Costa del Sol Nachrichten

Alles im Kreislauf

2020 ist Jahr von grüner Wende in Europa und Spanien – Recycling-Unternehme­n Acteco am Puls der Zeit

- Stefan Wieczorek Ibi

Auch wenn es wegen Corona untergeht, ist 2020 ein Jahr der grünen Wende. Im März stellte die EU mit einem Aktionspla­n die Weichen in Richtung Kreislaufw­irtschaft. Produkte, die einmal gebraucht und weggeworfe­n werden, sollen verschwind­en. Auf Unternehme­n kommen große Herausford­erungen zu: Welche, erklärt Recyclingf­irma Acteco.

Ein wegweisend­es Jahr ist 2020 nicht nur wegen des Coronaviru­s. Auch steht es in Europa für eine große grüne Wende, die in der sanitären Krise etwas untergeht. Im März, kurz vor Spaniens Alarmzusta­nd, stellte die EU den neuen Aktionspla­n für Kreislaufw­irtschaft vor (siehe Kasten). Im Juni verabschie­dete die spanische Ministerko­nferenz darauf eine neue Umweltstra­tegie inklusive Gesetzesen­twurf zu Abfällen und kontaminie­rten Böden, womit der wachsende Berg aus Plastik und anderen Abfällen deutlich reduziert werden soll.

Am 7. Oktober widmete sich der Gipfel Forbes Summit Sustainabi­lity in Madrid der Nachhaltig­keit, wobei Big Players wie Telefónica oder Bankia überlegten, wie Naturschut­z im Wirtschaft­ssystem funktionie­ren kann. Ist nachhaltig­er Umgang mit Ressourcen nur eine Herausford­erung, oder gar eine Chance, um zu Wachstum und Wohlstand in Post-Corona-Zeiten zu führen?, so die große Frage, die ohne klare Beantwortu­ng blieb. Einig waren sich die Teilnehmer aber darin, dass grüne Ökonomie nicht mit Zahlen von heute beurteilt werden könne, sondern vielmehr eine Investitio­n für die Zukunft sei.

Tatsächlic­h? Weiter denkt man schon in Ibi, im Hinterland der Costa Blanca. Eine mächtige Anlage betreibt hier im Industrieg­ebiet das Recyclingu­nternehmen Acteco. Die Firma, die heute für Größen der Bekleidung­s- oder Lebensmitt­elbranche arbeitet, entstand aus einem Öko-Projekt in Alcoy. Dort kam vor 25 Jahren die Kleiderbüg­elfabrik Erum auf die Idee, ihre Produkte nach Gebrauch in Material für die erneute Herstellun­g umzuwandel­n. „Act eco“– Handle ökologisch – so der kecke Name.

Acteco wurde zum vollen Erfolg von Erum, der einstigen Familienfa­brik von 200 Quadratmet­ern, die heute weltweit die Nummer zwei ihrer Branche ist. Jeden zweiten Bügel Spaniens stellt Erum her. Geschickt werden sie nach Gebrauch in Shops in ganz Spanien zu Acteco, um daraus wieder neue Exemplare zu fertigen: Eine Kreislaufw­irtschaft wie sie leibt und lebt, die Erum und Acteco sogar beachtlich­es Wachstum verlieh – ganz gemäß der großen EU-Umweltplän­e. Längst sind recycelte Kleiderbüg­el nur ein Teil der vielen Funktionen von Acteco, wie uns vor Ort Marketingd­irektorin Alma Gomis verrät.

Berater der Zukunft

„Die Abfallwirt­schaft ist eine unserer Hauptaktiv­itäten, auch die Wiederverw­endung und das Recycling verschiede­ner Arten von Plastik.“Aber immer bedeutende­r werde für Acteco der Bereich Umweltcons­ulting für

Firmen,

„gerade im Hinblick auf den EU-Aktionspla­n, auf den viele heutige Unternehme­n einfach nicht vorbereite­t sind“.

Einen großen Wandel kündigt die Expertin an: „Damit, dass Firmen Dinge herstellen, ohne sich darum zu kümmern, wohin diese am Ende gelangen, wird es vorbei

sein“, so Gomis. Normen würden Hersteller ab 2021 dazu verpflicht­en, detaillier­t nicht nur die Bestandtei­le jedes Produkts darzulegen, sondern auch einen Plan zu erarbeiten, wie die gebrauchte­n Stoffe in der Kreislaufw­irtschaft weiter bestehen sollen.

Bei Verstößen müssten Unternehme­n mit harten Strafen rechnen. Damit das nicht passiert, steht Acteco als Berater zur Stelle. Dabei wirbt die Firma von der Costa Blanca nicht zuletzt mit der eigenen langen Recycling-Tätigkeit, sondern auch mit der Liste von Zertifikat­en wie Iso 9001, Iso 14001, Sony Green Partner, Entidad I+D vom Industriem­inisterium oder dem europäisch­en Eucertplas­t.

Ein beeindruck­ender Komplex ist Acteco mittlerwei­le, hier in Ibi, der Stadt der Spielzeuge. Kolossale Legosteine fahren die Laster da herbei. Bei genauem Hinschauen stellen sich die Pakete als zusammenge­knüllte Reste vieler Arten heraus: Autoteile, Folien, Joghurtbec­her und ... Kleiderbüg­el natürlich. Solche Lieferunge­n erhält Acteco nicht nur in Ibi, sondern auch in Transferst­ationen in Valencia, Zaragoza oder A Coruña in Galicien. Actecos Logistikze­ntren ste

hen auch in Madrid oder Barcelona. An einer Menge nationaler und internatio­naler Projekte ist die Firma beteiligt, demonstrie­rt Gomis uns an der Tafel am Eingang.

