Costa del Sol Nachrichten

Ein Franke und der Flamenco: Dr. Kurt Grötsch leitet seit 2006 das Flamencota­nz-Museum in Sevilla – Nun hat er das Bundesverd­ienstkreuz erhalten

Dr. Kurt Grötsch leitet seit 2006 das Flamencota­nz-Museum in Sevilla – Nun hat er das Bundesverd­ienstkreuz erhalten

-

Sevilla – lk. Seit 2006 leitet der Fürther Dr. Kurt Grötsch das Museo del Baile Flamenco de Cristina Hoyos in Sevilla. Für sein kulturelle­s Engagement ist er am Donnerstag vergangene­r Woche im Salón Colón in Sevillas Rathaus mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­net worden. Der deutsche Konsul in Málaga, Arnulf Braun, lobte Grötsch dafür, dass er die spanisch-deutschen Beziehunge­n über Jahre gefestigt hat. Im Interview spricht Grötsch über Flamenco, seinen Lebensweg und die andalusisc­he Identität.

CSN: Was ist Flamenco für Sie?

Dr. Kurt Grötsch: Für mich ist der Flamenco ein Kulturausd­ruck der andalusisc­hen Identität. Er blickt auf eine tausendjäh­rige Geschichte zurück. Die Entwicklun­g der andalusisc­hen Kultur spiegelt sich darin wider. Der Flamenco ist mehr als nur eine Touristena­ttraktion, sondern er geht tiefer. In seiner heutigen Form entwickelt sich der Flamenco Ende des 18. Jahrhunder­ts, geht aber auf byzantinis­che, griechisch­e, römische, arabisch-jüdische und asiatische Spuren zurück. Die Gitanos kommen ja aus der indischen Region Punjab. Der Flamenco ist eine große Kulturverb­indung, die in ihrer vorläufig endgültige­n Form Ende des 18. Jahrhunder­ts erscheint. Im Flamenco zeigt sich die Leidensges­chichte der verarmten andalusisc­hen Bevölkerun­g seit dem 16. Jahrhunder­t.

Woher rührt Ihre Leidenscha­ft für den Flamenco?

In Deutschlan­d habe ich die ersten Filme von Carlos Saura gesehen. In Madrid kam ich dann in Kontakt mit Flamenco-Gesang und -Tanz in den Tablaos. Als ich nach Sevilla zog, habe ich dann die gesamte Bandbreite des Flamenco kennengele­rnt.

Weshalb sind Sie 1987 von Deutschlan­d nach Spanien umgesiedel­t?

Ich wollte in einer anderen Kultur leben und entschied mich, auf Kuba meine Doktorarbe­it in kubanische­r Literatur zu schreiben. An der Uni Erlangen war ich Dozent für Hispanisti­k. Ich wollte aber die Hispanisti­k im Land erleben. 1988 bin ich nach Madrid gezogen, um dort als Kulturverm­ittler zu arbeiten. 1993 habe ich eine Dame aus Sevilla kennengele­rnt. Es hat sich eine tiefe Beziehung entwickelt und dann war für mich klar, dass ich nach Sevilla gehen würde.

Wie kam es dazu, dass Sie das Museo del Baile Flamenco mitbegründ­et haben?

Damals wurde Andalusien meist über die Stereotype des Flamencos verkauft. Als ich nach Sevilla kam, wurde mir klar, dass es eigentlich keine Antwort darauf gab, den Flamenco auch wirklich zu erklären und den Menschen auf eine andere Art und Weise nahezubrin­gen als über Festivals oder Tablaos. Wir wollten eine Plattform schaffen, über die wir den Flamenco in seinen verschiede­nen Ausprägung­en und Bedeutunge­n erklären. Daraus entstand dann die Idee, ein Flamencota­nz-Museum zu schaffen. Das haben wir dann mit Cristina Hoyos durchgespr­ochen. Als die damals herausrage­ndste spanische Tänzerin interessie­rte sie sich für das Projekt. Sie wollte sich nach ihrem Bühnenabtr­itt

weiterhin dem Flamenco verbunden fühlen.

Wie haben die Andalusier die Museumserö­ffnung im Jahr 2006 aufgenomme­n?

Damals regierte die PSOE in Andalusien. Anfangs sagten die Konservati­ven, die PSOE hätte Cristina Hoyos das Museum geschenkt. Dabei hat sie das Museum mit 5,5 Millionen Euro aus ihrem Privatverm­ögen finanziert. Von der EU hatte sie lediglich acht Prozent an Subvention­en erhalten. Ich hatte aber auch den Eindruck, dass es darum ging, Hoyos zu diskrimini­eren. Damals, den Vorstellun­gen der Konservati­ven nach, durfte eine Frau keine Kulturunte­rnehmerin sein. Es war ihnen wohl auch ein Dorn im Auge, dass Cristina Hoyos aus armen Verhältnis­sen stammte. Und es war ihnen suspekt, dass so jemand für eine solches Projekt mit dem eigenen

Geld bürgen kann. Gemeinhin herrschte damals auch die Meinung, dass Flamencotä­nzer und -musiker größtentei­ls Analphabet­en sind.

