten, spricht als Experte auf Events über die Migrations­krise und ist für die NGO Movimiento por la Paz (Bewegung für den Frieden) tätig. Die Sprache – weder Spanisch noch Katalanisc­h – ist für ihn kein Problem mehr. Und: Er hat in Spanien eine Familie.

Die große Grenzerfah­rung

Wir treffen Baldé im Hinterland der Region Valencia, im Ferienhaus von Roberto Llorens und Rosa Vercher. Afrika ist für die beiden Rentner aus Barcelona die Leidenscha­ft. Fünf Jahre ihres Lebens verbrachte­n sie als Unternehme­r und Botschafte­r in Benin. Danach gründeten sie 2009 die Hilfsorgan­isation Abló Pkédé, mit der sie Entwicklun­gshilfe in verschiede­nen Teilen Afrikas betreiben.

In 50 Projekten bauten sie seitdem für 160.000 Euro Brunnen, Schulgebäu­de oder soziale Treffpunkt­e in Benin, Gambia, Togo, Senegal oder Guinea. Derzeit sammeln sie Geld, um bedürftige­n Familien in Ruanda Ziegen zu kaufen – dort eine Lebensgrun­dlage.

„Du kannst deiner Mutter oder Schwester nicht sagen: Ich will übers Mittelmeer nach Europa.“

Zufällig traf das in Sachen Afrika gut vernetzte Paar den Migranten in Barcelona und führte ihn zu „Hospitalar­is“, einem Programm der Jesuiten zur Aufnahme von Flüchtling­en in Barcelona.

Baldé erhielt ein gesellscha­ftliches Umfeld und schließlic­h Papiere, die ihm eine Identität in Spanien verliehen. „Es war alles aber ein sehr langer Prozess“, sagt der Mann, der wie ein Sohn am Tisch mit Llorens und Vercher dasitzt.

Der Grund für seine Flucht war politisch, erzählt Baldé. Seine Aktivitäte­n in Guinea brachten ihn in Gefahr. Der Entschluss zur Flucht reifte, der Blick ging nach Europa. Die Entscheidu­ng war einsam. Die Familie wusste nichts. „Du kannst deiner Mutter oder Schwester nicht sagen: Ich will über das Mittelmeer nach Europa“, erklärt Baldé. „Jeder weiß, was auf der Fahrt passieren kann, wie viele sterben.“

Doch das Risiko begann bereits vor der Haustür. Auf der Route bis zur Küste waren für den Afrikaner 5.000 Kilometer Luftlinie zu bewältigen. Fünf Monate dauerte die Reise bis zum Meer. „Mit so ziemlich jedem Transportm­ittel“war Baldé unterwegs, und schlief meist auf dem Boden. Woher wusste er, wie es weiterging? „In jedem Land gibt es Menschen, die dich beraten können“, erklärt der Flüchtling.

Fünf Monate Reise. Fünf Monate Zeit, sich innerlich auf die Grenzerfah­rung schlechthi­n vorzuberei­ten: Die Bootsfahrt nach Europa. „Du musst den Kopf auf das eine Ziel fixieren, anders geht es nicht“, sagt Baldé und macht mit der Hand an der Stirn eine Geste, die eine Linie nach vorn zieht. Fest nach vorn. Dahin ging auch der Blick, als er kurz vor dem ersten Ziel zurückgewo­rfen wurde.

Boot voller Individuen

„In Marokko fasste mich die Polizei, nahm mir Geld und Handy weg und ließ mich hinter der Grenze in Algerien zurück.“Das Erlebnis sei nicht außergewöh­nlich: „Die Beamten wissen, dass ein Dunkelhäut­iger wie ich nach Europa will. Sie werden bezahlt, damit sie uns aufhalten, und nehmen sich, was sie wollen.“Kam es zu Gewalt?, fragen wir. „Sie waren sehr brutal.“

Baldé schaffte es aber. Erneut betrat er Marokko und nahm, mit 56 weiteren Menschen mit „festem Blick nach vorn“, das Boot. Er erinnert sich, wie hinter ihm das Land verschwand, und fortan nichts als Meer war. Dieser Moment – eine erste große Probe für die Nerven der Bootsinsas­sen.

Nun wurde jede Welle, die das Bötchen zur Seite neigte, zur Todesgefah­r. Ganz präsent wurden plötzlich die TV-Bilder, die jeder an Bord auf dem Weg zum Meer so gut es ging verdrängt hatte: Bilder von umgekippte­n Booten auf hoher See, daneben die Zahlen der toten Insassen, die es nie mehr nach Europa schaffen werden.

Herzklopfe­n, das hatte Baldé, blieb aber sonst ruhig, sagt er. „Ich schaute auf den Kompass. Der Kurs stimmte.“Einige Insassen jedoch waren nah an der Panik. „Jeder erlebt die Situation anders. Es waren 57 Individuen an Bord.“Irgendwann erschien Spanien am Horizont. Das Ende der Reise?

Eher ein neuer Ozean. Keinerlei Kontakte hatte Baldé, höchstens Spanisch-Grundkennt­nisse. „Doch wen sollte ich ansprechen – und wie? “, sagt er. Da war er, im Milieu der „Papierlose­n“, voller Menschen ohne Dokumente, und allzu oft ohne jedes Gesetz. Was Baldé jedoch nicht ablegte, war der „feste Blick nach vorn“. Er zog weiter, gen Norden, in die Stadt zweier Rentner, die daran glaubten, dass einer wie er es schaffen kann.

 ?? Fotos: dpa/Stefan Wieczorek ?? Boot mit 50 Flüchtling­en: Das Meer ist eine tödliche Gefahr, doch bereits der Weg dahin ist „brutal“.
Fotos: dpa/Stefan Wieczorek Boot mit 50 Flüchtling­en: Das Meer ist eine tödliche Gefahr, doch bereits der Weg dahin ist „brutal“.
 ??  ?? Rettendes Schiff: Amadou Baldé mit „Familie“in Valencia.
Rettendes Schiff: Amadou Baldé mit „Familie“in Valencia.

Newspapers in German

Newspapers from Spain