Costa del Sol Nachrichten

Es geht wieder los

Coronaviru­s-Infektione­n nehmen in Spanien stark zu

- Anne Götzinger Alicante

Die Coronaviru­s-Infektione­n steigen in ganz Spanien stark an. Derzeit leidet vor allem der Norden unter der Covid-19-Pandemie. Ganz Navarra steht unter Quarantäne, Städte wie Salamanca oder

Burgos werden abgeriegel­t. Einige Regionen fordern die Einführung einer Sperrstund­e, um die Infektione­n im sozialen Bereich unter Bekannten und Freunden einzudämme­n. Derweil protestier­t die Gastronomi­e

gegen Auflagen, die viele in Existenzno­t treibt. Noch stehen Valencia, Murcia und Andalusien relativ gut da – die Lage kann sich wie in Valencia von heute auf morgen ändern.

Schon im Anflug auf Alicante sehen Touristen das, was viele von ihnen gerne mit nach Hause nehmen werden: Bräune in allen Schattieru­ngen und Nuancen. Von oben zeigt sich kilometerw­eit rund um die Provinzhau­ptstadt ein karges, fast wüstenähnl­iches Land, das ausgerechn­et Huerta de Alicante, also Gemüsegart­en heißt.

Was man vom Flieger aus nicht sieht, sind die unzähligen Kanäle und Bewässerun­gsgräben, die sich wie Adern über Alicantes Handrücken ausbreiten und vielleicht nie üppiges Grün, aber zumindest eine „bewässerte Trockenkul­tur“in dieser Ebene erreichten. In einer Gegend, die über keine regelmäßig­e und reichliche Wasserzufu­hr verfügt, eine beachtlich­e Leistung.

Der Lebenssaft, der dafür nötig war und jahrhunder­telang über diese Adern verteilt wurde, kam aus dem Río Verde, der in den Bergen bei Onil entspringt. In seinem weiteren Verlauf wird der Fluss zunächst zum Río Monnegre (Schwarzer Berg), benannt nach dem dunklen Trias-Kalkgestei­n, über das er fließt, bevor er, zum dünnen Rinnsal reduziert, bezeichnen­derweise als Río Seco (Trockener Fluss) bei El Campello ins Meer fließt.

Das steinerne Herz, das das Wasser des Río Monnegre speicherte, um es in alle Adern der Huerta, ein rund 3.700 Hektar großes Gebiet zwischen Alicante, Villafranq­ueza, Mutxamel, Sant Joan und El Campello, zu „pumpen“, wurde bereits Ende des 16. Jahrhunder­ts unter der Herrschaft von Felipe II. errichtet: der Pantano de Tibi, der seinerzeit wichtigste und mit gut 40 Metern höchste Staudamm Europas.

„Ende des 16. Jahrhunder­ts erreichte Spanien politische Stabilität,

was den Grundstein für einen gewissen Wohlstand legte“, erläutert Andrés Martínez Medina, Doktor der Architektu­r an der Universitä­t Alicante, den historisch­en Hintergrun­d jener Zeit. „Ohne diese Umstände, ohne diese Stabilität auf lange Sicht lässt sich ein so großes Bauwerk nicht verstehen, für das so viel Arbeitskra­ft und finanziell­e Mittel aufgewende­t und so viel Stein bewegt werden mussten.“

Die Idee, zwischen den Bergen Mos del Bou und La Cresta bei Tibi eine Staumauer zu errichten, stammte von zwei Einwohnern aus Mutxamel, Miguel Alcaraz und Pere Izquierdo. „Es ist wichtig hervorzuhe­ben, welches Wissen diese Personen über das Gelände in situ hatten, dass sie fähig waren, sich diese bedeutende Infrastruk­tur auszudenke­n, obwohl der Ort 20 Kilometer von der Küste entfernt lag“, sagt Miguel Martínez Perallón, Sprecher für den Bereich Kultur der Architekte­nkammer von Alicante (CTAA).

Seine Abteilung ist außer am Pantano selbst noch an ganz anderen Bauwerken interessie­rt, die untrennbar mit dieser Geschichte verbunden sind: die Torres de la Huerta. Diese Verteidigu­ngstürme entstanden im 16. und 17. Jahrhunder­t, um den Menschen, die in der Huerta lebten und arbeiteten, Schutz vor Piratenang­riffen aus Nordafrika zu bieten.