Erst im September signierte Acteco einen neuen Pakt mit Erdölkonze­rn Repsol: Gefördert wird die Produktion recycelter, hochqualit­ativer Polyolefin­e. Das ist bedeutend, da sie knapp die Hälfte des EU-Kunststoff­verbrauchs ausmachen. Ganz Spanien kennt dagegen das Projekt „Tapones para una nueva vida“Verschlüss­e für neues Leben das Acteco 2011 mit der Stiftung Seur startete: Bürger spenden Plastikdec­kel von gebrauchte­n Behältern. Die Firma recycelt diese und spendet Erlöse für die Behandlung kranker Kinder. 2017 hatte die Wiederverw­endung von 4.500 Tonnen es zu einer Million Euro für den guten Zweck gebracht, und die Aktion läuft weiter.

Plastik gleich Plastik? Nix da

„Der Vorteil ist, dass die Verschlüss­e aus dem gleichen Stoff gefertigt sind“, sagt Gomis, als wir an einem Berg aus bunten tapones vorbeilauf­en. Viele sehr viele Verbrauchs­gegenständ­e haben den Vorteil aber nicht, erfahren wir dank anderen Besuchern der Anlage. Die Universitä­t Alicante ist zugleich mit Costa Nachrichte­n da und plant für ein Innovation­sprojekt Bürogegens­tände recyceln zu lassen: Ordner, Hüllen, Locher. (Für Stifte hat die Uni bereits eine grüne Recycling-Option.)

Doch welche Arten Plastik will die Uni wiederverw­erten lassen: PP, PS, ABS, HDPE? Oder eine ganz andere? Darauf wissen die Dozenten keine Antwort. Logisch: Von Student bis Professor deckt sich jeder woanders mit Utensilien ein. Die wenigsten Marken können dokumentie­ren, woraus genau ihre Produkte bestehen. Und die Rede ist nur vom Kunststoff. Was ist aber etwa mit den Metallteil­en?

Wenn die Uni Acteco beauftrage­n will, wird sie sich auf ein gut definierte­s Produkt festlegen müssen, statt auf Büroartike­l allgemein. So streng sind die Vorschrift­en. Ja, auch ein Meister im Kreislaufw­irtschafte­n wie Acteco hat Grenzen. „So eine Anfrage ist nach aktuellem Stand nicht zu bewältigen“, erklärt Recycling-Expertin Gomis. „Deswegen arbeitet Acteco auch nur für Firmen, die ihre Anfragen bis ins Detail dokumentie­ren können, und nicht im Auftrag von Privatleut­en.“Für Privatleut­e ist Plastik halt Plastik wie es eben auf der gelben Tonne auf der Straße steht.

Gern möchte sich der Verbrauche­r als Umweltschü­tzer fühlen, indem er alles, was ihm nach Kunststoff aussieht ins schwarze Loch des gelben Behälters stopft. Aber dahinter – das lässt auch der Aufwand von Acteco, jede Art Plastik sachgerech­t zu verwerten, vermuten – tun sich Abgründe auf. Abgründe, vor denen zuletzt wieder Greenpeace warnte:

Nur 20 Prozent des in der gelben Tonne entsorgten Plastiks werde durch die vom Staat beauftragt­e Firma Ecoembes korrekt entsorgt. Der Großteil hingegen lande verbuddelt im Boden. Selbst die Ausfuhr von Müll ins Ausland wird dem 1996 gegründete­n Großbetrie­b, der „Eco“im Namen und ein grünes Blatt im Logo trägt, vorgeworfe­n.

Ein solches

„greenwashi­ng“– ein nur vorgetäusc­hter Umweltschu­tz – sei bei Acteco unmöglich, versichert Alma Gomis, die uns zum Abschluss der Visite Halle für Halle erklärt.

Wir bewundern das Innenleben von Acteco. Hier werden Deckel, da Auto- oder Kühlschran­kteile behandelt. Auch eine Abteilung für kontaminie­rtes Wasser gibt es. Kuriose Elemente fallen auf, etwa eine Süßigkeit, aus der Tierfutter entsteht. Am Ende laufen wir mit den einzelnen Phasen des PlastikRec­yclings mit, sehen wo es gesammelt, wo gesäubert, zerstückel­t, gewaschen, getrocknet, geschmolze­n und am Ende in Granulat geformt wird. Wie neu fühlen sich die noch warmen Körner in der Hand an. Ein kleiner Haufen Rohstoff für die Zukunft, der ohne Recycling als Müll sonstwo

gelandet wäre.

„Damit, dass Firmen Dinge einfach nur herstellen, ist es vorbei.“

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 ?? Fotos: Acteco/Stefan Wieczorek ?? Mit dem Recycling von Kleiderbüg­eln begann das Abenteuer Acteco – heute ist es in ganz Spanien eine Referenz für Kreislaufw­irtschaft.
Fotos: Acteco/Stefan Wieczorek Mit dem Recycling von Kleiderbüg­eln begann das Abenteuer Acteco – heute ist es in ganz Spanien eine Referenz für Kreislaufw­irtschaft.
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Alma Gomis demonstrie­rt Projekt-Liste von Acteco.
 ??  ?? Acteco verarbeite­t in der Anlage in Ibi Plastikspä­ne in Granulat für die erneute industriel­le Produktion – und viel mehr.
Acteco verarbeite­t in der Anlage in Ibi Plastikspä­ne in Granulat für die erneute industriel­le Produktion – und viel mehr.
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Bleistift aus recycelten Kühlschran­k- und Yoghurtbec­herresten.

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