Zweite Welle beunruhigt: Wirtschaftliche Erholung nicht in Sicht
Wirtschaftliche Erholung lässt in Spanien auf sich warten – Sorge wegen zweiter Welle
Madrid – tl. Wieder einmal muss die Macht der Worte herhalten, um die Ohnmacht gegenüber einem Virus zu kaschieren: „Spanien kann: Wiederaufbau, Umbau und Widerstandskraft“lautete am Montag das Motto einer Konferenz, zu der Ministerpräsident Pedro Sánchez Spitzenvertreter aus Wirtschaft, Institutionen und Gesellschaft in den Madrider Regierungssitz Moncloa geladen hatte.
Seine Intention: die Bekämpfung der Corona-Pandemie auf eine breite Basis zu stellen. Denn die zweite Welle der Pandemie, die im Anrollen ist, droht die Erholung der Wirtschaft in weite Ferne zu drücken. Schon jetzt geht die Regierung davon aus, dass die wirtschaftliche Aktivität frühestens 2023 wieder Vor-Corona-Niveau erreichen wird.
Ein zweiter strenger Lockdown wäre denn auch ein brutaler Schlag für die ohnehin schon schwer getroffene spanische Wirtschaft. „Angesichts der sozioökonomischen Kosten einer Pandemie-Eindämmung wäre es unbedingt zu empfehlen, die Test-Kapazitäten drastisch zu erhöhen und die Nachverfolgung der Infektionsketten intensiv zu betreiben“, heißt es in einer Studie der Banco de España. „Die monatlichen Kosten dieser Strategie sind deutlich niedriger als die wirtschaftlichen Verluste, die von der Pandemie in nur einer Woche verursacht werden.“
Bereits jetzt zeigt sich, dass die wirtschaftliche Erholung langsamer verläuft als bei den Euro-Partnern. Zwar geht es auch in Spanien im dritten Quartal wieder aufwärts. Was nach einem Minus von 18,5 Prozent im zweiten Quartal nicht sonderlich überrascht. Analysten erwarten denn auch, dass die Wirtschaft zwischen Juli und September im zweistelligen Bereich anzieht. Darunter wäre alles negativ zu sehen. Nach Berechnungen der
Großbank BBVA anhand jüngster Daten aus dem dritten Quartal befindet sich die wirtschaftliche Aktivität noch um 12,3 Prozent unter den Vor-Corona-Wert.
Der PMI-Index, einer der wichtigsten und verlässlichen Frühindikatoren für die wirtschaftliche Aktivität, geht für August von einer Abschwächung der wirtschaftlichen Aktivität in der Euro-Zone aus. Der Grund: die zunehmenden Corona-Neuinfektionen und die erneuten Einschränkungen. Wenn sich diese Einschätzung bestätigt, wird es die Entwicklung der spanischen Wirtschaft und des hiesigen
Arbeitsmarkts besonders hemmen.
Mit dem weiteren Ablauf der Pandemie in Spanien steht und fällt denn auch die zaghafte Erholung auf dem Arbeitsmarkt. Allerdings fehlen im Vergleich zu Mitte März weiterhin 670.000 Arbeitsplätze. Und noch immer befinden sich rund eine Million Beschäftigte in Kurzarbeit. Der Höchststand betrug allerdings drei Millionen.
Die Wiedereingliederung der Kurzarbeiter ist bislang also durchaus gut verlaufen. „Alles wird davon abhängen, ob die zweite Welle der Pandemie wieder in Bewegungseinschränkungen mündet, die dann Nachfrage und Produktion sinken lassen“, sagt BBVAÖkonom Rafael Doménech.
Nach der Finanzkrise verliehen Spanien zwei Sektoren wieder Flügel: der Tourismus und der Export. Mit Ende des Ausnahmezustands ruhte alle Hoffnung erneut auf dem Tourismus. Jetzt fällt er als Wirtschaftsmotor aus. Die Juli-Daten sind ernüchternd: Die Übernachtungszahlen ausländischer Touristen liegen 85 Prozent unter denen des Vorjahres, die spanischer Urlauber fallen um 50 Prozent geringer aus. Der August wird nach den Reisewarnungen einer Vielzahl europäischer Ländern auch als Ausfall verbucht werden. „Allein wegen des Tourismus sinkt das Bruttoinlandsprodukt um sieben Prozent“, äußert der Chef-Ökonom des Mineralölkonzerns Repsol, Pedro Antonio Merino.
Was den Export anbetrifft, wird viel davon abhängen, wie sich die wirtschaftliche Entwicklung bei den wichtigsten Handelspartner vollzieht. Doch Frankreich steht wieder vor einem exponentiellen Wachstum der Corona-Pandemie. Auch in Deutschland haben die Fälle wieder zugenommen. Beide Länder zählen zu den Hauptabnehmern spanischer Produkte. Neue Corona-Beschränkungen dort würden die Nachfrage sinken lassen.
Alles hängt davon ab, ob die Neuinfektionen in Quarantänen münden
Hoffnung Autoindustrie
Allerdings gibt es gute Nachrichten aus der Automobil-Industrie: PSA wird für das Erfolgsmodell Peugeot 2008 in Vigo eine vierte Schicht fahren, was 600 Neueinstellungen bedeutet. Auch Seat bei Barcelona produziert mit der gleichen Anzahl von Schichten wie vor Corona. Mit dem Renault Capture, dem Peugeot 2008 und dem Opel Corsa laufen drei Modelle vom Band, die in Europa zu den zehn meistverkauften Autos zählen.
Dass die Wirtschaft im zweiten Quartal im schlechtesten Fall um 15 Prozent schrumpft, will derzeit keiner glauben. Minus elf Prozent lautet daher die aktuelle, wenngleich ebenfalls noch optimistische herrschende Meinung.