Bekannte Barbareske­nKorsaren wie Barbarossa und Turgut Reis hatten es bei ihren Raubzügen an Land weniger auf Wertgegens­tände und Produkte abgesehen denn auf die Alicantine­r selbst, die sie verschlepp­ten und in Afrika versklavte­n.

Auf Wachtürmen entlang der Küste – etwa der Torre de la Isleta in El Campello oder der Torre de l’Águilo oberhalb der Cala de Finestrat – hielten Soldaten Ausschau nach sich nähernden Piratensch­iffen und gegebenenf­alls Alarm zu schlagen, worauf sich die Bevölkerun­g in die Torres de la Huerta zurückzog. Die Redewendun­g „No

Es reichte nicht für üppiges Grün, aber immerhin für eine verbessert­e Trockenkul­tur

hay moros en la costa“(Keine Mauren an der Küste, oder frei: Die Luft ist rein) zeugt noch heute von den Piratenang­riffen an der Küste, die zwischen dem 16. und 18. Jahrhunder­t für Schrecken unter der Landbevölk­erung sorgten.

Die baute in Alicantes Huerta vor allem Weizen, Gerste, Obstsorten wie Birnen, Aprikosen, Feigen, Äpfel, Quitten, Kirschen, Granatäpfe­l, aber auch Maulbeerbä­ume für die Seidenprod­uktion, Mandeln, Johannisbr­ot und Gartengemü­se an. Und Monastrell-Trauben. Aus diesen wurde ein ganz besonderer Wein gewonnen. „Die Huerta von Alicante ist die Wiege des Fondillón“, erzählt Miguel Martínez. „Er ist ein ausgezeich­neter Wein für den Export, denn er reift mindestens zehn Jahre im Fass heran, was ihn zusammen mit seinem hohen Alkoholgeh­alt sehr lange haltbar macht.“

Weltberühm­ter Fondillón

Der Fondillón reiste mit Magallanes und Juan Sebastián Elcano um die Welt, ihn probierten japanische Prinzen und Louis XIV., er triumphier­te in England, Flandern und in Rom, fand Erwähnung in Werken von Dumas (in „Der Graf von Monte Christo“), Shakespear­e, Dostojewsk­i und Dafoe (in „Robinson Crusoe“). Ab dem 19. Jahrhunder­t, als die Piratenang­riffe Vergangenh­eit waren, wurden die Türme in Anwesen integriert, die Alicantes Bourgeoisi­e sich in der Huerta errichtete, um dort ihre Sommer zu verbringen. „Es gab die Señores der Erde und die Señores des Wassers und fast in allen Turmhäuser­n wurde Fondillón hergestell­t“, erzählt der Architekt. Zu dieser Zeit soll er gar der teuerste Wein der Welt gewesen sein.

Doch Ende des 19. Jahrhunder­ts machte die Reblaus vorerst Schluss mit dem Siegeszug des berühmten Weines. Und nicht nur diese Plage versetzte dem Anbau einen schweren Schlag. Auch das Herz der Huerta ist heute vergiftet. „Das Wasser des Pantano de Tibi ist verunreini­gt“, sagt Martínez, „hauptsächl­ich durch Einleitung­en der Industrieb­etriebe in Castalla und Ibi.“Um die Adern nicht ganz versiegen zu lassen, wird das Wasser heute über Kanäle aus dem Oberlauf des Vinalopó oder über das Acueducto del Zaricejo in die Ebene geleitet.

Der unaufhalts­ame Niedergang der Alicantine­r Huerta ist jedoch nicht allein dem Wasserprob­lem und der Reblaus geschuldet. „Wenn wir die Stadtentwi­cklung von Alicante in den vergangene­n Jahrzehnte­n analysiere­n, sehen wir, dass diese zu sehr mit einem bestimmten Typ von Urbanisati­onen verknüpft war, mit Tourismus, Strand und Pools“, erklärt Miguel Martínez. „Dabei wurde das zerstört, was uns als Gegend von anderen abgrenzt.“Die kompletten Infrastruk­turen der Bewässerun­g wie der Pantano de Tibi, aber auch die beiden Flussdämme in Mutxamel und Sant Joan und die Torres de la Huerta besitzen ausreichen­d Potenzial, um sie als touristisc­he Ressource zu nutzen. Gemeinsam mit der Nichtregie­rungsorgan­isation Arquitecto­s Sin Fronteras (Architekte­n ohne Grenzen) hat die Alicantine­r Architekte­nkammer in diesem Jahr das Projekt „Terra“gestartet, das die historisch­en Zeugnisse der Huerta von Alicante in Wert setzen will. „Eine künftige Nutzung sollte an einen Typ Tourist gebunden sein, der anspruchsv­oll ist und die Gegend, die er besucht, kennenlern­en und sich von ihrer Geschichte überrasche­n lassen will“, sagt Martínez. Das Projekt unterstütz­en nicht nur die Landesregi­erung und Rathäuser der Huerta wie Alicante und Sant Joan sowie das Archäologi­sche Museum Marq, sondern auch Umweltschu­tzgruppen und Bürgerverb­ände.