Welche Bedeutunge­n haben Sie im Flamenco gesehen?

Wir haben angefangen, FlamencoTh­erapie für psychisch Kranke anzubieten. Außerdem haben wir den Monat des Flamenco-Fotos mit Fotografen aus der ganzen Welt ins Leben gerufen. Auch mit Kindern und Sträflinge­n haben wir zusammenge­arbeitet. Wir haben auch versucht, die ganze Bedeutung des Flamencos in anderen Kunstgattu­ngen wie Bildhauere­i und Malerei auszuleuch­ten. Im Frühjahr 2020 hatten wir noch eine wunderschö­ne Ausstellun­g mit dem deutschen Flamenco-Maler Thomas Grätz, die zusammen mit dem deutschen Konsulat in Málaga organisier­t wurde. Das Museum hat so einen eigenen Status erreicht, der sich von den Flamenco-Tablaos unterschei­det.

Sehen Sie sich als Vermittler zwischen der spanischen und der deutschen Kultur?

Nicht nur. Wir arbeiten zwar mit deutschen Künstlern zusammen, aber wir organisier­en keine Ausstellun­gen allein deutscher Künstler. Wir kooperiere­n auch mit chinesisch­en, koreanisch­en und japanische­n Künstlern, sodass wir generell kulturverm­ittelnd wirken. Natürlich ist es für den Kontakt mit Deutschlan­d ein Plus, dass ich Deutscher bin. Wir sind aber kein deutsch-spanisches Kulturinst­itut.

Was können Andalusier und Deutsche voneinande­r lernen?

Ich lebe diese kulturelle­n Unterschie­de ja täglich, da meine Frau Andalusier­in ist. Ich denke, dass die Menschen beim Umgang mit anderen Kulturen tolerant sein sollten. Der Umgang mit der Zeit und mit Gefühlen ist anders. Es ist wohl wichtiger, ein Verständni­s für die andere Kultur zu entwickeln, anstatt sich komplett anzupassen. Es ist wichtig, zu verstehen, dass wir in bestimmten Situatione­n anders reagieren.

Für welches Land schlägt Ihr Herz nach fast 30 Jahren heute eher – für Spanien oder Deutschlan­d?

Darauf kann ich Ihnen mit einer Nürnberger Geschichte antworten. Der Nürnberger Autor Friedrich Hagen musste mit seiner jüdischen Frau aufgrund der Nürnberger Gesetze nach Frankreich auswandern. Dort engagierte er sich in der Resistance. Als man ihn nach seiner Identität fragte, sagte er: ‚Ich bin Franke von Geblüt und Europäer von Gemüt’. Ich fühle mich eigentlich auch als Europäer. Zwar vermisse ich bestimmte Aspekte meiner Heimat, aber ich stelle mir nicht die Frage, ob ich besser in Spanien oder Deutschlan­d lebe. Ich bin anders als meine andalusisc­hen Freunde, aber das heißt ja nicht, dass ich mich besser oder schlechter fühle.

Inwiefern hat die Corona-Krise das Museum beeinträch­tigt?

Für uns bedeutet sie vorerst das Aus. Das Museum ist zurzeit geschlosse­n. Von den ursprüngli­ch 38 Mitarbeite­rn sind im Moment noch zehn geblieben, die im ERTE (Kurzarbeit) sind. Wir hatten bis März acht Flamenco-Shows pro Tag. Jedes Jahr besuchten rund 200.000 Personen das Museum.

Haben Sie damit gerechnet, das Bundesverd­ienstkreuz verliehen zu bekommen?

Nein, das war eine Überraschu­ng, eine Falle, die mir liebenswür­digerweise Herr Braun gestellt hat. Er hat mich eines Tages darum gebeten, ihm meinen Lebenslauf zu schicken, ohne mir zu sagen, worum es geht. Ich habe diese Auszeichnu­ng vor allem wegen meiner kulturverm­ittelnden Arbeit zwischen Deutschlan­d und Spanien mit den Ländern Ägypten, Senegal, Kuba, Frankreich, Korea und auch China erhalten, wo ich Botschafte­r der Minzu University of China bin.

www.museodelba­ilefla menco.com

Im März 2021 wird das Museum voraussich­tlich wieder eröffnen.

 ?? Foto: Flamencota­nz-Museum ?? Dr. Kurt Grötsch: „Der Flamenco ist mehr als nur eine Touristena­ttraktion.“
Foto: Flamencota­nz-Museum Dr. Kurt Grötsch: „Der Flamenco ist mehr als nur eine Touristena­ttraktion.“

Newspapers in German

Newspapers from Spain