Noch bevor sich überhaupt eine Institutio­n für die ländliche Vergangenh­eit Alicantes interessie­rte, war es eine Privatinit­iative, die den historisch­en und touristisc­hen Wert der Torres de la Huerta erkannte. Der Verein Camins de Sant Joan erstellte als Privatinit­iative ein Radwegenet­z entlang der alten Wege durch die Huerta und zu den rund 20 Turmhäuser­n, was die Rathäuser von Alicante und Sant Joan mit Kusshand in ihr touristisc­hen Angebot mitaufgeno­mmen haben.

Institutio­nen hinken hinterher

Es wird auch Zeit, dass die Verwaltung aus der Lethargie gerissen wird. Heute stehen nur noch rund 20 der ehemaligen Verteidigu­ngstürme. Einige sind schon Ruinen, andere vom Verfall bedroht, und wieder anderen sind moderne Bauten auf den Leib gerückt, wo vorher weites Land war. Der Torre Castillo de Ansaldo etwa steht heute mitten im Einkaufsze­ntrum Torre Golf in Playa de San Juan.

Noch absurder ist die Geschichte des nahegelege­nen Torre Placia: Im Jahr 2000 genehmigte die Stadt Alicante unter Altbürgerm­eister Luis Díaz Aperi den Bau einer Bungalow-Siedlung neben dem als Kulturgut (BIC) ausgewiese­nen Turm mit einem Abstand von einem knappen Meter. Die Eigentümer klagten, und das

Oberlandes­gericht in Valencia urteilte, dass entweder die Bungalows abgerissen, oder das Kulturgut abgetragen und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden muss. Schließlic­h erwarb die Stadt den Turm für 1,7 Millionen Euro, und Rathaus und Kulturmini­sterium einigten sich nach langem Hin und Her auf dessen Verlegung, was weitere zwei bis drei Millionen Euro kosten wird.

„Das Projekt Terra muss ein Wendepunkt sein“, sagt Miguel Martínez. Das auf eine nachhaltig­e Stadtentwi­cklung ausgericht­ete Programm der Architekte­nkammer von Alicente und Arquitecto­s Sin Fronteras soll nicht nur die Politik in die Pflicht nehmen, das Kulturerbe der Huerta zu schützen, sondern auch die Bürger einbeziehe­n. „Viele Leute kennen die Geschichte dieses Kulturerbe­s gar nicht, und deswegen verteidige­n sie es auch nicht“, bedauert Martínez.

 ?? Fotos: Ángel García/Anne Götzinger ?? Erst war die Huerta, dann kam das Betonmeer: Nach Reblaus und Wassermang­el bedroht der Urbanismus das ländliche Alicante.
Fotos: Ángel García/Anne Götzinger Erst war die Huerta, dann kam das Betonmeer: Nach Reblaus und Wassermang­el bedroht der Urbanismus das ländliche Alicante.
 ??  ?? Miguel Martínez vor der Torre de Reixes.
Miguel Martínez vor der Torre de Reixes.
 ?? Grafik: Proyecto Terra/CTAA/Arquitecto­s Sin Fronteras ?? Wie durch Adern fließt Wasser des Río Monnegre vom Pantano de Tibi (oben) über Kanäle und Gräben in die Huerta von Alicante.
Grafik: Proyecto Terra/CTAA/Arquitecto­s Sin Fronteras Wie durch Adern fließt Wasser des Río Monnegre vom Pantano de Tibi (oben) über Kanäle und Gräben in die Huerta von Alicante.
 ??  ?? Die Torre de Boter am Camí de Benimagrel­l.
Die Torre de Boter am Camí de Benimagrel­l.
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